Manifest für einen leeren Raum

2024:Mai // Ralf Krämer

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05-2024

Vor dem Betreten des leeren Raumes putze Deine Erinnerungen,
als wären sie Deine Schuhe auf einer Fußmatte.

Schätze die Maße des Raumes, den Du betreten hast, in der Länge und Breite:
Wie viele Schritte brauchst Du von einer Wand zur anderen?

Überprüfe Deine Schätzung:
Zähle Deine Schritte, wenn Du von Wand zu Wand gehst.
Behalte die Summe Deiner Schritte im Kopf.

Gehe rückwärts zurück zur ersten Wand. Zähle dabei Deine Schritte und ziehe sie von der Summe ab, die Du noch im Kopf hast.
Behalte die Differenz im Kopf, als Schatz für schlechte Tage.

Betrachte die Grenzen des Raumes. Wenn es Dir zu dunkel ist, benutze ein Licht,
das Du bei Dir trägst, ein Handy oder ein Feuerzeug.
Suche nach unterschiedlichen Materialien.
Stelle Dir vor, wie sich das Material anfühlen könnte.
Überprüfe Deine Vorstellung, indem Du es berührst.

Schließe die Augen. Höre auf ein Geräusch, das aus einem anderen Raum
kommt. Öffne die Augen. Gehe dem Geräusch nach. Verlasse den Raum.
Wenn Du in dem Raum bist, aus dem das Geräusch kam,
schließe Deine Augen. Sprich eines der liebsten Worte laut aus.
Stelle Dir vor, wie Dein Wort jetzt in dem Raum klingt,
den Du gerade verlassen hast.

„Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum,
während ihm ein anderer dabei zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.“
(Peter Brook, 1925–2022)