Ich hab’s, jetzt müssen mir nur noch alle folgen. Hat das Feuilleton eben nicht noch nach einem positiven (möglichst linken) Narrativ gesucht, oder ist das schon wieder Schnee von gestern? Es ist doch ganz einfach: Wir müssen die Welt einfach als ein Kunstwerk betrachten – mehr braucht es nicht. Vielleicht nicht gerade als unser Werk, sondern eines, das es bereits vor uns gab und das es lediglich zu bewahren, zu pflegen und zu deuten gilt. So wie auch Künstler sich unermüdlich um ihre Werke sorgen. Das nenne ich echte Care-Arbeit. Betrachten wir, wie der Medientheoretiker Boris Groys es tut, die Werke der Künstler als deren symbolische Körper, dann sorgen sie sich sogar über ihren eigenen Tod hinaus um diese, selbst dann, wenn sie zu Lebzeiten keine Beachtung finden. Für die Pflege der Welt als Kunstwerk ist das doch vorbildlich, entgegengesetzt einer Nach-mir-die-Sintflut-Haltung. Heute ist eine ganze (Kultur-)Industrie damit beschäftigt, Kunstwerke zu beschreiben, zu erhalten, zu transportieren, zu kombinieren und zu veröffentlichen. In einer Form respektvoller Aneignung. Anders als in der Bibel, wenn dort der Mensch aufgefordert wird, sich die Welt Untertan zu machen. Da es in der Kunst, anders als in der Bibel, (potenziell) um nichts geht, heißt das auch, dass es um alles geht. Und was ist dies Alles anderes als das Leben selbst? Moderne Kunst bietet in ihrer kultivierten Widersprüchlichkeit, intuitiven Vernunft, handwerklichen Intelligenz, rätselhaften Erregung, ihrem symptomatischen und symbolischen Charakter doch allen Grund, kultisch verehrt zu werden. Was ansatzweise, zum Beispiel im Museum, auch geschieht. Dabei ist das Museum selbst für den Krieg (dieser Tatsachenkult) der richtige Ort. Dort kann er sich im Als-ob austoben. Gleichzeitig ist das Museum, wie jedes Archiv, doch anders als Galerien, Messen, Kunstvereine, Biennalen und documenta, der Ort begehbarer Erinnerungen, an dem immer auch Vergangenheit verhandelt wird. Das Museum ist der Ort für das Überleben unserer symbolischen Körper und eine Wertschätzung der Vergangenheit. Aber eben auch nur eine Schätzung. Eine, die von der Gesellschaft getragen wird, wobei die Auswahlkriterien letztendlich enigmatisch bleiben und der ganze Kunstbetrieb wie ein Verrätselungsorganismus wirkt. Wenn Boris Groys schreibt, dass die moderne Gesellschaft heute für das steht, was früher einmal Gott war, dann ist diese auch für Wiedergeburt und Auferstehung zuständig. Die könnte dann im Museum stattfinden. Nun haben wir es in der Kunst auch mit einer Überproduktion (an Neuheiten) zu tun, und somit ein Müllproblem beziehungsweise ein Archivproblem, wie in der realen Gesellschaft auch. Ständig produzieren wir symbolische Körper, so viele, dass wir nicht mehr wissen, wohin damit, wechseln diese nicht rechtzeitig die gesellschaftlichen Räume (zum Beispiel ins Museum). Das gilt natürlich auch für das Internet, das wie ein großes Archiv wirkt – bis man den Stecker zieht. Groys schreibt – und bei ihm liest es sich wie ein Hoffnungsschimmer: „Wenn jedoch der kulturelle Garant der Unsterblichkeit ontologisch gegeben ist, hängt die Unsterblichkeit des Individuums letztendlich von der Unsterblichkeit der ganzen Menschheit ab.“* Ich hab’s. Ihr müsst mir nur folgen. Werdet zu einem Beispiel in einem Kunstwerk.
P.S. Wenn vor einigen Jahrzehnten Joseph Beuys jeden Menschen zum Künstler erklärte, dann entsprach das dem Motiv der Freiheit des Einzelnen, im Sinne der Aufklärung. Heute fordert die moderne Gesellschaft jeden Einzelnen auf, selbst ein Kunstwerk aus seinem Leben zu machen. Was einmal als Freiheit gedacht war, wird so zum Zwang. Boris Groys deutet, als Medienphilosoph, den mytholo-gischen Narziss um. Für Groys ist der Spiegel, in den Narziss fasziniert blickt, um dann selbstvergessen zu verhungern, um als Blume wiedergeboren zu überleben, heute die moderne Gesellschaft. Der Wasser-Spiegel (das Jenseits, das einmal Gott war) ist heute durch die moderne Gesellschaft ersetzt worden. Die Spiegeloberfläche kräuselt sich nicht mehr, wie in der Mythologie, sondern trackt und archiviert gleichzeitig das Leben der sich in ihr Spiegelnden, und das über unseren Tod hinaus. Das Internet sieht nicht nur alles, sondern vergisst auch nichts. Fähigkeiten die einmal Gott zugeschrieben wurden. So gehen unsere Gebete heute viral, in der Hoffnung erhört zu werden. Ich hab’s. Ihr müsst mir nur folgen. Werdet zu einem Beispiel in einem Kunstwerk.
* Zitat aus: Boris Groys: Zum Kunstwerk werden (Originaltitel:
Becoming an Artwork). Aus dem Engl. von Janine Ortiz und
Carl Hegemann. Mit einem Gespräch zwischen Boris Groys und
Carl Hegemann, Berlin 2025