Pro Brache

2024:Mai // Andreas Koch

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05-2024

„Tatsächlich ist der Mangel an verfügbarem Raum in Berlin eklatant. Nicht nur fehlt Wohnungsraum, die Stadt wuchs alleine in den letzten zehn Jahren um über 350.000 Menschen. Das ist als würde ganz Bochum nach Berlin gezogen sein, und wer kann schon ein ganzes Bochum in zehn Jahren hochziehen – und deshalb fehlt auch für alle frei verfügbarer Raum, oder wird auch in Zukunft frei verfügbarer Raum fehlen, denn zuerst werden Gebäude gebaut, die einen Nutzen nur für einzelne haben, Wohnungsbau, Bürobau, Hotelbau usw.
Die Brachen als Möglichkeitsräume der Zukunft, für die nächsten Generationen, werden eliminiert. Auch die Leute, die neu hinzuziehen, suchen erst mal nach Raum und finden nichts. Denn das meiste ist schon verteilt. Wie in Paris seit Hunderten von Jahren. Du kommst da an und weißt, hier hast du keine Zukunft. Du wirst höchstens geduldet und kannst dich in den seit Langem etablierten Strukturen herumbewegen, aber was Neues gestalten, vergiss es.
Deshalb wäre es nachhaltig (und wer denkt schon nachhaltig?), Brachen zu schützen. Wir können ja nicht schon wieder auf einen Krieg hoffen, der Löcher hinzubombt. Denn das war ja die große Chance für Berlin, ihre immensen Brachen und Flächen, die dann zugegebenermaßen oft nicht sonderlich gut genutzt wurden, aber durch die Teilung hielten sich diese Flächen länger als in Westdeutschland und die Stadt fing erst später an, über ihre Grenzen hinauszuwuchern. Diese Leerflächen waren in den Neunzigerjahren ein Riesenpotenzial. Die ganze alternative Kultur, die jetzt noch zu finden ist, fußt auf dieser Neunutzung von leerem Raum. Und dass der jetzt immer weiter verschwindet, wird ein Riesenproblem, gerade für die Kultur. Gut, ja, auch die Kultur frisst Raum, den sie nicht weitergibt und institutionalisiert sich. Aus den wildwachsenden Trieben wird ein zurechtgeschnittener Garten, mit Eintritt.
Deshalb sage ich ja, schützt die Brachen, denn unsere Kinder wollen vielleicht auch mal was gründen, was finden, vielleicht bauen oder besetzen. Wir können doch nicht alles in ein paar Jahren zuklotzen und dann ist es so bis man es bestenfalls wieder abreißt. Und wir vergeben es dann scheinbar großzügig oder aber meistens mit purer Profitgier. Nur weil wir das Glück hatten, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, also in den Neunzigern, und unsere Claims weitestgehend absteckten, haben wir doch nicht das Recht, unser Leben lang davon zu profitieren, zumindest moralisch. Aber niemand gibt gerne ab, es sei denn man muss.
Die Lösung wäre vielleicht, das komplette Land ­wieder zu verstaatlichen und in Erbbaupacht in höchstens 50-Jahre-Päckchen abzugeben. Dann reißt man den Scheiß notfalls wieder ab und die Nächsten kommen oder man lässt mal eine Lücke. Wie auf den Feldern ja auch mal nichts wachsen sollte, zur Regeneration, da steckt ja das Wort Generation auch schon drin.
Also, ohne Möglichkeitsraum erstickt eine Stadt an sich selbst, sie ist dann gefühlt tot, oder sagen wir besser schwer depressiv, Burn-Out. Keine Perspektive mehr, ewiger Trott, alle haben sich zu fügen und laufen in den für sie vorhergesehenen Bahnen, oder auch nicht, dann fliegen sie halt raus …“
Foto: Christina Zück