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Contra Brache
2024:Mai //
Andreas Koch
„Das stimmt doch nicht. Die sogenannte Brache in Städten wird doch komplett überschätzt. Vor allem von meiner Generation der um die Fünfzigjährigen. Nur weil viele von uns nach dem Fall der Mauer vor allem in Ost-Berlin wahnsinnig viel leeren, ungenutzten Raum und damit Freiraum vorfanden, kann man das doch nicht auf alle Zeiten als den erstrebenswerten Zustand einfordern. Dieser Möglichkeitsraum ist doch nur solange frei, bis irgendjemand eine Idee für den Raum oder die Fläche hat – und dann ist sie eben weg.
Gut, flexible Nutzungen, Kulturräume, gemeinsam nutzbare Flächen etc. sind wesentlich für eine lebenswerte Stadt, aber gerade meine Generation hat doch nach anfänglichen recht experimentellen und vor allem temporären Nutzungen, ich erinnere hier nur an die verschiedensten Wochentagbars, vor allem danach geschaut, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Jeder hat sich sein Stückchen vom Raumkuchen abgeschnitten, sofern man das wollte, und dann waren wir doch auch nicht besser als die Spekulanten, die nach uns kamen. Da sind doch bestenfalls private Kulturinstitutionen, Galerien, Clubs, ja, auch Atelierhäuser, und aus besetzten Häusern noch so was Ähnliches wie Kommunen daraus entstanden, die anderen haben Baugruppen gegründet, stinknormale WEGs, also Wohneigentümergemeinschaften statt WGs.
Wenn man jetzt dem Palast der Republik nachweint, dann muss man doch auch zugeben, dass wir ihn damals keineswegs füllen konnten, bespielen, wie man im Agenturdeutsch so schön sagt. Es ist doch wahnsinnig wenig, was aus den Neunzigerjahren herübergerettet werden konnte, und wir sind natürlich auch selbst schuld, denn dazu gehörte einfach Eigenengagement, unbezahlte, zähe Gemeinschaftsarbeit. Warum sollte diese Generation plötzlich uneigennütziger sein als alle davor und danach?
Wir waren vor allem nicht viele damals im wilden Ost-Berlin. Vielleicht tausend Leute, deren Hauptthema Raum war, die leere Häuser suchten, besetzten, Lagerfeuerparties auf Brachen veranstalteten und was auch immer noch, das war aber nur für einen Bruchteil der Bevölkerung wirklich interessant. Die Ost-Berliner Urbevölkerung schaute verwundert zu. Klar war das damals speziell und lustig, aber das ist doch kein Modell für eine Stadt, ein Abenteuerspielplatz.
Jetzt 25, 30 Jahre später fühlt sich die Stadt sehr viel dichter an als damals, obwohl hier nur 300.000 Leute mehr leben als 1990 und der echte Zuwachs erst in den letzten 10 Jahren stattfand. Es gibt kaum noch Brachen in der Innenstadt, aber ist das nicht auch irgendwie gut? Fühlt es sich jetzt nicht viel lebhafter an, ja, städtischer? Und ist es nicht immer noch so, wenn man aus einer anderen großen Großstadt, sei es Paris, Rom oder noch besser irgendeiner asiatischen Stadt, oder selbst wenn man aus Köln wieder nach Berlin kommt, dann ist es hier immer noch wahnsinnig entspannt, man hat viel Platz.
Ok, es gibt zu wenig Wohnungen, aber das hat ja nichts mit Leerraum zu tun, im Gegenteil, der müsste eher mit Wohnraum zugebaut werden. Viel wichtiger ist es, zu erschweren, dass Wohnraum zu Betongold wird. Man muss es Investoren schwer machen, überhaupt Wohnungen zu bekommen und wenn, dann sollten sie diese zumindest zu akzeptablen Preisen vermieten müssen.
Nochmal: Zu Gemeinschaftsraum gehört auch Gemeinschaftsarbeit, kollektive Nutzungen erfordern kollektive Arbeit. Natürlich braucht man auch den Raum dafür, aber nur leerer Möglichkeitsraum ist zwar manchmal schön und eröffnet im Kopf Perspektiven, meiner Meinung nach gibt es aber immer noch mehr Raummöglichkeiten als Realisierungswillen, also mehr Hardware als Software. Und wenn der dann da ist, der Realisierungswille, dann eben meist zum Eigenbedarf. Wenn man nur alles dem Neoliberalismus in die Schuhe schiebt, hat das auch etwas mit der eigenen Trägheit zu tun.“
Foto: Christina Zück