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Biennale Venedig
Fondazione Feuerwerfer
2024:November //
J. G. Wilms
Biennale Venedig / 2024:November
Fondazione Feuerwerfer – die Biennale von Venedig
und ihr neuer Präsident
Seit dem 20. März 2024 ist er im Amt. Die Stiftung hinter der Biennale von Venedig, die Fondazione della Biennale di Venezia hat einen neuen Direktor, Pietrangelo Buttafuoco. Eine Person, die hierzulande niemanden zu kümmern scheint. Dabei hat der Mann es in sich: ein früherer dirigente nazionale (wörtlich: Nationalvorstand) der faschistischen Jugendorganisation FdG, Fronte della Gioventù (wörtlich: Jugendfront), der Anfang des Jahrhunderts bei der Edizione AR (= „Aristocrazia Ariana“ (wörtlich: „Arische Aristokratie“) publizierte, kurz darauf zum Islam konvertierte und seit Längerem mit einem faschistischen Attentäter befreundet ist. Jetzt ist er Direktor der Biennale von Venedig. Da gab es schon shit storms für weniger. Aber der Reihe nach.
An der eben skizzierten Karriere des Pietrangelo Buttafuoco wird die Transformation sichtbar, die Italien in den letzten 30 Jahren durchlaufen hat. Eine Transformation, die, oberflächlich betrachtet, in ihrem notorisch gut gepflegten Krisenmodus, nur an die Zeit vor dem Epochenbruch (1989/90) erinnert. Eine Transformation, die aber, spätestens 1994, mit der ersten Regierung Berlusconis, manifest wird. Als nämlich zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg mit der Alleanza Nazionale/Movimento Sociale Italiano (AN/MSI) eine Partei an die Macht kommt, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit als faschistische Organisation vom verfassungsgebenden Prozess in Italien ausgeschlossen worden war. Eine Versöhnung mit diesen Faschisten hatte es im Weiteren nie gegeben. Warum auch. Und so blieb das MSI, dessen Kader beinahe lückenlos aus Mussolinis faschistischer Bewegung kamen, über fast ein halbes Jahrhundert eine Paria in der italienischen Politik. Bis zum Umbau des MSI in die AN/MSI unter Gianfranco Fini, dem politischen Ziehvater von Giorgia Meloni – d. h. bis zum Tabubruch einer faschistischen Regierungsbeteiligung im Jahre 1994. Bis dato hatten sich Faschisten in Westeuropa mittels Christdemokratischer Parteien als Nationaliberale, „Freiheitliche“ oder schlicht „Konservative“ camouflieren müssen. Mit dieser Kosmetik bürgerlicher Herrschaft war es Mitte der 90er-Jahre vorbei. In den Worten des 2023 bekanntlich für seine Machenschaften final mit einem Staatsbegräbnis geahndeten Silvio Berlusconi:
„Wir waren es, die Lega und Faschisten in die Regierung geholt haben. Wir haben sie legitimiert, wir haben sie konstitutionalisiert (= in den verfassungsmaeszigen Rahmen geholt, jgw). … Wir haben die rechte Mitte erfunden. Und wir sind in der rechten Mitte, deren Hirn …, deren Herz und deren Rückgrat wir sind.“ (nach: La Repubblica, 29.09.2019)
Eines dieser Hirne war der Politologie-Professor Giuliano Urbani, der nicht nur Mitbegründer, Stichwortgeber und Planer bei Berlusconis Forza Italia war – es war derselbe Urbani, der als Kulturminister 2004 dafür sorgte, dass die verschiedenen venezianischen Biennalen (Kunst, Kino, Architektur usw.) nach US-amerikanischen Vorbild in einer Stiftung zusammengefasst wurden. Es dauerte dann weitere zwanzig Jahre – auch der Turbokapitalismus hat seine Latenzen – bis das Konstrukt des bürgerlich-technokratischen centro-destra-Funktionärs Urbani, die Fondazione della Biennale di Venezia, mit der Personalie ihres aktuellen Präsidenten Pietrangolo Buttafuoco seine vorläufige Vollendung erfuhr.
ANM 1:
In der Chronik von labiennale.org/ liest sich das lapidar so: „Am 15. Januar wird das Dekret über die Neuordnung der Biennale, die in eine Stiftung überführt wird, veröffentlicht.“ („Il 15 gennaio viene pubblicato sulla Gazzetta Ufficiale il decreto di riordino della Biennale, che viene trasformata in Fondazione.“) Dabei zielte Urbanis Linie immer auf eine politisch als Reform, ökonomisch als Verschlankung und juristisch eben als „riordin“ (Neuordnung) verkaufte protofaschistische Straffung und Verdichtung von Herrschaftsapparaten. Im Kleinen geschah das in den Kammersälen einer Kulturbürokratie, die ca. 50 % des europäischen Weltkulturerbes und einen beträchtlichen Sektor zeitgenössischer Künste organisiert. Im Großen galt schlicht die Zielsetzung eines ‚governo meno debole‘ (wörtlich: einer weniger schwachen Regierung).
Als der Journalist Buttafuoco im Herbst 2023 vom Kulturminister (und Journalisten) Sangiuliano als künftiger Direktor der Biennale-Stiftung nominiert wurde, ging folgerichtig eine publizistische „La Ola“ los. Von Vittorio Sgarbi bis Salvatore Settis waren von rechts bis links auch die bekannteren Intellektuellen jenseits der 70er am Start. Sie bildeten, wie bei allen breiteren Debatten, sozusagen die Schaumkrone der Seniorität. Vittorio Sgarbi, eine Art Stefan Raab der italienischen Kunstkritik, ein Entertainer, dessen Vorstrafenregister zwar lang, aber am Ende doch nicht so lang ist wie die Liste seiner Publikationen: Sgarbi hatte vollkommen realitätsblind im Quotidiano del Sud Buttafuoco vor dem Vorwurf in Schutz genommen, er sei ein „von der gegenwärtigen Regierung geschätzter Exponent der Rechten“. Settis wiederum wies in La Stampa auf die öffentlich erklärte Freundschaft Buttafuocos mit Franco Freda hin. Freda gilt nach dem Urteil des Cassazionsgerichts, also nach italienischem Recht höchstrichterlich und unhintergehbar, als einer der beiden Urheber des Attentats der Piazza Fontana im Jahr 1969. In Zahlen: 17 Tote, 88 Verletzte. Zum Vergleich: 1980, beim Oktoberfest-Attentat in München, kamen 13 Menschen ums Leben, 221 wurden verletzt. Anders als in Italien kamen in Deutschland die Drahtzieher nie vor Gericht, obwohl die Bezüge zur Wehrsportgruppe Hoffmann unabweisbar sind, und die Verstrickung der Geheimdienste nach dem italienischen Muster extrem wahrscheinlich ist. Was wäre, (noch) kontrafaktisch gefragt, wenn der neue Leiter der Documenta mit Stephan Ernst befreundet wäre, dem Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, so wie Ernst mit Karl-Heinz Hoffmann?
ANM 2:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Heinz_Hoffmann_(Rechtsextremist)
Kontrafaktisch ist ein gutes Stichwort für die stories und plots des Romanciers Pietrangelo Buttafuoco: Seine Themenfelder artikulieren sich in posthumen Rehabilitierungen und Würdigungen. Wie etwa schon im Titel des 2014 beim respektablen Mondadori-Verlag erschienenen I Cinque Funerali della Signora Goering (wörtlich: Die fünf Bestattungen der Frau Göring) angespielt. Den romanziere Buttafuoco interessieren die Ränder einer großen Geschichte, die bei ihm aber am Ende immer eine Geschichte großer Männer bleibt. Dabei kontrastiert vom auffälligen Hang zur als weiblich fantasierten Heroengestalt. So auch in dem bereits 2005 erschienenen Roman Le Uova del Drago (wörtlich: Die Eier des Drachen), dessen Anliegen Buttafuoco selbst so beschreibt:
„... Die Eier des Drachen ... war nach Art des (sizilianischen, jgw) Puppentheaters der Roman über die junge deutsche Spionin Eughenia Lenbach, die in den Jahren der amerikanischen Invasion auf Sizilien blieb, um hier den Aufstand des Mittelmeers gegen die Alliierten vorzubereiten.“
ANM 3:
Nota Bene: Nicht die Wehrmacht oder die SS firmieren bei Buttafuoco als Invasoren, sondern die US-Army. Aber es hieße, dem Autor auf den Leim gehen, wenn man diesem Roman zugutehielte, dass er die historisch fatale Kollaboration der Alliierten mit der lokalen Mafia kritisiert – das haben lange vor Buttafuoco bereits Unzählige getan. Zugespitzt formuliert hat nämlich erst die Intervention der Alliierten, die es vorzogen, lieber mit Kriminellen als mit Kommunisten zusammenzuarbeiten, genau den Staat im Staat etabliert, den wir heute als „Organisierte Kriminalität“ im Weltmaßstab agieren sehen. Genau davon jedoch in den „Uova del Drago“ kein Wort.
Zu der hier, wie gesagt, weiblich fantasierten Heroengestalt, gesellen sich willfährige Exoten, die, förmlich aus dem Abenteuerroman der Kolonialzeit gestanzt, nun wie aus dem Nichts einer Spielkonsole als arabische Krieger in der Szene erscheinen, sofort aufs Geschickteste zu meucheln wissen, sodann wieder verschwinden und also wirr im Dunkelfeld von Wüstenfilm, Untertanentum und Fanatismus herumpendeln. Letztlich bleibt ihnen kaum mehr, denn als Randfiguren sozusagen den Abspann des Romans zu füllen. Ganz an das Ende nämlich der Uova del Drago hat Buttafuoco „i destini“ gestellt, was im Deutschen als ‚weiteres Schicksal‘ wiederzugeben wäre, nur eben im Plural. Und so lautet das Schicksal eines Salman el-Allawi, der wie das Schlitzohr eines Edgar Wallace-Films im subtil vernebelten Hafengelände entkommen kann, und der also:
„... wundersamerweise den Agenten der britischen Geheimdienste entflohen, an Bord eines spanischen Schiffes am 12. August 1946 in Malaga sein wird, von wo aus er die Reise nach Casablanca fortsetzen und dort Giuseppe Bottai treffen wird. Die letzten Hinweise über seine Person werden sich in den Tagebüchern des letzteren finden, und ihn als in den „Tercio“ aufgenommen angeben, die spanische Fremdenlegion.“Wie bei Ernst Jünger geht es auch bei Buttafuoco um Chiffren. Die Chiffre Bottai beispielshalber steht für einen Intellektuellen, der schon 1919 zur faschistischen Bewegung stößt, bei d’Annuzios eroto-militaristischem happening in „Fiume“ (also in Rijeka) auftaucht, später am Kolonialkrieg in Abessinien teilnehmen, Mitglied der faschistischen Regierung und Ende der 30er-Jahre als Ministro dell’ educazione nazionale für die prompte Umsetzung der Rassegesetze im Bildungsbereich sorgen wird.
Tercio, eine weitere Chiffre, war weniger als Fremdenlegion berüchtigt, denn als blutrünstiges, für seine Exzesse und Grausamkeiten gefürchtetes Mördercorps, das im spanischen Bürgerkrieg wie eine Präfiguration aus Daesh und SS-Einsatzgruppen vorging, und in Form von Freiwilligen-Verbänden im Vernichtungskrieg der Wehrmacht weitermachte – Schlachtruf: „Viva la muerte“ – Es lebe der Tod.
ANM 4:
Bereits der Begriff ‚Fascismo‘ verweist ja auf ein Tötungsinstrument: Die fasces genannten, mit Beilen versehenen Rutenbündel der Liktoren, die, standrechtlich, jedes Vergehen am höchsten Amtsträger der Römischen Republik mit dem Tod ahnden konnten.
Fascisten, das war also zunächst eine Wortschöpfung, die so abenteuerlich klang wie etwa Guillotinisten, aber auf jeden Fall nach Herren über Leben und Tod. Wenn John Heartfield 1934, also für die bereits illegal erscheinende „Arbeiter Illustrierte Zeitung“, in der Montage „Blut und Eisen“ das Hakenkreuz als aus 4 blutigen Fallbeilen zusammengesetzt darstellt, trifft er den symbolischen Kern exakt.
Da ist es nur konsequent, wenn Enzo di Mauro in seiner Rezension für die linke Tageszeitung il manifesto nicht mehr weiß, ob er Buttafuoco einen “wahlweise [überzeugten] Faschisten oder gleich [überzeugten] Nazifaschist “ nennen soll. Di Mauros Fazit zu den Uova del Drago: „Ein Albtraum aus populistischer Sentimentalität, Nostalgie, Ressentiment und einem Frust, der als Patriotismus verkleidet daherkommt.“
ANM 5:
(il manifesto 01.12.2005) https://archiviopubblico.ilmanifesto.it/Articolo/2003080962
Waren die Uova del Drago eine Art ins Manieristische gekipptes Edgar-Wallace-Remake, nehmen sich I Cinque Funerali della Signora Goering aus, als sei man noch während der Exposition eines Roland-Emmerich-Films im Kinosaal eingenickt und eine unbestimmbare Zeit später in einem Veit-Harlan-Film wieder aufgewacht. Auch in Harlans Melodramen fungiert ja regelmäßig eine stets zu früh, aber immer dramaturgisch exakt verscheidende Schwedin als thanato-erotische Männerphantasie.
ANM 6:
In der „Ästhetik des Verschwindens“ (1980, dt. 1986, S. 103) weist Paul Virilio darauf hin, dass mit der Frauenemanzipation das Moment von Verführung auf die Technik übergehe: „Die Frau kann nun ... in schnelle Maschinen steigen ... und das artifiziell Weibliche wird [nunmehr] eingesetzt zur Aufwertung des Fahrzeugs ... und in der politischen und militärischen Propaganda.“
Klaus Theweleit würde diese Frauengestalten womöglich eher als Produkt der Körperpanzer soldatischer Männer auffassen ... (Klaus Theweleit, „Männerphantasien“, Stroemfeld/Roter Stern, FfM/Basel 1977/78; Neuausgabe Matthes & Seitz, Berlin 2019).
In I Cinque Funerali … erlebt die – Treffer: schwedische Carin Goering, geb. Freiin Fock, das, was der Titel verspricht: Fünf Beerdigungen. Familiengrab, Mausoleum, Waldbestattung, falsche Leiche eine im Kern absurde, von Buttafuoco auffallend spannungsarm, ja schlaff erzählte Kriminalgroteske;
„1991 jedoch stießen Schatzsucher auf einen Sarg mit menschlichen Überresten“; weiß, unerwartet plot-affin, die Wikipedia.
ANM 7:
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Carin_G%C3%B6ring&oldid=243273799
Im wirklichen Leben folgt dann, was inzwischen so unvermeindlich ist wie ein Social-Media-Account: der DNA-Abgleich. Im wirklichen Leben. Im Roman endet die Geschichte mit einer Geheimoperation in der DDR und, ungelogen, dem Absingen des Liedes casa dolce casa (wörtlich: home sweet home).
Um die air dieses romanzo zu erahnen, hier nun, als Kirsche auf der wie vergorene Sahne verschmierten Erzählung, die Charakterisierungen der Figur Hermann Görings im ersten Teil des Romans (dahinter jeweils die Seitenzahl):
ein junger Mann, ein Flieger (10); ein Flieger, der in der Lage ist, einem fürchterlichen Schneesturm im letzten Winkel des Himmels zu begegnen, ein blonder Athlet des Himmels, ein in der Flugschule eingeschliffener Soldat, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz und dem Orden Pour le Mérite (12): „Hauptmann Hermann Wilhelm Göring, ehemaliger Kommandant des Richthofen-Geschwaders, ...“ der Hauptmann ... einem Meister ebenbürtig (13), und in der Tat stellt Hermanns hochgewachsener, kräftiger und schlanker Körperbau die Verklärung eines fernen Ritters dar, eben als, der junge Soldat (14), oder Der Jäger im Geschwader des legendären Roten Barons, sein Erbe, der Held, dem in jedem Winkel der ehemaligen Mittelmächte Beifall gezollt wurde, und der jetzt – mit kaum 27 – gezwungen ist, Pilot in der Svenska Lufttrafik zu sein,... (15) jedoch klingt ... das Echo seiner eigenen Stimme, mit dem Timbre von Stahl und Mündungsfeuer als von ... jemand, dem Unterschlupf gewährt wurde, wie einem Kutscher etwa, oder dem einfachen Fahrer eines Taxis, wenn auch eines fliegenden (16). Eben jener blonde Dämon (17), der wie auf ewig beim Rendezvous mit Carin der Mann am Kommando, der junge Hauptmann bleibt.
Soweit der gegenwärtige Präsident der Biennale von Venedig über den Kriegsverbrecher und historisch beispiellosen Kunsträuber Hermann Göring.
Apropos Humor. Der sieht bei Buttafuoco, beispielsweise in „i destini“ von „Le Uova del Drago“, so aus:
„Führer (den Sizilianern als „Ittilierru“ bekannt). Von ihm glaubte man, er sei mit dem Teufel im Bunde und, wie ein Phönix, dazu bereit, dank unendlicher kriegerischer Mittel wieder aufzuerstehen, mit einer Geheimwaffe ausgerüstet, einem magischen U-Boot, das in der Lage ist, den Briten ein Stalingrad unter Wasser zuzufügen. Er wird das Leben und den Krieg verlieren.“ Jetzt also hat die Vorsehung den Schriftsteller Buttafuoco, der als Journalist zuletzt unter dem Titel Beato Lui eine Endlosschleife von Elogen und Lobpreisungen des „Erzitalieners“ Berlusconi verfasste, auf den Posten des Direktors der Biennale von Venedig katapultiert. Womit sich die fromme Frage förmlich aufdrängt, was sich das weitere Schicksal wohl dabei gedacht hat, einen, der bisher nicht wirklich zur Riege der Goldfedern im italienischen Feuilleton gehörte, zum Direktor einer Einrichtung zu machen, die mit fast allen Künsten, nur eben nicht mit der Literatur zu schaffen hat? Zwar hatte Buttafuoco Anfang der 10er-Jahre eine Fernsehsendung mit dem Titel Questa non è una pipa (wörtlich: Dies ist keine Pfeife) auf RAI 5 moderiert, aber seine Orientierung, ob als Publizist oder Romanautor, war immer eine literarische. Im Weiteren verwundert, dass ein Autor, dessen Texte bislang nur auf Italienisch erschienen sind, der Präsident einer Stiftung für Weltkunstausstellungen wird.
Zeigte sich noch in den Regierungszeiten Berlusconis jenseits der Popkultur kein Interesse am kulturellen Sektor, fällt jetzt, unter Meloni, auf, dass es vor allem Männer aus dem Journalismus sind, die mit einer Art neu-italienischem Domino in die Spitzenpositionen kommen: Und nun ist, nach dem staatlichen Fernsehen RAI, der größten Buchmesse Salone del Libro, auch die größte moderne Kunstausstellung an das publizistische Lager der Fratelli d’Italia gegangen.
ANM 8:
Ergeben sich diese Personalien wirklich nur, weil der Meloni-Regierung „più sedi che culi“ (wörtlich: „mehr Ärsche als Posten“) zufallen, wie es Buttafuoco kürzlich selbst formulierte? Einigermaßen kurios bleibt: Auch nach 1 1/2 Jahren Amtszeit findet sich zum Generaldirektor der RAI (Jahresumsatz über 3 Mrd. Euro), Giampaolo Rossi, in keiner Wikipedia irgendein Eintrag.
Noch einmal zum Mitmeißeln: Wie bei einer Explosion in großer Entfernung, die zunächst ihr Bild in völliger Stille zeigt, und deren Krach erst nach einer Weile das Ohr erreicht, entfaltet sich die gegenwärtige Politik Melonis. Erst werden unter neoliberal-demokratischer Flagge die Institutionen strukturell auf Linie gebracht. Dann passiert eine Zeit lang fast gar nichts und dann ergibt sich im Kulturkampf (während auf der Bühne der großen Politik ein Polizeistaatsgesetz nach dem anderen folgt), fast wie von selbst, aber irgendwie nicht mehr wie immer, die Personalpolitik. Auffällig bleibt aber, wie dünn die Personaldecke dieser Politik ist, der es zwar gelingt, die Köpfe an der Spitze auszutauschen, nicht aber die Körper. Was machen nun die hinteren Reihen des kulturellen Sektors? Ignorieren können sie diese „Entwicklungen“ nicht. Setzen sie also auf Verweigerung? Arrangieren sie sich im Sinne eines kulturell verankerten Opportunismus mit der Kunst der passenden Gelegenheit? Üben sie vorauseilenden Gehorsam? Zuletzt hat Mitte September die Biennale di Musica wieder das Licht der Lagune geschaut und prompt mit dem Titel „Musica assoluta“ eine Kehrtwende ins 19. Jahrhundert vollzogen.
ANM 9:
Vgl. Rainer Pöllmann: https://www.deutschlandfunkkultur.de/biennale-musica-venedig-goldener-loewe-an-rebecca-saunders-dlf-kultur-57c6f021-100.html, 27. September 2024, 11:09 Uhr
Prognose: Buttafuoco, der seit einem Jahr jeglichem Interview entsagt, wird seiner Vorliebe für posthume Rehabilitierungen huldigen und in Venedig, am Sterbeort von Ezra Pound, dem US-amerikanischen Dichter und Edelfaschisten, der 1945 nur darum nicht als Kollaborateur hingerichtet wurde, weil man ihn gnadenhalber hatte für verrückt erklären lassen, einen großen anachronistischen Brocken in die Lagune werfen, auf dass eine „Welle“ (FAZ) oder ein „Tsunami“ (Zeit-Online) durch die Betriebsräume des bürgerlich-republikanischen Kulturbetriebs schwappen kann, der wieder nicht verstehen wird, dass das hier langsam kein postmoderner Spaß mehr ist, sondern der postmoderne Ernstfall. – Apropos: Buttafuoco hieße wörtlich: Feuerwerfer.
Letzte Anmerkung:
Die aus den genannten Publikationen von P. Buttafuoco zitierten Textstellen wurden vom Autor selbst aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt. Dies gilt auch für nicht weiter gekennzeichnete Zitate aus anderen italienischen Texten.
Bild: Montage Andreas Koch (KI (Koch-Intelligence))