Die Rubrik Nachrufe existiert in der von hundert seit der Raum-Ausgabe von vor einem Jahr, es ist also das dritte Mal, und traurigerweise füllt sie sich immer wieder neu. Hans Hemmert starb im Januar. Ich schickte ihm erst kürzlich, um Weihnachten, eben besagtes Raum-Spezial-Heft, viel zu spät, denn lange versprochen. Seine letzte Einzelausstellung zu Lebzeiten hatte ich im Herbst letzten Jahres in Ludwigsburg gesehen. Ich machte einen Schlenker zu meinem Zug von Stuttgart gen Berlin, denn ich war gerade bei dem 90. Geburtstag meiner Tante zu Besuch in Süddeutschland und saß meinem ebenfalls todkranken Onkel beim Essen gegenüber.
Die Eröffnung hatte ich deshalb verpasst und damit auch Hans, wie so oft. In der Ausstellung dann, zwei Tage nach der Eröffnung, verpasste ich noch mehr. Zum Beispiel, dass die große Schleifenskulptur aus gebogenem Rohr ein Wort darstellte, Raum oder Raumwende, erst später, bei einem anderen Geburtstag, beschrieb mir Martin die Höllenarbeit, die es brauchte um die Schleife dann zu schließen. Als Hans dann kam, um zu korrigieren und weiter zu biegen, schrien alle nur auf, das Raumwort war nahe am platzen. Wie seine großen gelben Luftballonarbeiten, seine den Raum mit gelber Farbe und Luft füllenden Blasenskulpturen auch immer drohten, die Luft und damit die Raumfülle zu verlieren. Was sie dann natürlich nicht taten. Manchmal ging er dann selbst in seine gelben Raumblasen, die sein Auto oder sein Atelier ausfüllten und fotografierte sich da drinnen. Er war dann in einer Art Parallelwelt, alles Farbe, gelb, weiche Konturen, wie verhangen, aber andersrum. Und er mit seinem glatzigen Kopf da drin wie ein Alien, einziger Bewohner, als würde er in sich selbst leben, in seinen Rauminnereien.
In einem letzten Video, das er neben dem berühmten Fußballspiel der Philosophen Deutschland gegen Griechenland von Monty Python zeigte, sieht man Hans eine moderne Raumschleife fahren, in einem Tesla mit Riesen-Navi und durchsichtigem Dach. Das Navi führte ihn Richtung Osten, dahin, wo die Familie ein Ferienhaus in den Kiefernwäldern besitzt, denkt man. Aber der Weg biegt ab, Waldwege, irgendwann ist das Ziel, irgendeine Lichtung, scheinbar erreicht. Er steigt aus, hat plötzlich eine Sense und eine Mönchskutte an, senst ungeduldig ein paar Halme, schmeißt die Sense weg und fährt zurück, um an einer Autobahnauffahrt zu halten und in die untergehende Sonne zu schauen, so oder so ähnlich. Daneben kommentiert der Monty-Python-Moderator den letzten Pass, war es Heidegger? Derrr Rrrraum. Man hört Hans’ fränkisches R rollen.
Am Ende ist der Krebs eben auch so eine raumgreifende Krankheit, anders als der Infarkt, der einfach den Stecker zieht.