Nachrufe von hundert

Geka Heinke, Ulrike Bock, René Pollesch

2024:Mai // Marcel Prüfert, Kerstin Gottschalk, Sonya Schönberger, Chat

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05-2024

Geka Heinke
(1967–2024)


Jetzt erst nach sehr langer Zeit habe ich mir Gekas Arbeiten/Malerei wieder angeschaut. Ich hatte die Möglichkeit dazu während der Trauerfeier in ihrem Atelier. Welcher Ort kann direkter für die Kunstbetrachtung sein als der Ort, an dem sie entstanden ist.
Kerstin stand neben mir und sagte: „Ja, unser Jahrgang hat jetzt schon ein gelebtes Leben gelebt.“
Wie weit wir gegangen sind: jetzt kurz vor sechzig. Und wenn wir uns umdrehen, blicken wir doch auf ein langes ereignisreiches Leben zurück

Die Malerei:
Ernsthaft werden Tapetenmuster, Spielereien des Alltags, skizziert und in sehr reduzierter Farbauswahl auf die Leinwand gebracht.
Die Farbe ist schnell und dünn aufgetragen, so das Unregelmäßigkeiten entstehen. Sie brechen die Vervielfältigungen der Muster, wie kleine Fehler im System. Fleckige Nuancierungen.
Als würde auf unauffällige Weise deren konkrete Ausführung sabotiert und verhindern, dass wir uns zu genau um die dekorativen Elemente kümmern.
Konturen der Vorzeichnung bleiben an manchen Stellen sichtbar, so bleibt der Entstehungsprozess nachvollziehbar.
Neuere Papierarbeiten sind freier angelegt. Sie werden auf Gekas Website unter Material / Experiment geführt. Die Interessantesten unter ihnen implizieren, sie wären Siebdruck.
Fake-Siebdruck sozusagen. Der gesprühte Hintergrund, aber auch viel Papierweiß stehengelassen, darauf Farbflecken wie große fallende Tropfen, darüber leichte Farbschlieren mit einem sehr breiten Pinsel. Allein diese immer gleiche Vorgehensweise in den rein abstrakten Arbeiten zeigt mir eine Ordnung, die ich in ihren Tapetenmustern auch wieder finden kann.
Ich hätte mir eine Führung der Weggefährtinnen sehr gewünscht und stehe stattdessen traurig am Fenster

Marcel Prüfert






Liebe Geka,
wir hatten ausgemacht, dass Du Dich meldest wenn ich etwas übernehmen kann oder Dich unterstützen kann. Das war im Frühjahr 2023. Ich höre es noch deutlich und ich erinnere mich jetzt, wie ich in den letzten Monaten immer mal dachte: Schicke ich Dir eine SMS?
Ich habe es nicht gemacht, die ganze Zeit nicht – wie wir es so ausgemacht hatten, auch weil ich mich nicht getraut habe.
Geka, wir waren zusammen bei Stedefreund, Du warst um einiges weiter mit allem, der Arbeit, dem Betrieb und Deiner Entschiedenheit.
Die Fäden, die wir aufnahmen, waren sehr fein und zugleich blieben sie auf eine bestimmte Art immer offen. Offen, diese ruhen zu lassen und auch wieder aufzunehmen.
Wir trafen uns einmal beim Zugfahren, aber erst als wir beide am Hauptbahnhof ausstiegen und dann noch gemeinsam S-Bahn fuhren. Du kamst direkt von der Beerdigung Deines Vaters und sprachst mit mir über Deine Familie und wir sprachen weiter über Musik und musizieren.
Viel später hast Du dann „bei mir“ ein Semester im Team der Malerei und Grafik an der Uni-Frankfurt gelehrt.
Dir hat das Lehren so viel Spaß gemacht, so viel Freude kam da von Dir! Die Studierenden und auch ich haben das sehr geschätzt! Gerne hätte ich mit Dir weiter im Team gearbeitet. Wir sprachen darüber und Du sagtest, sehr gerne wieder – nach der Krankheit.
Gestern in Deinem Atelier, so viele Künster*innen und Freunde habe von Dir Abschied genommen. Überall diese Farbe, Geka! Kleine wie große Arbeiten, die so wie Marcel schreibt, Ausschnitte von etwas sehr Großem zu sein scheinen. Michael hat Fotos von Dir und Deinem Leben an die Wand geworfen. Du am Cello. Da fühlte ich, das alles hier ist Musik, auf den Papieren und auf den Leinwänden. So viel Strenge und Struktur und doch die Farbe, die eben keine Grenze kennt. Die Arbeiten scheinen wie echte Versprechen auf mich. Versprechen von etwas Großem. Von was, und das glaube ich, weißt Du jetzt ganz genau.

Kerstin Gottschalk






Ulrike Bock
(1941–2024)

PORTRÄT ULRIKE BOCK
[Unvollendet]

Eine schmerzlose Krankheit
fesselt die traumlose Zeit
wie ein roter Schatten

so lange wir wollen
nehmen wir Abschied

Du trägst
im Sommer
ein Kleid
aus Lava und schmelzendem Schnee

und jeden Tag
willst Du
zum Letzten

Heute noch

schlafen
die Pferde im Stehen
auf den Himmelsleitern
schreien
die Schatten

Heute noch
schreitest Du frei
wie ein Fabeltier
Und irgendwann
versammelt Deine Gegenwart
die letzten Dinge




Brigitta Sgier




Im Dezember 2019 schreibt mir Ulrike Bock eine Mail: „Ich bin 1941 geboren und seit vielen vielen Jahren in der Kunst unterwegs. Vielleicht haben sie ein wenig Lust auf eine Begegnung.“
Thema meiner Gespräche* in der Reihe ist, was es bedeutet, als Künstler*in in einer Stadt wie Berlin alt zu werden. Wie kommt man über die Runden, wie regelt man den Nachlass, was hat man alles erlebt im Leben? Wir treffen uns bald darauf in ihrem Wohnatelier im Wedding und ich verstehe sofort, dass Arbeit und Leben bei ihr eins sind. Drei Jahre zuvor verstarb ihre Partnerin Brigitta Sgier, mit der sie sich die Wohnung teilte. Das Atelier ist noch von beiden erfüllt, Leben und Arbeit ineinander verschränkt. Sie ist sehr nett, bescheiden in unserer Begegnung, nicht leicht zugänglich, kommt aber doch ins Sprechen: Über ihren geliebten Vater, der viele Frauen hatte und ein Nazi war, ihr Ankommen in Berlin, ihren Zugang zur Kunst, die einzelnen Schritte im Leben. Brigitta ist ihre große Liebe und sie begeben sich auf viele Abenteuer in Brandenburg, das sie nach der Wende erkunden, immer nur zu zweit, noch mit dem Hund. Ihre Wohnung und die Dinge, die sie umgeben, erzählen von einer vergangenen Zeit. Sie habe den Anschluss nicht mehr, verstehe die aktuellen Diskurse nicht, könne sich also auch nicht auf sie einlassen, sagt sie. Sie sagt zum Schluss: „Schön, dass du da warst“. In den letzten Jahren hat sie dann mehr und mehr aufgehört, sich mitzuteilen, die Tür nicht mehr geöffnet, das Telefon nicht mehr beantwortet. Bis zum Schluss hat sie aber geschrieben. Am Freitag, den 3. Mai, ist sie in ihrer Wohnung verstorben.

Sonya Schönberger



* Das Gespräch mit Ursula Bock erschien in der Ausgabe 35 der von hundert im Juni 2021
(https://www.vonhundert.de/2021-06/919_schoenberger.php)



René Pollesch
(1962–2024)


Mitten unter Menschen, unter einem amorphen Haufen menschlicher Leiber, lässt sich der Protagonist begraben. Er ist quasi schon tot und alle denken, das Stück sei zu Ende. Doch selbst aus dem Grab heraus möchte er uns noch erheitern.
Wer sitzt im Wald und heult? – Die Heule. Was sagt die eine Kerze zur anderen? – Ich geh aus.

(im letzten Bild von „ja nichts ist ok“ von René Pollesch, Premiere am 11. 2. 24 in der Volksbühne)




Cool sein Cool bleiben Leiden

Die Drei von der Volksbühne



Cool sein! Das war Bert Neumann, Ausstatter und Architekt der erfolgreichsten Theaterstücke. Der Bild- und Raumkünstler, der Berlin mit seinem Style zur hippsten Stadt der Welt gemacht hat. Der uns gezeigt hat, wie man aus allem, was da ist, Schönheit zaubern kann, auch mit wenig Geld.

Cool bleiben! Das war Christoph Schlingensief – wer erinnert sich noch? Er hat schon 1999 mit Rechten geredet, lange bevor dazu die erste Gebrauchsanweisung erschien. Und als die noch Neonazis waren. Er nannte das „Großer Kameradschaftsabend der Rechten und Gerechten“.

Leiden! Das war René Pollesch, der größte deutsche Dichter unserer Tage. Wer sonst?

Am 26. Februar diesen Jahres ist nun der dritte der Leuchttürme unserer Welt erloschen. Längst sind wir nicht mehr cool noch frech. Wir sind schon dabei uns einzuordnen, und nicht mehr lang werden wir es vergessen haben, zu lieben mit Leidenschaft. Keiner nimmt jetzt mehr die Feigheit von uns und niemand wird auch nicht den Übergang von der analogen zur digitalen Welt mit uns beweinen.* Es wird einsam, noch einsamer, es wird kalt.
Wenn wir nicht das Erbe antreten. Scheiße, jetzt müssen wir alles selber machen. Die Götter-Kollegen, ja, alle drei haben nur das Staffelholz weitergegeben, als ihre Zeit abgelaufen war. Ab und zu und immer wieder werden wir uns erinnern, wie hätte das Bert Neumann gemacht, was hätte Christoph Schlingensief dazu gesagt, und wie hätte das René Pollesch verzaubert?
Das ist, was bei mir von ihm übrig bleibt. Ein Bruder im Herzen, der mir nah ist wie kein anderer. Der das, was ich sagen will, auf die Bühne stellt und noch viel mehr. In diesen ganzen unaufhaltsamen Tiraden unter Leuten, dem lustigen Jammer, den himmlischen Gesängen und kleinen oder großen Hymnen. Es ist ja alles verfügbar, er hat’s immer auf den Abendzettel geschrieben, von welchen Denkern die geklauten Gedanken sind. Aber, guck, hab ich die Kraft? Ich werd’s versuchen, kann aber auch sein, dass ich ganz leise werde. Was dann?

Chat



* außer Andreas Koch in: Tatsächlich lese ich gerne Zeitung, 2024

Geka Heinke
René Pollesch, Lissabon, 2011, Foto: William Minke aus seinem Buch „No Way Home – Volksbühne 2004–2017“