Juergen Teller

Sabbioneta

2025:Juni // Andreas Koch

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06-2025

Juergen Teller stammt aus der Nähe von Erlangen. Bekannt wurde er als Modefotograf, wobei er dieses Feld schon immer weiter fasste. Deshalb könnte man ihn auch als bildenden Künstler begreifen. Aber anders als Wolfgang Tillmanns, der einer ist, forscht er weniger nach dem, was ein Bild sein könnte, sondern interessiert sich mehr dafür, was es zeigen kann. Und dafür stellt er mit sich und seinen Modellen einiges an. Eins der bekanntesten Bilder ist wohl das aus einer Serie mit Charlotte Rampling, sie am Klavier, er nackt in Kleinkindwindelpose darauf, den Anus in die Kamera. Auch liebt er es, die Verletzungen, die das Leben anrichtet, ungeblümt zu zeigen, am liebsten mit Starmodels wie Kristen McMenamy, berühmten Schauspielern wie der oben genannten Charlotte Rampling oder zum Beispiel anhand der mittlerweile verstorbenen Vivienne Westwood, die ihr Geschlecht offen der Kamera Tellers präsentieren durfte. So ist er immer nah an der Grenze von Tod und Leben, er selbst verkörpert dabei das Leben, auch vor der Kamera, er arbeitet dann mit Selbstauslöser.
In der kleinen Stadt Sabbioneta in der italienischen Po-Ebene, nicht weit der Stadt Mantua, mit der sich Sabbioneta den Titel Unesco-Weltkulturerbe teilt, ist eine größere Ausstellung Tellers zu sehen. Die italienische Idealstadt der Renaissance, gebaut Mitte des 16. Jahrhunderts, ist wohl auch ein idealer Ausstellungsort für Juergen Teller. Eigentlich ziemlich unbekannt, schmückt sie sich mit dem Star, und er passt mit seiner dionysischen Kunst perfekt in die mit übervollen Fresken ausgestalteten Räume des Palazzo Giardinos. Wobei der Hauptteil der Ausstellung auf einem sicher 70 Meter langen Tisch stattfindet. Dieser befindet sich in einer sehr langen Halle mit den Maßen ­eines darunterliegenden Arkadenganges. Teller breitet dort sein Schaffen der letzten 7,5 Jahre aus, gespickt mit Zitaten und Verweisen auf sein Gesamtwerk. 7½ heißt die Ausstellung und bezeichnet auch die Dauer seiner aktuellen Beziehung und Zusammenarbeit mit Dovile Drizyte. Seit eben diesen siebeneinhalb Jahren verbrächten sie alle Tage und Nächte zusammen, so Teller in einem kurzen Statement zu Beginn.
Es ist die Gegenüberstellung dieses zeitgenössischen Fotografens, der so vehement das pralle Leben vor die Kamera zerrt, mit einem ähnlichen Typus Mann, so stelle ich mir ihn jedenfalls vor, der 450 Jahre zuvor lebte, was mich zu diesem Text treibt. Vespasianio Gonzaga war ein Adeliger dritten, vierten Grades aus Neapel, der sich an dem damals sehr mächtigen spanischen Hof der Habsburger in Spanien beliebt und nützlich machte. Er wurde ein gefragter Festungsbauer und enger Berater des Königs Philipp II. Er fokussierte seine Tätigkeiten zum Ende seines Lebens auf den Ausbau seiner kleinen Stadt in der Po-Ebene. Er baute sie zu einer imposanten Festungsstadt um, errichtete Palast, Theater, Kirche. Er war ein damaliger Superreicher, ausgestattet mit Mitteln seiner reichen spanischen Freunde. Sein Geld bekam er durch Heiraten und Kriege, in die er immer wieder zog und so in der Gunst von Kaiser Karl V. und dessen Nachfolger immer höher stieg. Kurzzeitig war er Vizekönig von Navarro und Valencia. So eine Jobbezeichnung gibt es ja nicht mehr und sie klingt nach vorrangig Geldeinnahmen ohne Arbeit. Seine erste Frau vergiftete er, nachdem er sie mit einem Liebhaber erwischte, erbte aber einige Ländereien in Sizilien. Die zweite war eine echte Aragon, und dann gab es noch eine dritte.
Das hat, bis auf die drei Ehen, nicht viel mit Teller zu tun. Es ist das Katholische, das Bacchushafte, das Bildgewaltige und Bildbesoffene sowohl in den wirklich üppigen Fresken als auch auf dem Holztisch Tellers, das einen protestantischen, bildskeptischen, etwas vertrockneten Künstler wie mich genauso anzieht wie abstößt, fasziniert und langweilt zugleich. Diese inszenierte Lust, dieses ständige Zeigenwollen und -müssen, all das was auch mit Instagram und allen anderen sozialen Medien so präsent ist und unser Zeitalter wie unsere Zeit bestimmt. Wir sehen alles durch unsere Smartphones, sei es, indem wir unser Motiv fixieren, sei es, indem wir unsere Bilder und die der anderen darauf anschauen. Eine Eliasson-Schau ist eben auch hauptsächlich ein Fotomotiv, genauso wie das Bein der Dovile Drizyte im Hotelbett oder die gemeinsame Tochter Iggy Teller in den Posen der Modelle der wichtigsten Fotos des Vaters.
Aber so what? Ich war wirklich gut unterhalten, diesen einen Morgen in Sabbioneta, ich hab sogar zwei Bilder mit meinem miserablen Handy gemacht, im Theater und in der Ausstellung (siehe diese Seite). Ich glaube, diese Bildfülle, die Bildersucht, als Rezipient, als Macher, bei Teller, bei Gonzaga, bei uns allen, kratzt immer auch ein bisschen an unserer Angst vor dem Tod, die auch eine Angst vor dem Verpassen, dem Nicht-genug-gelebt-Haben ist. Das können die Katholiken besonders gut, diese Angst hervorkitzeln, um dann ihr Angebot zu unterbreiten. Und die großen Internetgiganten können das halt auch, mit ganz anderen Angeboten.

Epilog: Das Teatro Olimpico in Sabbioneta wurde fünf Jahre nach dem berühmten namensgleichen, in Vicenca von Andrea Palladio gebauten Theater, eröffnet. Kurz danach starb Vespasianio Gonzaga im Alter von 60 Jahren und es gab keine Aufführungen mehr. Das Theater verfiel und wurde erst 1980 restauriert.
Juergen Teller hat Gonzaga mit mittlerweile 61 Jahren schon überlebt und veröffentlichte kürzlich einen Fotoband über Auschwitz, bei dem ich mich fragte, warum bloß, vor allem, weil er in Sabbioneta neben zehn Exemplaren seines Handtaschenbuchs liegt?
Als ich aus Italien nach Berlin zurückfuhr, blieb mein Zug in Nürnberg hängen. Ein Selbstmörder warf sich in der Nähe von Erlangen vor den mir entgegenkommenden Zug, ich hatte vier Stunden Verspätung und fing an, diesen Text zu schreiben.

Juergen Teller, 7 1/2, Palazzo Giardino, Sabbioneta (IT),
13.4.–23.11. 2025
Porträt Vespasianio Gonzaga, ca. 1550
Porträt Juergen Teller: Pascal Ferro, 2013
Teatro Olimpico Foto: Andreas Koch
Juergen Teller, Ausstellungsansicht 7 1/2, Foto: Andreas Koch