wo ich war

2024:Mai // Esther Ernst

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05-2024

IM GARTEN 6. Okt. 2023
Projektraum Schneeeule im Vereinsheim der Gartenkolonie im Park am Gleisdreieck, Berlin

Ach, das macht riesig Spass, wenn Sehgewohnheiten so einfach und wirkungsvoll aufgebrochen und Ausstellungen frisch und fröhlich daher kommen. Silke Nowak kuratierte einen bunten Blumenstrauss mit Werken von Kindern und Jugendlichen, Künstler*innen mit und ohne Behinderungen rund um das Thema Natur und Tier, inmitten von dem Gerülle einer modrigen Schrebervereinshütte. Das macht sie dermassen fein, ernsthaft und herzhaft, dass eine tolle Spannung zwischen der Welt und dem Ausdruck von Welt entsteht, dass ich für einen Moment die Idee des White Cubes null verstehe (ja, ja, weiß schon…).
So hab ich mir Projektraum immer vorgestellt. Lustvoll, experimentell, sinnlich.



SHE SEHE POP 14. Okt. 2023
High
HAU2, Hebbel am Ufer Berlin

Uff, das war eher flach. Es geht gar nicht um einen „kollektiven Rausch“ und die „Ich-Störung“. Der ganze Abend ist voller „Ichs“ und eine absolute „Mitmach-Hölle“. Ein großer Kindergeburtstag zumindest. Geschichten werden aneinander gereiht, Aufgaben ans Publikum verteilt, Widerstände gegen den Rausch werden vertont, das Publikum wird angewiesen Schlagzeug zu spielen, zu schreien, auf der Bühne zu tanzen, gemeinsam zu singen. Und dann, wenn das willensfreudige Publikum mittanzt, mitschreit und Kekse mit persönlichem Körperabdruck eines anderen Menschen gegessen hat, dann ist plötzlich Schluss. High klappt nicht in der Gesellschaft. Und ich denke, gibts doch nicht, jetzt hören die auf, ohne wirklich was zu versuchen, ohne Wagnis, ohne Überbau, ohne Struktur, die den Abend rahmt.
Mein letztes kollektives High erlebte ich letzten Sommer im Hau bei Chocolate Remix.



HIPPLER ANNIKA 16. Nov. 2023
BETON Berlin 15
Spreewaldplatz Kreuzberg, Berlin

Das Wellenbad am Spreewaldplatz wird saniert und ist deshalb eingezäunt und eine Sicherheitsfirma hat einen Videoturm mit starkem grünem Licht für die Gesichtserkennung der Kameras aufgebaut. Annika hat mit dem selben grünen Licht auf die Überwachung geantwortet und drei Lasergeräte auf dem weitläufigen Platz verteilt, die jeweils eine Linie auf den Videoturm schicken. So stehen wir grün eingetaucht in der Kälte, trinken Bier aus Christof Zwieners Kofferraum und ich bin sehr glücklich über diese Verquickung von Ort, Kunst und Wahrnehmung. Über die Zugänglichkeit des Anlasses und das Feiern im öffi-Raum. Das ist alles schön.



RADIĆ NIKA & SPEHR GEORG 18. Nov. 2023
Waldstadt, Stadtspaziergänge aus der Sicht der Pflanzen
Zwischen Dahlem und Lichterfelde, Berlin

Also das ist mir natürlich ganz nah, was die zwei machen. Spazierengehen, wahrnehmen, staunen und Fragen stellen. Was wächst denn da und warum? In welchem Zusammenhang steht das? Was sagen Botaniker*innen und Lexika dazu, was die Historie oder die Gemeinde Berlins… Und schwubsdiwubs umgibt einem ein Universum an abgefahrenem Wissen. Zum Beispiel der Findling, der in der Eiszeit aus Skandinavien hierher verschoben wurde und ein Beleg für die Eisrinne Berlin-Warschau ist und die sandigen Böden mit ihrer spezifischen Vegetation, aber auch die Moränen und die vielen Sumpfgebiete, Seen und Wasserläufe um Berlin herum erklärt. So spazieren wir durchs Quartier, schauen uns das Strassenbegleitgrün an, sprechen über parasitäre Verhaltensweisen, die Nummern an jedem Baum, die Fortpflanzung der Eiche, die Kommunikation unter Bäumen und es macht sehr viel Freude.



FOURNIAU CLÉDIA 22. Nov. 2023
Ten Turns
König Galerie St. Agnes, Berlin

Eigentlich sind wir hier, weil wir Sven’s neue Malerei in der Showroom Presentation angucken wollen, in der ordentlich aufgetischt wird.
Anziehend finde ich die Malerei der französischen Künstlerin Clédia Fourniau im ersten Stock. Cy Twombly und Mark Rothko in 2023 (ich weiß, ist doof, ihre Werke mit alten Herrennamen zu beschreiben…) Fourniaus Bildkompositionen sind virtuos geschichtet, ihr Farbspektrum anziehend, die Acryltextur von lasierend flüssig bis opulent gekleckert, der Malgrund aus farbig gewebten Stoffen und alles schaut leichtfüssig aus.

Die Malerkollegen, mit denen ich über Fourniau spreche, sagen, dass sei Quatschmalerei und König nimmt junge Frauen ins Programm, um zu beweisen, dass junge Frauen sehr wohl mit ihm zusammen arbeiten wollen.



GENERAL IDEA 10. Dez. 2023
Gropius Bau, Berlin
Ich weiß, General Idea ist wichtig. Und ich kenne ungefähr nix von denen. Hätte mir die Ausstellung vor lauter Berührungsängsten und Kontextangst auch nicht angeschaut, aber Annabel nimmt uns mit. Im Atrium türmt sich eine Styroporlandschaft auf und wir gleich, krass, die dürfen noch Styropor verwenden… Dann reihen sich Fake-Dokumentationen und fiktive Geschichten, lustige Gedanken, die wissenschaftlich archiviert sind, viele verspielte Konzepte und hübsche Silbergelatineabzüge mit festgehaltenen Aktionen aneinander. In der Halbzeit wieder der Blick in die Styroporlandschaft, nur dass jetzt drei Robbenbabys auf einer Scholle sichtbar sind. Dann weiter mit der überbordenden Fülle an Konzept, Appropriation, ein Mondrian Zimmer, viele Warhol- Zitate, mehrere Räume voller Tapeten mit dem rot-blau-grünem Wort AIDS in Anlehnung an Robert Indianas ikonisches Wort LOVE und zum Schluss eine Vitrine mit einer Styroporbox, in der in den 80igern(?) Robbenfleisch(?) geliefert wurde.



Dubuffet, Chaissac, Soutter, Wölfli, Gill, Held
Werke aus der Sammlung Klewan 21. Dez. 2023
Gutshaus Steglitz, Berlin

Oha, Dubuffet war Weinhändler, bevor er sich der Kunst zuwendete?! Und besuchte 1945 diverse psychiatrische Anstalten in der Schweiz, um Werke von Klient*innen zu studieren (und sich später seine eigene Sammlung aufzubauen).
Im Gutshaus Steglitz schauen Anja und ich voller Glück in drei überschaubare Räume mit Zeichnungen und Malereien von art brut-Künstler*innen. Große Hände ohne Arme an stürzenden oder verlorenen Körpern, altägyptische Augen, Dämonengesichter mit Röhrennasen und sehr viel Haar. Spinnentiere und vergitterte Zimmer in Tapetencollagen, Verwirrung, Verzerrung, Details und Geschichten in Bildrändern und Hintergründen.
Tollomat.
Wie genau funktionier Lithografie?



THE GREAT REPAIR 2. Jan. 2024
Ein Projekt von ARCH+
Akademie der Künste, Hanseatenweg

Der Ausstellungseingang führt durch die Hintertür. Im Treppenhaus werden verschiedene Baumängel visualisiert. Zum Beispiel kondensierte Luftfeuchtigkeit zwischen Heizkörper und Fenster, die zu Spannungsrissen an der Wandoberfläche führen.
In den Ausstellungshallen gliedern diverse Konzepte den Umgang mit Bauen: Reparieren, Restaurieren, Abreissen, gar nicht Bauen, Verzichten, Recycling, Nachhaltigkeit, Materialkunde, Visionen, Möglichkeiten, Tests. Alles sehr anschaulich, didaktisch und super sympathisch. Das ist doch der Unterschied zur bildenden Kunst. Hier werde ich eng an die Hand genommen, weil mir hier ganz konkret Wissen vermittelt wird. Und natürlich schaut alles sehr schick aus. Wie immer in der Architektur. Und bald schaff ich es auf die Architekturbiennale. Nur im ARCH+-Heft versteh ich seitenweise kein Wort vom Diskurs…



BOCK JOHN 6. Jan. 2024
Ex-Ego-Gynt
Galerie Sprüht Magers, Berlin

Wie geht Peer Gynt? Und wie kann es sein, dass ich bei John Bock inhaltlich nix checke und dennoch gerne in seine überbordende Welt staunen mag? Du sagst, das ist der Beweis, dass es nicht nur um Verstehen geht (wie bei Pollesch auch). Eidinger und Bock sind eine mit Spieltrieb durchzogene Freude. Gemeinsam entwickelten sie 2020 Ex-Ego Gynt an der Schaubühne. Die Videoadaption ist Teil einer Rauminstallation, in der Bock einen Vortrag hielt und nach bester Beuys-Tradition irgendwas aufzeichnete (versteh ich leider auch nicht). Vitrinen zeigen grob geschnitzte Holzbüsten von Bock und natürlich seine ganzen Wissenschaftsbasteleien.
Ah, Gynt ist Bauernsohn und entflieht der Realität mit mit Lügengeschichten. Deshalb Melkmaschine und Rieseneuter und Zelthöhlen.



KILIMNIK KAREN 6. Jan. 2024
Galerie Sprüht Magers, Berlin

Krass, was ist das denn für eine Ironiemalerei?
Beach paintings for a winter escape.
Als Bad-Taste-Deko in einer Hipster Wohnung, von mir aus, in real versteh ich das nicht. Ehrlich. Und mir fehlt die Lust, drei Hirnwindungen anzustellen, um dann eine Piña Colada Theroie zu entwickeln, warum das super ist.



MUNCH EDVARD 2. März 2024
Lebenslandschaften
Museum Barberini Potsdam

Seine Eigenart finde ich beeindruckend. Der fleischliche Wald oder die Fleischsteine am Strand. Die einfach gehaltenen und trotzdem wiederzuerkennenden Baumarten, alles sehr rund und umrundend gemalt. Die naiven Farben, das sympathisch Grobe.
Komisch finde ich die unbeholfenen Menschen, die Frauen ohne Hände (Hände sind grundsätzlich ein ungelöstes Problem), die haben da für mein Empfinden gar nix verloren, weil die Landschaften im besten Sinne schon merkwürdig vermenschlicht sind. Toll dafür das Festhalten der Kultur- und Agrarlandschaft (auch da braucht’s keine unbeholfen gemalten Pferde).
Lustig fand ich eine impressionistisch angehauchte Promenade aus Nizza von 1981, welche einem abstrakten Wellenbild von 1907 gegenüber hängt, bei der Munch die Wasserbewegungen grafisch, oder van Gogh-mässig, aufteilte. Das war ein super Guckmoment in der Zeit.



POLLESCH RENÉ 4. März 2024
Fantômas
Volksbühne, Berlin

Ich hab keine Ahnung von den Fantômasfilmen und muss zu Beginn des Abends einmal kurz alles loslassen, weil ich sonst den Texten stringent folgen und sie verstehen möchte. Und so ging Pollesch ja noch nie. Die fünf Schauspieler*innen wandeln sich dauernd, sind mal dies, dann das, der Abend mäandriert durch verschiedene Räume, mal im Haus oder einer lustig dekorierten Jurte, per Video und Sound auf Leinwand übertragen, dann wieder in live und Farbe am Bühnenrand. Die Bühne dreht, der Diskurs auch. Es geht um Staub, Angst, den KGB, das FBI, Terror, ums Überlaufen, um Fantombeschreibungen, die Perrys, die bei ihrer Hinrichtung gelacht haben(?), ums Rauchen und ich schaue allen sehr gerne zu.
Die clevere Bühne hat Leonard Neumann, der Sohn von Bert gemacht und so schaut’s auch aus. Zum Schluss standing ovations für Pollesch. Ich schaue zu Timea, die sagt: ich hab kein Wort verstanden. Wir lachen.



KLOSS STEPHANIE / ZIELINSKI JOSHUA 14. März 2024
Instant Replay
Laura Mars Gallery, Berlin

Da sind zwei sich befeuernde Positionen mit ähnlichen Interessen und feinem Gespür für Materialität, Wirkung und Geschichte miteinander ausgestellt und bereiten mir große Schaufreude. Kloss beschäftigt sich mittels Fotografie mit architektonischen Fehlplanungen wie Ikonen, fokussiert dabei zum Beispiel die Kulissenhaftigkeit des Berliner Stadtschlosses, aber auch den sozialen Wohnungsbau in Palastverpackung, marode und ungenutzte Naziarchitektur, oder italienische EUR-Bauten, tut dies ohne Wertung und nüchtern, lenkt die Aufmerksamkeit aber gezielt auf Missstände in der Geschichte. Zielinski reagiert bildhauerisch auf Unverdautes, formt Hirschfelle ab, um sie in Zink zu giessen und im Schloss Liebenberg in Brandenburg (einem ehemaligen Jagdgelände) auszustellen. Oder Lenins linkes Ohr aus rosa Granit, welches er als ortsspezifische Intervention am Platz der Vereinten Nationen (ehemals Leninplatz) aussetzt.



FUCHS DENNIS 21. März 2024
BETON Berlin 16
Yorkstrasse 50, Schöneberg

Gute Ecke, die ehemalige Baulücke, mit den S- und U-Bahnhofeingängen, dem türkischen Imbiss, dem zurück versetzten Basketballplatz, dem insgesamt vermurksten Platz, gegenüber von Hellweg, auf dem ich nie Menschen verweilen sehe. Da hat Dennis Fuchs einen Kaugumiautomaten (es gibt so unglaublich viele in Berlin, das ist mir erst letztes Jahr aufgefallen, wer betreibt die eigentlich, viele funktionieren ja tatsächlich noch…) mit Fundstücken vor Ort neu bestückt. Eine Art Modelllandschaft. Nicht zum Ziehen, die Automatenschaufenster sind entfernt, mehr ein Schau-Triptychon. Mir ist das zu sehr Bühnenbild, da schalt ich von berufs wegen leider sofort ab. Und ich schätze am Beton-Format das große, Weite, Raumgreifende so sehr, dass ich mich mit dem Kleinen, Feinen schwer tue. Das ist natürlich oll, weiß ich, aber so wars.



OEHLEN ALBERT 22. März 2024
The Code Factory / Works from the Eighties and Nineties
Max Hetzler Galerie Berlin

Wir sitzen rauchend auf einer Bank vor Andreas Murkudis’ Laden, wo Teslas parken und noble Pärchen shoppen gehen und Anja von ihrer explodierten Ateliermiete und der daraus resultierenden Kündigung erzählt und dann sagt, komm, wir gehen achtziger-Kunst schauen, das beruhigt.
Und ich halte Oehlens Ameisen erst für Amalgam gefüllte Backenzähne und freue mich dann überschwänglich über die Tiere und überhaupt über die vertraute Malerei und seinen Rasenmäher James Blood Ulmer II und lese später in den Werkangaben, dass da latex on canvas steht. Aha. Dann guck ich kurz ins Internet und werde mit Latexfarbe für Wandanstriche überhäuft. Ich hab echt von nix ne Ahnung.
Alle Fotos: Esther Ernst