Anlässlich des Erscheinens von Athanasius Kirchers epochaler Schrift Ars Magna Lucis et Umbrae hier einige Gedanken dazu, wenn auch zeitlich leicht verzögert. Das Buch erschien erstmals 1645 in Rom, in einer Nachauflage dann 1671 in Amsterdam.
Im erwähnten Werk, der Großen Kunst von Licht und Schatten , werden erstmals die Prinzipien lichtbildnerischer Verfahren umfänglich dargestellt. Es werden zahlreiche Gerätschaften vorgestellt, wie beispielsweise die sogenannte laterna magica . Kircher untersucht verschiedenste Aspekte des Lichts, wissenschaftliche wie auch eher metaphysische. Erscheinungen wie Brechung, Beugung, Fluoreszenz werden ebenso abgehandelt wie die Natur der Glühwürmchen.
Bezuggenommen wird dabei auf Platos Allegorie des Grabes, besser bekannt als sein Höhlengleichnis. Die Überführung realer dreidimensionaler Dinge und Wesen in die flache Welt des Zweidimensionalen, die Totenwelt der Schatten, der abstrakten Ideen und Vorstellungen, erscheint hier als Leitbild, wie es auch in einem der Kupferstiche dargestellt wird. Man könnte den Text so als Vorläufer der Medientheorien des 20. Jahrhunderts ansehen.
Das Lebenswerk Athanasius Kirchers (1602 Geisa/Rhön–1680 Rom) enthält eine Vielzahl weiterer Schriften. In der Zeit der Gegenreformation galt der Jesuit Kircher in allen damals als Wissenschaft geltenden Fächern als erstrangige Instanz. Seine Werke befassten sich mit Religion, Philosophie, Physik, Astronomie, Medizin, Mathematik, Ägyptologie und Musiktheorie, um nur eine Auswahl zu nennen. Getreu seinem Lebensmotto In Uno Omnia nahm er für sich in Anspruch, das gesamte Wissen seiner Zeit abbilden zu können. Heute wird er deshalb mitunter als der „letzte Mann, der alles wusste“ bezeichnet. Seine aufwändigen und auch für das 17. Jahrhundert sehr teuren Bücher wurden an den Barock-Höfen Europas konfessionsübergreifend gelesen und gesammelt. Sie galten als Kanon des Wissens, gerieten allerdings nach Kirchers Tod relativ schnell in Vergessenheit.
Man könnte sagen, dass sich Kirchers Schaffen als Universalgelehrter auf drei grundlegenden Prinzipien aufbaut.
Zum einen sammelte er Informationen, Artefakte, Präparate, Fossilien, die durch die neuartigen weltweiten Netzwerke des Jesuitenordens zusammengetragen wurden: aus Amerika, Indien, China. Er versuchte sich darüber hinaus, aber auch aus eigener Anschauung ein Bild der Welt zu machen und unternahm dafür durchaus waghalsige Expeditionen. So beging er beispielsweise gemeinsam mit Kaspar Schott den Krater des Vesuvs nach dem Ausbruch 1631. Daneben erfand, konstruierte und realisierte er selbst eine Vielzahl verschiedenster technischer und wissenschaftlicher Apparaturen. Ein Teil der angesammelten Objekte und Geräte wurde dann später in seiner berühmten Wunderkammer Kircherianum in Rom gezeigt. Mit alldem wurde das in der Renaissance vorsichtig geöffnete Fenster einer realitätsorientierten, nicht bibelbasierten Erkenntnissuche weiter aufgestoßen.
Andererseits entwickelte er Theorien und Modelle, die weitgehend frei erfunden waren, sich an die hermetischen Schriften obskurer Gelehrter wie Hermes Trismegistos anlehnten oder zumindest einen ausgeprägt spekulativen Charakter trugen. Hier seien sein Versuch der Decodierung der altägyptischen Hieroglyphen genannt, wie beispielsweise auch die Theorie der subterranen Verbindung der Ozeane durch eine Art von Hohlerde.
Der dritte und aus kontemporärer Sicht wahrscheinlich nachvollziehbarste Punkt ist Kirchers ausgeprägte Vermittlungsfähigkeit, marketing würde man das jetzt nennen. Seine Netzwerke, Finanzierungs- und Absatzoptionen, die opulente Ausstattung der Bücher wie auch seine schriftstellerischen Möglichkeiten wurden effektiv eingesetzt. Dabei überstand Kircher den Drahtseilakt zwischen der Unterordnung gegenüber den vatikanischen Dogmen und den Freiheitsgraden der neuen Anschauungen zu Lebzeiten erstaunlicherweise ziemlich unbeschadet.
Durch diese Melange aus wissenschaftlicher Forschung, freier Erfindung und geschickter Vermarktung erscheint Kirchers faszinierende Person in einer seltsam anmutenden Aktualität: gewissermaßen als frühe Inszenierung einer mirror bubble zur Zeit der Gegenreformation.
Im Unterschied zu heutigen – extrem kurzlebigen – netzbasierten Blasenwelt entstanden allerdings durch das Wirken Athanasius Kirchers wunderbar schöne Bücher, metaphorisch angereicherte Poetiken des Wissens, illustriert mit einer großen Anzahl herausragender Kupferstiche.
Die meisten dieser Druckwerke sind heutzutage leider vergriffen. Allerdings ist gerade das oben erwähnte Werk antiquarisch zu haben. Durch missliche finanzielle Umstände ist mir selbst der Erwerb gegenwärtig unmöglich, deshalb sei hier für Kurzentschlossene auf das ZVAB hingewiesen, wo das Werk derzeit schon ab Euro 50.000,00 zu bekommen ist!
Athanasius Kircher, Ars Magna Lucis et Umbrae, ca. 760 Seiten, lateinisch, zahlreiche Abbildungen, Rom 1645