BOCK JOHN 8. Nov. 2024
Hermann S. 1+1
Gropius Bau, Berlin
Erzählen ist sein Material. Und basteln. Und Welten erfinden. Seine Performance ist virtuos, kommt handgemacht und spontan ausgedacht daher, ist in meiner Vorstellung aber präzise vorbereitet und überlegt. Er fühlt sich wohl in seiner Welt, kann improvisieren, abweichen, reagieren und unvermittelt enden. Bock benutzt Worte wie Akzelerator, Schmiere, Innen- und Aussenwelt, Verwandler, Reflexionsscheibe, Weichmacher. Er beschreibt lustvoll irgendwelche Vorgänge von Landwirtschaftsmaschinen, eine Gastwirtschaftsstube, und die Welt von Hermann S.. Erfinderische Modellbauten dienen ihm als Bühne, auf denen er seine Worte mit Rasiercreme präsentiert oder mit Gleitcreme visualisiert oder Objekte melkt oder bepudert.
Es ist alles sehr einfach und null verständlich und eine helle Freude zum Schauen.
ANONYME ZEICHNER*INNEN 5. Dez. 2024
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Berlin
Es ist ein Fest und eine helle Freude. Alles.
TCHOBAN FOUNDATION 11. Dez. 2024
Museum für Architekturzeichnung, Berlin
Krass, wie konnte ich so lange nichts von diesem Museum mitbekommen? Der russisch-deutsche Architekt, Zeichner und Sammler Sergei Tchoban baute 2013 dieses schmale, viergeschossige Museum aus leicht auskrageden Kuben mit auffälliger Fassade plus gläsernem Dachaufsatz in eine Baulücke auf dem denkmalgeschützten Pfefferberg. Die Architektur ist ein Erlebnis (immer wenn in Berlin etwas edel ist, zuck ich kurz irritiert zusammen - um dann festzustellen, dass das Museum logischerweise von einer privaten Stiftung getragen wird. Wie auch die Spore Initiative in Neukölln). Die Ausstellung ein feines Schmankerl. Der Blick auf die Stadt: Veduten und Panoramen aus der Albertina. 32 Ansichten von Städten und Orten der letzten 400 Jahre. Ein Schauvergnügen. Alles sehr ernsthaft und streberhaft naturgetreu. Darum hab ich über Hohann Nepomuk Hoechles Venedig bei Sonnenuntergang von 1819 bissel geschmunzelt.
ASSIG MARTIN 25. Dez. 2025
Gottweisswo
St. Matthäus-Kirche und Stiftung Berlin
Also, spielt Assig mit der Sprache der Art brut, oder ist diese direkte Naivität ungebrochen und ernst gemeint? Und warum will ich die Frage unmittelbar klären? Ist ja eigentlich hupe, weil mir die Zeichnungen mit ihren ausdrucksstarken Setzungen zwischen Text, Ornament, Gesichtern und Wesen wahnsinnig viel Freude machen. Und doch interessiert mich die Haltung dahinter. Und ob die Naivität gelebt oder angeeignet und ggf. reflektiert wird? Fühle ich mich getäuscht, falls bloss angeeignet? Oder muss ich dann die Metaebene verstehen? Die Kautschukbilder auf Holz heissen Heilige eins und zwei, aber auch Aktivistin. Die Mut Mutter trägt kleine Gebet-Texte im Bauch.
Und aha, die 234 Zeichnungen St. Paul sind Ausdruck einer beinahe tödlichen Krankheit und tiefen Sehnsucht nach Leben. Toll. (Otto Lehmann)
SHOWCASE BEAT LE MOT AND GUESTS 5. Jan. 2025
Raven mit Long Covid
Hau, Hebbel am Ufer, Berlin
Showcase hat ein Minifestival mit dem Thema „Wie das Leben sich anfühlt, wenn nichts mehr geht“ auf die Beine gestellt und bietet Kunstschaffenden, die an Long Covid erkrankt sind, aber noch so viel Energie haben, sich auf eine Bühne zu stellen oder zu legen oder im Rollstuhl oder sonst irgendwie, von der Krankheit und dem Alltag zu erzählen, zu tanzen oder performen. Es gibt ein Vertikaltheater, bei dem die Besucher*innen liegend in den Bühnenhimmel staunen und stimulierenden Dingen (und einer Seiltänzerin) beim hoch und runter fahren zugucken, eine Disco, eine Soundbox aus Schafsfell mit Erfahrungsberichten, ein Kino mit Erfahrungsberichten, eine Performancegarderobe mit faulen Frauen, histaminarmes Essen mit Lesungen von Betroffenen, eine Ausstellung, Konzerte, das National Ballet of Kosovo und das war alles sehr gut.
GOLDIN NAN 8. Jan. 2025
This will not end well
Neue Nationalgalerie, Berlin
Niemand kann das Leben vom grossen Glück und von seinen schmerzhaftesten Seiten so gut aufzeigen wie Nan Goldin. Sie tut dies voller Liebe, Ausgelassenheit, Zuneigung und mit einem grossen Verständnis für jedwede Abgründe. Hingebungsvoll dokumentiert sie die Fragilität zwischen Autonomie und Abhängigkeit, wilden Partys, körperlichen Intimitäten und Abstürzen, Verlusten, Sucht und Krankheiten. Alles hautnah miterlebt, mitgefeiert, selbsterlitten, aus dem queeren Freundeskreis heraus. Dann die tragische Geschichte ihrer Schwester, der Familie, dem bürgerlichem Leben, den Konflikten. Ein grosses filmisches Tagebuch. In sechs Video-Dia-Boxen gepackt. Ultra.
TIRAVANIJA RIKRIT 10. Jan. 2025
Das Glück ist nicht immer lustig
Gropius Bau Berlin
Aber die Ausstellung ist sehr lustig. Und fein und klug und sinnlich und ich bin viel zu begeistert, um darüber zu schreiben.
Es ist mir ein biz peinlich, aber auch immer wieder ein Glück, mitten im Leben, komplett etablierte Künstler*innen und Positionen zu entdecken. Es lebe Berlin.
PICHL ANDREA 12. Jan. 2025
Wertewirtschaft
Hamburger Bahnhof
Also ich hab Beuys „Wirtschaftswerte“ noch nie versucht zu verstehen. Zu viel Angst vor dem Wort Wirtschaft. Und wenn Andrea Pichl darauf Bezug nimmt, ist doppelt Angst. Obwohl - mehr einladend geht ja gar nicht, denn Beuys Referenzarbeit (und einige Werke mehr) sind in Pichls Ausstellung einbezogen, (muss nochmal hin). Ich war vor allem heiß auf Pichls kritische Reflexion auf die Fertigbauweise der DDR sowie der piefigen Regierungsvillen in Wandlitz und den damit verbundenen Formen von kleinkariertem Wohnen und brutalster Staatsgewalt. Ihre A4 genormten Buntstiftzeichnungen von Bau- und Möblierungsdetails sowie Abnutzungsspuren der Serien Stasizentrale und Wandlitz und Dogmen sind aufregend: ich wanke zwischen „uff, diese schulische Manier des Abzeichnens“ und „doch, ultra-beklemmend-toll. Super Übersetzung und Gegenüberstellung der DDR-Gräuel“. Und im Podcast Was macht die Kunst sagt sie schlaue Sachen.
SNELLING TRACEY 8. Feb. 2025
How We Live
Haus am Lützowplatz, Berlin
Tracey Snelling baut Modelle von existierenden Architekturen und projiziert durch deren Fenster ein Innenleben aus Recherchen, Assoziationen, Erlebnissen. Diese fantastisch gebauten Welt-Verdichtungen (nicht pedantisch, aber präzise. Modelle können ja schnell was Puppenhausmässiges und irgendwie Totes, oder designerhaft-Hübsches ausstrahlen) sind hör-, sicht- und spürbar, machen Lust und wach und sind ein leuchtendes Vergnügen.