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11-2024

Vollkommen unmöglich, alles anzuschauen.

„Wir brauchen alle weniger“, äußert eine Teilnehmerin an der Podiums-Diskussion richtig. Aber wie kann das gehen? Mittwoch, Freitag und Samstag gab es am Festival- treffpunkt Gropius-Bau Talks, die der Nachhaltigkeit unter verschiedenen Aspekten gewidmet waren.
Gallery Climate Coalition-Gründungs-Mitglied Kim Krac­zon moderierte und propagierte einen „Blue Shift“. Die Institutionen sollten auf ihren ökologischen Fußabdruck achten und jede/r Einzelne auf sich. Burnouts seien nicht nachhaltig! Der Künstler Andreas Greiner gab zu, dass der Energieverbrauch seiner Produktion „Wald“ dem Viertel eines durchschnittlichen Jahresverbrauchs einer Person in Deutschland entsprach und dass er das in Zukunft nicht mehr wolle. Die Kunstwelt produziere so viele Emissionen wie die Plattform Airbnb. Wie also kann man dem beikommen? Weniger Hin- und Her von Mensch und Werken also, hieß es auch bei der Monopol-Frau Elke Buhr im Gespräch mit Antje Majewski, die eine Klasse Studierender in Braunschweig betreut. Sie möchte die Kunst aufs Land tragen, den Menschen besser zuhören, lokale Prozesse anstoßen und die Erweiterung des Kunstbegriffes vorantreiben. Klimaschutz meint hier u.a. den Kampf gegen rechts, allerdings in Form einer Kommunikation auf Augenhöhe.
„Wir (Queers, Menschen mit Migrationshintergrund und weitere?) müssen halt Angst haben vor einer faschistischen Machtübernahme“, erklärt Publizist Tadzio Müller in seiner Kolumne „super safe space“ im Freitag, Nr. 37 und fordert, es dürfe eigentlich kein anderes Thema mehr geben.

Die Galerie Anton Janizewski wurde hingegen mit dem Gallery Award 2024 ausgezeichnet. Sie hat ihre gediegene Beletage in Charlottenburg verlassen und sich am Rosa-Luxemburg-Platz zwischen andere Szene-Locations eingereiht. Schwer zu finden ist sie trotzdem, nachdem die Künstlerin Emma Adler (geb. 1980) für ihre immersive Installation mit dem Titel STRG-Z das Schaufenster abkleben ließ. Ungesicherte Stahlzäune, die einen erschlagen könnten, leiten vor einen Bildschirm, auf dem inszenierte Zombies KI-generierten Grusel verbreiten. Den Anstoß zu dieser Arbeit lieferte ihr ein ebenfalls inszeniertes und KI-generiertes Bild, das die AfD parallel zum Ramadan ins Netz gestellt hat: Glückliche Menschen essen Schwein. Ich denke kurz darüber nach, ob das richtig ist, AfD-Wähler als Zombies darzustellen – auf Augenhöhe ist das nicht –, doch dann überwiegt auch bei mir die Anerkennung für die Schärfe ihrer Arbeit, und ich beobachte mich bei dem Gedanken „scharf sein, solange es noch geht“. STRG-Z ist nicht die Lösung, aber eine Warnung.

„Ich hasse diesen Staat schon immer und jeden Tag. Alle Institutionen, das System.“ Die Institution n.b.k. nimmt Pasolinis Langzeit-Beziehung mit der post-faschistischen Justiz in Italien in den Blick. Pier Paolo Pasolini als Skandal-Künstler der 50er- bis 70er-Jahre. Wenige kurze Filmausschnitte, dafür etliche Magazine mit ihm als Coverboy, und ein Raum, für dessen Betreten der n.b.k. die Verantwortung abgeben möchte. Ich denke darüber nach, wie das so war mit den „Anarchisten“ in meinem Leben. Und stelle mir vor, dass PPP, würde er noch leben, vielleicht mehrere Me-too-Prozesse über sich ergehen lassen müsste. Einen seltsam historischen Touch bekommt der, der als Freiheitskämpfer für das Leben in die Geschichte eingegangen ist. Für die von kapitalistischen Zwängen befreite Lust, nicht nur unter Männern. Er ist die Antithese zum hoch kontrollierten, disziplinierten Menschen, der alles richtig machen möchte und fahrlässig von sich behauptet, für die Überwachungssysteme, in denen er lebte, nicht interessant zu sein, weswegen er sie auch nicht zu fürchten brauche. PPP ist wirklich wie ein Ruf aus einer fernen Welt. Das Babylon begleitete diese Ausstellung mit einer Werkschau seiner Filme an neun Terminen bis zum 10. November.

Wäre Christoph Schlingensief ohne PPP möglich gewesen? Wahrscheinlich nicht. Leider nur bis 19. Oktober zu sehen waren Videos (darunter ein sehr intimes mit Patti Smith), die Anna-Catharina Gebbers bei Crone in der Fasanenstraße mit viel Liebe in verschiedenen Kabinen und anderen Einbauten bereitgestellt hatte. Dazu eine umfangreiche Presse-Chronik, die Aufschluss darüber gab, wie die Deutschen, die Schweizer und die Österreicher damals auf den politischen Provokateur reagiert haben. Wir sehen den Regisseur am Ufer des Zürichsees als Initiator der „Nazi-Line“. Rechtsradikalen sollte so der Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglicht werden. Weil es damals noch bedeutete, sich mit einer rechten Haltung an den Rand der Gesellschaft bugsiert zu haben. Heute hat sich der Bedarf in dieser Hinsicht von selbst erledigt. Schluck. Ausstiegswillige Neonazis dürfen mitspielen in der Hamlet-Inszenierung von 2001 in Zürich.

Und wieder Videos, diesmal in der „Orangerie der Fürsorge“ unterm Fernsehturm. Unschwer zu erkennen: Die Technik ist in den letzten Jahrzehnten besser geworden, die Kamera ruhiger, aber die Haltung weniger lustig. In dem Film Wood for the trees von Rob Crosse sprechen Menschen neben wissenschaftlichen High-End-Aufnahmen von Wald, Holz und Bäumen über ihre innersten Bedürfnisse nach Nähe und Geborgenheit in einer queeren Community. Die Langsamkeit, die Ruhe und die Präzision der Kamera verleihen den Aussagen eine besondere Tiefe. Das Thema „Queer im Alter“ dürfte in dieser ästhetischen Bearbeitung nicht nur die Betroffenen berühren. Ansonsten soll in der Orangerie „die Kolonialgeschichte der Topfpflanze und die Pflanzenpflege als Teil von privatisierten Praktiken der Lebenshaltung“ reflektiert werden, wie die nGbK schreibt. Ich hätte mir mehr Pflanzen gewünscht in einer Orangerie und dafür weniger Bildschirme. Die 13 künstlerischen Positionen sind ortsgemäß kein Fast-Food. Sie erfordern viel Hinwendung zum Thema.

Zugangsbeschränkungen zur imposanten, zwanzig Meter hohen Halle am Berghain in die Soul Station von Danielle Brathwaite-Shirley kommt man erst, wenn man sich online angemeldet, wenn man sich registriert und „alle seine Daten“ abgeliefert hat. Wie bei der Deutschen Bahn, wie bei Airbnb, wie bei den Berliner Bäder Betrieben. Hallo, hallo, wer wehrt sich dagegen???
Um den Code, den man dann kriegt, wird ein echtes Bohai gemacht. Man brauche ihn für die Reinigung der Seele. Alles klar. Das stimmte dann gar nicht. Der virtuelle Beichtstuhl war – zum Glück – nicht personalisiert. Du stehst vor einem meterhohen senkrecht aufgestellten Billboard und reagierst pauschal auf Multiple-Choice-Fragen, so wie in herkömmlichen Frauenzeitschriften, seitdem es sie gibt. Die Frau möchte erfahren, wer sie ist. Hier nun auch der Mann und alle anderen Genders. Ich konnte keine Ironie erkennen. Einige der Strom verschlingenden Mega-Bill­boards zeigen eine comicartige Zeichnung, deren Sprechblase das Leid einer schwarzen Transfrau in einer weißen Cis-Gesellschaft erahnen lässt. Mit derben Worten wird zurückgeschossen. So sitzt man dann auch vor dem ein oder anderen Bildschirm und ballert aus einer Plastikpistole auf computergenerierte Fantasie-Figuren, um diese zu töten. Ich habe das tatsächlich zum ersten Mal überhaupt gemacht. Ein zweites Mal wird es nicht geben. Schwöre.

Fast wie eine Antwort auf diese Ressourcen-Verschwendung wirkt da die minimalistische Setzung von Alfredo Jaar in dem ganz ähnlichen Industriedenkmal Kesselhaus der Kindl-Brauerei in Neukölln. Er bestreitet die Ausstellung mit nichts anderem als einem 4 × 4 × 4 cm kleinen Würfel aus Metallplatten, geschützt in einer Vitrine. Schwierig ist’s, in dem roten Licht zu fotografieren. Kein Insta, kein Video, kein Surfen. Dafür Gegenwart, Raum und Kommunikation mit denen, die da sind. Wohlmöglich über Das Ende der Welt, denn so hat der seit über 40 Jahren zu ökologischer Gerechtigkeit arbeitende Künstler seine große Mini-Installation genannt. Nach jahrelanger Forschungsarbeit in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftler Adam Bobbette ist ein Heft mit 32 Seiten entstanden, in dem er das Publikum aufklärt über das, was auf uns zukommen wird, wenn wir den Planeten in gewohnter Weise ausbeuten. Es wird Krieg geben um die seltenen Erden, um die Metalle, die jetzt noch den Schlaf der Ewigkeit schlafen, z. B. in der Tiefe des unberührten Meeresbodens. Der Abbau jedes dieser Mineralien bedeute das Ende der Welt. Noch bis Juni nächsten Jahres kann man diese Ausstellung besuchen. Das sehr aufschlussreiche Heft ist darüber hinaus einsehbar auf der Seite des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst.

Ein auf andere Weise minimalistisches Erlebnis war ein Termin aus u. a. Florian Wüsts Reihe lesen lassen im 34. Stock des Park-Inn-Hotels am Alexanderplatz. Die Autorin und Künstlerin Paula Hildebrandt las aus ihrem Buch Welcome-City (2022), das ihr Engagement im Rahmen der „Willkommenskultur“ für Geflüchtete im Jahr 2015 dokumentiert. Das persönliche Kärtchen von der Rezeption, meine Fahrt im Fahrstuhl A knapp unter die Absprungrampe der Bungee-Springer, der Teppich im Gang, die dicke Tür mit der Nummer 05, das Glas Wasser, nachdem die Kaffee-Maschine nicht ging, das Badezimmer, Paulas glatte Haare, ihre schlichte Bluse, ihr ungeschminktes Gesicht und ihre sensiblen Gesichtszüge, zwei Würfelchen und dann eine Stimme, die nur für mich liest. Das war purer Luxus im Luxus-Hotel. „Guck mal da, ein Vogel“, rufe ich. Aus ungewohnt hoher Perspektive beobachten wir einen einzigen Vogel, der ohne mit den Flügeln zu schlagen über dem Alexanderplatz seine Runden dreht. Und dann: „Ach, Inken“, als ich Inken Reinert nach 30 Minuten den Stuhl frei machen muss.

Und noch zwei Gruppenausstellungen:
VUL/NE/RA/BLE so nennt KOW seinen Einstand mit 28 internationalen Künstler:innen auf der Kurfürstenstraße. Vor der Tür das Gerangel der Junkies um ihr Dixi-Klo. Nebenan die Adalbertkirche, der Strich, eine Sozialstation und immerhin noch ein Kunstort, die Galerie Heidi. Kunst mitten in den Stürmen des echten Lebens also. Der Platz, der hier zur Verfügung steht, beläuft sich auf einen Bruchteil von dem, was man in der Brunnenstraße oder Lindenstraße bespielen konnte. Die Decke ist niedrig, die Bausubstanz eher billig. Umso größer die Herausforderung, hier alle 40 Arbeiten gebührlich unterzubringen. Und es gelingt: Die Galeristen Alexander Koch und Nikolaus Oberhuber haben hier eine sowohl visuell ansprechende als auch vielseitige und dichte Komposition geschaffen, die das Profil ihres gemeinsamen Kunstortes nach nun 15-jährigem Bestehen in besonderer Klarheit erkennen lässt. Sie zeigen Positionen, die sich aus sozialen und politischen Anliegen generieren, die unbequem sind und vielschichtig und die Betrachtenden mit in die Verantwortung nehmen. Es lohnt sich, für diese sehenswerte Ausstellung etwas mehr Zeit als gewöhnlich mitzubringen.

Bei Stephanie Kloss in Die Möglichkeit einer Insel stel­­- len auf wenigen Quadratmetern immerhin auch einundzwanzig Künstler:innen aus. Völlig unspektakulär, wie das Fragment einer Baustelle, wie eine Ecke, die noch nicht aufgeräumt worden ist, ein paar Ziegel, Steine, Schutt. Aus Gaza. Nicht alle Arbeiten in dieser charmanten kleinen Ausstellung weisen einen so enormen Echo-Raum auf wie die Arbeit des jüdischen Künstler-Architekten Zvi Hecker, der vor einem Jahr in Berlin verstorben ist, nachdem ihn der Projektraum hier im November 2022 mit einer Einzelausstellung gewürdigt hatte. Die meisten Ausstellungsstücke bestechen durch ihre Form. Die unidentifizierbare Keramik der Isa Melsheimer zum Beispiel, daneben eine mattfarbene Kachel-Pyramide von Claudia Wieser, ein schwarz-weißes Mobile von Harald Klingelhöller oder ein architektonisch wirkender Riegel von Thomas Scheibitz, der auch ein größerer IKEA-Schuber sein könnte. Der relativ dominant hängende Mond aus Spiegeln und Holz von Björn Dahlem fügt sich in die austarierte Anordnung ein. Es scheint, die besten Bildhauer:innen unserer Stadt hätten sich hier versammelt und vor allem eins gemacht: setzen, stellen, legen. Peter K. Koch holt weiter aus, indem er dem rechten Durchgang einen gefrästen Rahmen verpasst, der sich in der Praxis für die Anwesenden als Foto-Motiv bewährt. Manfred Pernice landet in der Ecke, wo er seinen Sonnenschirm nicht aufspannen darf, denn da baut Andreas Koch wieder einen Platten-Turm aus Lego (oder so ähnlich). Die Eröffnung am ersten Abend der Berlin Art Week 2024 war ein Heimspiel. Schöner könnte man sich einen Auftakt kaum vorstellen.

Einer, der zu dieser Bildhauer-Generation dazugehörte, glänzt woanders mit einer Solo-Show. Absolut souverän in Material, Form und Präsentation sind die neuen Skulpturen der Serie Priel von Kai Schiemenz bei EIGEN + ART. Sie sind in ihrer absichtslosen Identität alles auf einmal: gesund und schön und überaus haltbar.

Emma Adler, STRG-Z, Galerie Anton Janizewski, Weydingerstraße 10, 10178 Berlin, 6.9.–19.10.2024
Pier Paolo Pasolini. Porcili, Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, 10115 Berlin 11.9.–10.11.2024
Christoph Schlingensief, Deutschlandsuche, Galerie Crone, Fasanenstraße 29, 10719 Berlin, 12.9.–9.11.2024
Orangerie der Fürsorge, nGbK, nGbK am Alex, Karl-Liebknecht-Str. 11/13, 10178 Berlin, 12.9.–17.11.2024
The Soul Station, Danielle Brathwaite-Shirley, Berghain, Am Wriezener Bahnhof, 10243 Berlin 12.7.–13.10.2024
Alfredo Jaar, Das Ende der Welt, KINDL Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, Berlin-Neukölln, bis 1.6.2025
lesen lassen, Lesereihe (Ein Projekt von adocs, Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt und EECLECTIC), verschiedene Orte, Instragram: @lesen.lassen, 14.9.–17.11.2024
VUL/NE/RA/BLE. KOW, Kurfürstenstraße 145, 10785 Berlin, 7.9.–16.11.2024
Modell und Wirklichkeit, Möglichkeit einer Insel, Inselstraße 7, 10179 Berlin, 12.9.–3.11.2024
Kai Schiemenz, Priel, Eigen + Art, Auguststraße 26, 10117 Berlin, 12.9.–9.11.2024
Pier Paolo Pasolini in einem Vorort von Rom, 1959
Emma Adler, STRG-Z, 2024, exhibition view, Foto: André Wunstorf
Christoph Schlingensief: Deutschlandsuche (Searching for Germany), New York, 1999, Courtesy Estate Christoph Schlingensief, Berlin
KOW, Ausstellungsansicht, Foto: Ladislav Zajac
Thomas Kisewetter, Thomas Scheibitz, Björn Dahlem, Ausstellungsansicht Modell und Wirklichkeit, Foto: Stephanie Kloss
Kai Schiemenz, Priel Ausstellungsansicht Eigen + Art, Screenshot Ausstellungsvideo