Elizabeth Felicella

Ein Nachruf von hundert

2025:Juni // Andreas Koch

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06-2025

Elizabeth Felicella
(1966–2024)

Irgendwann 1994/95 tauchte Elizabeth plötzlich auf, in Berlin, am Kleistpark, Fachbereich 6 der HdK, in der Klasse Möbus. Sie kam aus New York, sprach aber schon sehr gut deutsch. Sie hatte zwar einen amerikanischen Akzent aber nicht diesen breiten, mit dem Gurgel-R, ihrer war viel feiner, europäischer. Dies lag vielleicht auch an ihren Vorfahren einerseits aus Italien, wie ihr Name Felicella verriet, andererseits aus Polen oder dem Baltikum, jedenfalls Osteuropa. Sie sah deshalb gar nicht aus wie eine Italienerin, war blond und blass und hätte eher eine Engländerin sein können. Jedenfalls war sie plötzlich da, suchte Kontakt zu uns Möbus-Studierenden, fragte nach unseren Arbeiten und hörte interessiert zu, jedenfalls viel interessierter als wir anderen uns. Und sie konnte loben, was wir deutschen Kunststudenten weniger taten. Sie betonte die Vokale etwas länger und aus ihrem Mund klang „das ist so schön“ oder „das ist eine so schöne Idee“ besonders lobend. Ihre eigenen Ideen für neue Arbeiten waren selbst von einer besonderen Schönheit. Sie war ja fertig ausgebildete Fotografin, arbeitete als Bildredakteurin und studierte in New York auch parallel Germanistik. Sie fand mit Berlin eine Stadt vor, die einem Teil ihrer Identität, ihren familiären Wurzeln, ihrer Seele entsprach. Berlin lag damals in den neunziger Jahren ja noch sehr viel weiter im Osten, es war um einiges grauer, gebrochener, aber auch offener, weiträumiger und weniger dicht bevölkert als heute. Sie fotografierte mit Großbildkameras in Schwarzweiß, entwickelte und vergrößerte selbst, aber in Berlin interessierte sie sich weniger für Fotografie – als wäre das graue Berlin schon Bild genug – als für Kunst, die auf Ideen basiert.
Ihre konzeptionellen Arbeiten hatten gerade in ihrer Bildlosigkeit eine große fragile Schönheit, sie handelten vom Verschwinden, hinterließen kein Werk, kein Produkt, verschwanden selbst. So ging sie zum Beispiel in Fotoautomaten und nahm die Bilder im Ausgabeschacht nicht mit, als hätte sie es vergessen. Vielleicht hängt nach über dreißig Jahren noch ein Streifen mit ihrem 4-fachen Porträt in einer Berliner Wohnung, wer weiß. Oder sie ging zum Brandenburger Tor und stellte sich unbemerkt in die Nähe der sich vor dem Tor postierenden Touristen, um mit auf das Bild zu gelangen, ein bisschen wie Woody Allens Zelig. Oder sie hinterließ in Telefonzellen kleine von Hand geschriebene Notizen, Miniaturen, wie hingekritzelt. Eine Liste vielleicht mit komischen, noch zu besorgenden Dingen.
Aber sie ging wieder zurück nach New York, denn sie war doch mehr New Yorkerin als Berlinerin, wohnte mit einem alten Mietvertrag inmitten von Manhattan, Amsterdam Avenue, Höhe der 110er-Straßen.
Sie arbeitete dort als Architekturfotografin, in Farbe, sie hatte viele Aufträge, war sehr gefragt. Viele ihrer Bilder strahlen eine Ruhe aus, eine Art Magie, die die der Architekturfotografie immanenten Ruhe noch übersteigt. Und das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sie in einer der stressigsten Städte der Welt lebte und man dort nur überlebt, wenn man drei, besser vier Jobs am Tag gleichzeitig macht. Sie fand dennoch die Zeit für ihre Langzeitprojekte. Ein frühes hieß Idlewild, so der ehemalige Name des John F. Kennedy Airports vor dessen Umbenennung 1963. Ihr Vater war Flugzeugpilot, Linienflieger und ihre Mutter Stewardess. Elizabeth umkreiste zum Beispiel den weit draußen, hinter Brooklyn liegenden Flughafen, fotografierte all die Brachen, Industriegebäude, die Brackwassertümpel, Parkplätze, die sich in diesem Niemandsland, rund um das riesige Fluggelände befinden. 1998 zeigte sie eine Auswahl der Bilder, schwarzweiße Abzüge auf schwere Holzplatten aufgezogen, in meiner kleinen Galerie Koch und Kesslau. Als die Ausstellung zu Ende ging, nahm sie kein einziges Bild wieder mit, obwohl wir nichts verkauften (wir verkauften bis ins Jahr 2000 nie etwas, weil wir niemanden kannten, der etwas kaufen wollte und konnte). Sie verschenkte alle Bilder an Freunde.
Bei einem späteren Projekt fotografierte sie über Jahre alle 210 öffentlichen Bibliotheken New Yorks, deren spezielle Architektur, ohne Menschen darin, vor der Öffnungszeit, und bedauerte einmal in einem Interview, die Schlangen vor der Tür nicht fotografiert zu haben, die auf Einlass wartenden wissbegierigen Menschen. Da musste sie schon wieder weiter, die schon eingepackte Kamera dabei.
Jetzt verschwand sie endgültig. Sie hinterlässt viele Spuren und bewahrte viel vor dem Verschwinden. Der Anlass, die Bibliotheken zu fotografieren, war der Schock über die Schließung einer ihrer Lieblingsbibliotheken. Sie dachte, es wäre für immer, und als diese nach Renovierung wieder öffnete, sah sie dies als Zeichen und Auftrag zugleich. Sie begriff schon damals, wie prekär die Institution Bibliothek werden wird. Trotzdem entstand bis jetzt nie ein Buch daraus. Vielleicht war das Medium Buch mit ihrem Namen vorne drauf schon zu manifest für sie. Was sie jedoch tat, war, kleine Abzüge ihrer Bilder der Bibliotheken in zufällige Bücher von dort zu stecken.

Elizabeth Felicella, 1998 auf dem Dach der Hansabücherei, Berlin, Foto: Susanne Lorenz