Notstände des Winters

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05-2024

Die Belohnung für mich war die kuschelige Rückbank auf der Rückfahrt. Die heiße Hand, die meine auftaut, gehört zu einer mageren Gestalt voller Abgründe. Im Fernsehen am Abend desselben Tages zu sehen im RBB, wie sie ihr weißes Haar schüttelt. Auf meinem Schild stand vorne „bleiben“ und hinten „alle zusammen“. Demo-Schilder mit ästhetischem Anspruch haben eine größere Chance in die Abendnachrichten zu kommen. Mit Klima-­Aktivistinnen also im Auto über die sanften Hügel der Uckermark, die unter einem azurblauen Himmel in der Sonne liegen. Kaum Windparks auf der Strecke durch den Wald, den lichten, der wenig Unterholz besitzt, aufgeräumt wie in einem Kinderbuch, man muss das Totholz liegen lassen, doziert E.-M., das Wieselchen mit Expertise aus den Bergwaldprojekten. Gestern stand sie noch mit dem Lastenfahrrad auf dem RAW-Gelände, mit der Verpflegung für Hunderte im Regen, umsonst, denn die Polizei hatte auf der Warschauer Brücke sofort gekesselt, nur rufen war möglich. Raffael auf der linken Straßenseite, Henning auf der rechten sind nicht aufzuhalten. Ihre Reden dringen über die Köpfe der Polizei zu mir, die ich mich schissermäßig fernhalte, während andere abgeführt und weggeschleift werden. Auch alle BVG-Kunden müssen sich zwischen den 800 Bullen hindurchschlängeln. Polizeigewalt in Berlin, die neue Masche in der CDU regierten Stadt. Da knicken sie dir das Handgelenk nach unten, das nennt sich Schmerzgriff, weil’s wehtut, so geht’s ab in den Gefangenen-Transporter und dann nach Tempelhof in den Gewahrsam. Im U-Bahnhof Warschauer Straße Statements sammeln gegen die Kriminalisierung der Letzten Generation. Mirjam Herrmann droht als Gründungsmitglied jahrelange Haft, eine Jeanne d’Arc vor Gericht. Das würde aber auch bedeuten, dass man sich als Unterstützer:in strafbar macht, das wollen die ja in Neuruppin: ein Knock-out für die ganze LG, eine Bremse für alles Engagement der Klima-Bewegung. Der Tonmann eines Dok-Filmers hält die Angel über eine aufgebrachte Mutter, während mich die Polizei bereits ins Auge gefasst hat. Nasskalt und eisig fegt der Wind. Ab und zu schallt es „climate justice“ über die blockierte Fahrbahn. 5 Stunden lang wird die Polizei den Protest so aufhalten und die Aktivisten fest, inklusive Schichtwechsel.

Prenzlau gegen rechts
Sticker der Initiative KEIN BOCK AUF NAZIS, die die Proteste in der Provinz koordiniert und anderes Mobi-Material gibt es am überdachten Info-Tisch, eine kleine Bühne verheißt, dass heute hier in Prenzlau was los sein wird, links gibt es gegen Spende selbst gebackenen Kuchen, ein sehr junges Mitglied der DIE PARTEI trägt die rote Krawatte Martin Sonneborns, jemand von der OPFERPERSPEKTIVE konstatiert die blutige Kontinuität der Rechten in der Uckermark seit 1991, eine sibirische Sängerin singt von Freiheit und der Sänger einer Punkband, der ohne Band gekommen ist, will, dass wir gemeinsam FUCK AFD schreien. Der Nusskuchen schmeckt nach mit Liebe gemacht. Drei Jugendliche lassen sich blicken. Drei! Ansonsten ist das hier eine magere 50+-Veranstaltung, aufgeblasen von den Zugereisten aus Dresden, Leipzig und Berlin.
Die drei stehen wie angewurzelt in der letzten Reihe und halten steif eine riesige Antifa- und eine „Gegen Nazis“-Fahne in die Luft, die sie zum Schluss der Kundgebung rasch wieder einrollen. Die Eltern, Geschwister, die Leute in der Schule oder in der Lehre seien rechts. Man müsse sich ständig ausländerfeindliche Sprüche anhören. Die Gleichaltrigen seien rechts.
„Und wie kommt es, dass ihr es nicht seid?“ – „Mein großer Bruder hat uns die Augen geöffnet.“
„Und wo ist jetzt der große Bruder?“ – „Zuhause, er ist etwas scheu.“
„Was macht man, wenn man eine Party feiern will?“ – „Naja, da kommen nicht so viele.“
Auf dem Designer-Gelände der Landesgartenschau (2013) gehen, wie auch auf der Uferpromenade, Migrant:innen spazieren. Ob sie ahnen, wie blaubraun die Bilanz auf der Kundgebung ausfiel?
Sollte der Afrikaner, der mit uns an der Bushaltestelle wartet, wissen, was das bedeutet: OMAS GEGEN RECHTS? In Prenzlau scheint alles in Ordnung. Ich habe schon lange nicht mehr eine so saubere Stadt gesehen, eine Stadt, in die offensichtlich viel Geld geflossen ist, die mittelalterliche Stadtmauer, die Altstadt mit dem Kloster und die gotische Backsteinkirche sind nicht nur als Fotomotive herausgeputzt. Hier kann man auch leben, direkt am großen Unteruckersee, und im Sommer mitten in der Stadt ins Wasser springen.
Rund wird der Tag des Engagements (17.3.2024), wenn man abends wie Christine in „The Zone of Interest“ geht, zeitgleich erscheint in Nahaufnahme das Schild der Malerin im RBB: „Vielfalt leben und pflegen“. Die Schnipsel unserer kleinen Demo sind eingebettet in einen Bericht vom großen Parteitag der AfD in Jüterbog.

Eberswalde gegen rechts
Die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung bringt Studierende nach Eberswalde. Dort gibt es eine linke Szene, die sich u.a. in der ehemaligen Büttenpapier-Fabrik Spechthausen eingenistet hat – eine bunte Gemeinschaft von 150 Bewohner:innen, mitten im Wald. Am Bahnhof, bingo!, werde ich gleich im Auto mitgenommen zur Demo. Die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes dominiert das Bild mit einem sorgfältig gemalten Transparent: ALLE ZUSAMMEN GEGEN DEN FASCHISMUS. Auf der Kundgebung am Marktplatz ist die Stimmung an diesem Tag feierlich wie im Gottesdienst. Oft muss ich schlucken, weil deutlich zu spüren ist, wie viel mehr Mut es braucht, hier auf die Straße zu gehen und wie verdammt dringend das ist. Dabei sind die Nazis gar nicht da, auch ist niemand da von der Letzten Generation, die eigentlich aufgerufen hatte, hierhin zu fahren. Die Hippies haben eine vegane Suppe für alle mitgebracht, aber auch die verschiedenen Cafés rundum versorgen geschäftstüchtig die 500 Leute.
Eberswalde hat eine begnadete Liedermacherin, Rosa. Ohne das Wort Heimat zu benutzen, singt sie davon, wie sehr sie es liebt, hier zu leben, nunmehr in Spechte, diesem besonderen Ort, wo es kein Ding sei, einen frischen Pulli zu kriegen, was zu essen oder ein Bett. Sie singt auch von den Sternen und dass die verschwunden seien, seit man die Straße nachts hell erleuchtet. Mehr bunte Leute springen auf die Bühne. Theo am Akkordeon. Sie haben „Freude schöner Götterfunken“ zu einer neuen linken Hymne umgedichtet, später singen alle immer wieder und im Kanon: „Wehrt euch, leistet Widerstand gegen den Faschismus hier im Land, haltet fest zusammen.“ Währenddessen nehmen wir uns an den Händen und bilden eine Menschenkette um den Platz.

Velten gegen rechts
Schwante, Vehlefanz, Oberkrämer, Bärenklau, Leegebruch. Schon mal gehört? Sehr leicht erreichbar und gar nicht weit ist Velten, wo am Ostersamstag die „Blaue Welle“, eine Propaganda-Tournee der AfD anrollen sollte. Deswegen sind wir dahin. Wir, das sind Gudrun, eine frischgebackene „Oma gegen Rechts“, ich und zahlreiche Angereiste von der Oberhavel und natürlich aus Berlin. Seit Wochen hatte das rechtsextreme Magazin Compact eine Kampagne gefahren, die sie an einem Gewaltdelikt am Veltener Bahnhof aufhängte, in das Personen mit Migrationshintergrund verwickelt waren. ALLE ZUSAMMEN FÜR DIE PA­TRIOTISCHE WENDE steht nun auf den Plakaten, die für die „Blaue-Welle“-Tournee werben. Vom Zugfenster aus sieht man Männer eine Bühne aufbauen wie für ein Rock-Konzert. Das Parkplatz-Gelände ist noch leer. Am Bahnhof haben sich bereits Hundertschaften der Polizei aufgestellt wie jüngst an der Warschauer Brücke.
Der evangelische Posaunenchor spielt zur Eröffnung der Gegenveranstaltung. An trostlosen Plattenbauten und einer Hüpfburg mit Farbpulver-Spaß vorbei führt der Umzug durch die Kleinstadt zum Rathaus, wo unlängst nicht nur die Bürgermeisterin bedroht und im Internet fertiggemacht wurde.
Weder in Ausmaß noch Gestaltung unterscheiden sich die Deutschlandfahnen der AfD von denen der SPD, auch vom performativen Look der Fahnenträger:in kann man nicht auf einen inhaltlichen Unterschied kommen. Die Frage also, was soll das: Deutschlandfahnen auf der Gegen-Demo? Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ariane Fäscher erklärt sich explizit auf der Bühne. Deutschland stehe für Demokratie und eine offene Gesellschaft und deswegen stehe dafür auch die schwarz-rot-goldene Fahne, die sie hier trage. Man solle den Blick auf das Positive richten, der Demokratie eine positive Geschichte zurückgeben.
Auf dem kleinen Podest vor den Hyazinthen, Primeln und Narzissen treten viele leidenschaftliche Redner auf. Ein junger Veltener, der sich an die Entdeckung eines Stickers des „Dritten Wegs“ erinnert, als er 12 war, ein ehemaliger Pfarrer, der die Anfänge der Zerstörung der Menschenwürde in den Blick nimmt, jemand der seit neun Jahren vor Ort mit Flüchtlingen arbeitet und Susi vom Kreisjugendring mit ihrem Anti-Nazi-Rap. Am bewegendsten aber ist ein Blick in die Geschichte. Hier an diesem Platz wurden vor 80 Jahren zwei junge Männer aus der Ukraine, die als Zwangsarbeiter in der ortsansässigen Rüstungsindustrie verpflichtet waren, gehängt. Dreimal ruft die Menge laut die Namen der Jungs in den Ostersamstagnachmittag.

Illustration von hundert