Künstler/in, lebenslang

Karla Sachse

2023:November // Sonya Schönberger

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11-2023


Ich bin 1950 geboren, in dem Tigerjahr. Mein Vater war zurück aus der Kriegsgefangenschaft, wo er nicht als Soldat, sondern in den Schreibstuben zum Neulehrer geworden war. Meine Mutter war mal Verkäuferin gewesen, aber so lange ich sie kannte, hat sie nicht gearbeitet. Die hatten ein Haus, das mein Großvater mal gebaut hat. Meine gesamte Familie ist in alle Richtungen proletarisch. Und mein Vater war einer der Ersten, der ans Gymnasium gehen durfte wegen seiner schulischen Leistungen und kein Schulgeld bezahlen musste. Als er den Studienplatz für Germanistik schon in der Tasche hatte, hat er leider Tuberkulose bekommen und ist dann in die Auto Union. Da gab es in Zschopau – der Ort, an dessen Rand wir gelebt haben – zu meiner Zeit ein Motorradwerk. Das war früher Auto Union. Und dort habe ich auch später einen Facharbeiterbrief als Motorradschlosserin gemacht. Es gab so eine kurze Zeit, wo das Abitur mit einer Ausbildung kombiniert wurde. Wir sind drei Wochen in die Schule gegangen und eine Woche in den Betrieb. Ich habe meine Kindheit als glücklich erlebt. Für die Schule musste ich nie was machen, bin dann aber nicht geliebt gewesen von meinen Mitschülern, weil die gemerkt haben, dass ich ohne Streben alles hingekriegt habe. Das wurde dann besser im Abitur, als ich in diese Jungsklasse kam.
Mein Vater ist mit mir an jedem Wochenende durch die Wiesen gegangen und hat mir die Pflanzen erklärt. Er kannte sogar die lateinischen Namen, die ich nicht kannte, aber dadurch hab ich mich mein ganzes Leben als Gärtnerin oder Pflanzenkundige oder als Hexe verstanden. Ich bin als Rothaarige geboren, wo die Leute in den Kinderwagen geguckt haben und gesagt: „Das arme Kind ist rothaarig!“ Ich wurde auch gehänselt. Ich war ein Schwächling und sehr introvertiertes Kind, was man heute nicht mehr so merkt. Ich merke es an bestimmten Stellen noch. Wo ich zur Kur geschickt wurde, riefen dann welche „Rote Zora“ und so ein Zeugs. Aber das war nicht schlimm. Andere Dinge sind schlimmer, wenn so eine ganze Klasse nicht mit dir redet, weil du versuchst, Hochdeutsch zu sprechen. Meine Mutter stammte aus Westfalen. Mein Vater war nicht glücklich in dieser Ehe, aber sie haben sich nicht getrennt. Und ich habe diese leider schlagende und böse Mutter nur überlebt, weil ich diesen Vater hatte, der mir dann auch das Schreiben von Texten beigebracht hat und so weiter. Als wir einen Studienplatz gesucht haben, dachte ich, ich muss Deutschlehrerin werden. Lehrerin war klar, das wusste ich, seit ich elf war. Es gab dann zwischendurch so Exkurse mit Technik und in die Landwirtschaft. Aber das fiel aus. Ich habe Gedichte im Kino vor zweihundert Leuten aufgesagt. Mein Vater hat dann glücklicherweise gefragt, ob ich denn wirklich anderen Leuten die deutsche Sprache beibringen könne oder wolle, was doch nicht so einfach wäre. Und dann hab ich Kunstpädagogik und Geschichte studiert in Berlin. Ich wäre auch nach Greifswald gegangen, um weit von zu Hause weg zu sein. Weil dieses Erzgebirge habe ich schon als langweilige Gegend empfunden, wo der Horizont nicht über den nächsten Berg hinaus reicht. Aber ich habe diese wunderbaren Blühfelder mit Lein und Raps noch erlebt, und die Raine, wo ganz viel Wildpflanzen wuchsen, und habe Kühe gehütet mit vier Jahren und sowas.

1969 kam ich nach Berlin. Berlin war die einzige Stadt, in die man gehen konnte im Osten. Das war schon ganz klar. Ich hab die ersten Jahre dann schon jeder Knospe an jedem Baum hinterhergewundert, weil ich vom Land kam, mit einem 2.000-Quadratmeter-Garten hinter dem Haus. Während des Studiums war das die Zeit, wo die studentische Bewegung in Westberlin schon zugange war. Wir haben unsere Professoren geduzt, die haben uns das angeboten. Das Studium war für vier Jahre vorgesehen, und dann nach dem zweiten Jahr hätten wir Grafik oder Malerei wählen müssen. Dann haben wir gesagt, das tun wir nicht, wir wollen beides. Und das ging. Wir haben einen relativ jungen Seminarbetreuer gehabt, für den ich nicht als Geliebte infrage kam, aber der mich seiner Familie vorgestellt hat, mit den drei Kindern, die habe ich quasi adoptiert, als ihre Mutter nach zwanzig Jahren Parkinson gestorben ist. Mit denen bin ich bis heute befreundet.
Ich musste ganz selten Klausuren schreiben, weil, wenn du im Vorfeld gute Noten gekriegt hast, musstest du das alles nicht. Und dann bin ich an der Uni geblieben als Forschungsstudentin und das war toll, weil ich den Lehrplan der DDR zerstören durfte. Ich habe sozusagen drei Jahre Forschung gemacht, was man tun kann, um Kindern und Jugendlichen das Handwerkszeug an die Hand zu geben, um sich selbst auszudrücken, oder Ausdrucksmittel zu finden, und nicht zu machen, was der Lehrer ihnen sagt. Und keine Panzer zu malen und keine Arbeiterfäuste und sowas alles. Ich hab meine Arbeit im Ganzen nie gelesen, weil ich in jedem zweiten Satz nachlesen musste, wie das alles zur sozialistischen Erziehung beiträgt. Aber ich habe zwei Riesenkästen mit Dias übergeben, von denen ich keine Ahnung habe, wo die heute sein könnten. Zwei Gläser, die man mit schwarzen Klebeband umkleben musste, wo ich die ganzen Reihen, die ich mit den Kindern und Jugendlichen gemacht habe, an verschiedenen Schulen in Berlin, um zu sehen, wie breit das Ausdrucksspektrum sein kann. Ich habe niemals jemanden genötigt, wie ein Expressionist zu malen, was bis heute üblich ist an Schulen. Und dann, als ich hochschwanger meine Doktorarbeit verteidigt habe, war an der Stelle, wo ich schon hingeflohen war, ins „Studio bildende Kunst“, war mein politischer Kredit aufgebraucht. Das heißt, dass die angefangen haben rumzustänkern gegen alle möglichen Dinge, die ich organisiert habe. Ich habe noch schwanger eine Lesung mit Eva Strittmatter gehabt. Dieses Studio bildende Kunst habe ich da schon geleitet, weil ich nicht in an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften sein wollte als Tischdekoration für irgendsoeinen Spinner da.
Das Studio bildende Kunst in Lichtenberg war ein kleines Haus, das gibt es bis heute, was in den frühen dreißiger Jahren gebaut wurde und einen Anklang an den Jugendstil, aber nicht mehr vollständig, hatte. Und dort war ein Zeichenzirkel, also Abendkurse für heutige Westmenschen, für Keramik, für Druckgrafik. Und dann gab es jede Menge Kurse für Kinder und Erwachsene zum Zeichnen, Aktzeichnen und so weiter. Für den unteren Bereich habe ich mit einer ehemaligen Kommilitonin, mit deren Mann ich das zusammen geleitet habe, so einen Tresen irgendwo abgestaubt und auf dem Handwagen dahin transportiert. Dann gab es zwei Räume, wo jeden Monat eine andere Ausstellung war. Ich bin eigentlich auch ganz froh, dass es immer noch existiert. Ich habe mein Kind in die Krippe hinter dem Haus gebracht. Das war aber ein unmöglicher Ort, denn das war eine Ausbildungskrippe, und die haben die schlafenden Kinder ständig rausgezerrt, um Baden zu üben und sowas. Und das wollte mein Sohn nicht, er ist da für drei Tage hingegangen, dann war er für drei Wochen krank. Und dann bin ich für eine halbe Stelle für drei Jahre in die Brecht-Oberschule gegangen in der Auguststraße. Das war neben der ehemaligen jüdischen Schule. Es war die gleiche Konstellation wie später bei der Kurt-Schwitters-Schule: Zwei Schulgebäude, eine am Koppenplatz und das andere in der Auguststraße. Und da habe ich die ganzen Türen mit den Schülern bemalt, weil ich gesehen habe, wie schön die aussehen. Also farbig eingefasst, keine bunten Bilder da dran gemalt. Sodass die Leute dann gesagt haben, da müssen erst Kinder kommen und uns zeigen, wie schön unsere Türen aussehen. Und alle haben heißes Wasser zur Verfügung gestellt.
Dann war dort auch mein politischer Kredit aufgebraucht, weil ich Öko-Plakate gemacht und damit den Klassenfeind ins Schulhaus geholt habe. Das war 1980. Dann haben sie mich angebettelt, dass ich wenigstens auf Honorarbasis weiterarbeite, aber ich war inzwischen in den Künstlerverband aufgenommen worden, als Kandidatin. Und da mussten sie mich gehen lassen. Sonst wärst du leibeigen gewesen für den Rest deines Lebens. Lehrer sind niemals freigekommen, außer sie haben psychische Probleme gehabt und konnten plötzlich nicht mehr hören oder so. Aber wenn du freischaffend wurdest als Künstlerin, dann konntest du gehen, konntest du freischaffend sein.

Du hast sozusagen nur mit dem Ausweis des Künstlerverbandes Materialien bekommen. Und Freischaffend-Sein ging auch nur mit dieser Anerkennung als Künstlerin, weil du sonst asozial gewesen wärst. Du durftest ja nicht nicht arbeiten. Deshalb war das keine Frage, aber es war schon so, dass die die Kunstlehrer nicht für vollwertige Künstler gehalten haben. Das ist heute glaube ich immer noch so. Aber da ich voriges Jahr eine Ausstellung organisiert habe für Bärbel Bohley in der Galerie Pankow, ist mir dann noch mal richtig bewusst geworden, dass diese vollständige Ablehnung auch mit ihr als Bürgin zu tun hatte. Das war nicht in meinen vollen Bewusstsein. Dann war ich aber schon über dreißig, da hab ich gedacht, so leicht lässt du dich nicht wegschicken. Und ich hatte einen Bekannten, der im Zentralvorstand des für die ganze Republik zuständigen Künstlerverbands war. Und der hat dann für mich gebürgt für den Zentralvorstand, und ich bin dann über den Zentralvorstand aufgenommen worden. Es gab aber in dem Berliner Vorstand, wo Bärbel Bohley schon längst rausgeschmissen war, welche, die haben mir das ihr Leben lang übel genommen, dass ich gegen ihren Willen von Hintenrum sozusagen …

Es waren doch ganz schön viele Mitglieder, weil als wir uns nach dem Mauerfall mit dem BBK getroffen und beraten haben, als ich bei dem Vorsitzenden des BBK, Roloff-Momin war, wenn da plötzlich 2.000 Künstler dazukommen, dann reicht ja das Geld nicht mehr für alle. Ganz viele, die im Künstlerverband waren, haben dann später aufgehört, sind verschollen oder in andere Berufe eingegangen. Mal abgesehen davon, dass die Westberliner Künstler ja auch nicht durch den Künstlerverband reich geworden sind. Das war eher für die paar Privilegierten im Osten, dass die immer Aufträge bekommen haben. Aber im BBK, die sind Taxi gefahren oder haben Kurse gegeben. Darüber habe ich mir keine Illusionen gemacht. Ich gehörte durch meinen Josef (Josef W. Huber) zu einem Kreis von Leuten, die Mail Art gemacht haben. Dadurch haben wir internationalen Kontakt gehabt. Wir wissen inzwischen, dass das alles über ein Postamt ging, rein wie raus. Die haben dort unsere Briefe aufgemacht, und Josef hat später in seiner Stasi-Akte einen Stapel A4-Zettel gefunden ,mit rausgerissenen Absendern aus Amerika, Australien, England. Die haben sozusagen eine Adressenkartei angelegt mit den Adressen, die wir hatten. Und die Briefe sind logischerweise nie angekommen. Andere haben sie aufgemacht und geguckt, was da drin steht und dann weitergeschickt. Ruth Wolf-Rehfeldt gehörte dazu und eine ganze Menge andere, die schon lange nicht mehr leben. Der Sachverwalter der Mail Art ist jetzt Lutz Wohlrab, der eine Webseite hat mit allen möglichen Kontakten. Und wir sind sozusagen die Dinosaurier, die noch da sind. Das war das kleine Fenster, was wir in der Mauer hatten, und ich bin bis heute mit einigen Leuten befreundet, die zu uns gekommen sind, weil sie wussten, dass wir nicht rauskonnten. Ich habe einen Freund, jetzt ist er in Washington, der dann irgendwann gesagt hat, stell dir mal vor, ich hab mit 60 zum ersten Mal einen Job. Der machte die Fotoabteilung im Smithsonian. Und der schrieb, dass wir ihm Negative schicken sollten. Und wir sagten, dann können wir die Negative auch gleich in den Mülleimer werfen, weil die nie bei dir ankommen. Und dann ist der alle halbe Jahre da gewesen und ich habe den mit all den alternativen Fotografen, die es in Ostberlin gab, bekannt gemacht. Dann ist der mit seinem Koffer voller Fotos wieder ausgereist und hat dann auch eine Ausstellung im MIT gemacht und sowas. Das war wunderbar. Auf der anderen Seite gab es einen Freund aus der Schweiz, der zeigte Bilder. Eine Installation war mit Worten, die einen Berg hochgingen. Und da ist dir ganz klar geworden, so eine Idee würdest du niemals haben, weil du weißt, dass du das nicht realisieren kannst. Ich hab eine ganze Reihe Arbeiten gemacht damals, wo ich aus dem Neuen Deutschland Texte ausgeschnitten und dann geformt und kommentiert habe, weil da so viel Irrsinn drin stand. Die habe ich niemals ausgestellt in der Zeit. Später schon. Du durftest ja nicht mal das Neue Deutschland aufheben. Es war verboten, die Zeitung zu archivieren, weil du hättest zwei Jahre später die Widersprüche belegen können. Die Zeitung, die jeder eigentlich lesen sollte, durfte man nicht aufheben, das ist völlig absurd. Natürlich hat das keiner überprüft, aber wenn eine Hausdurchsuchung gewesen wäre und du hättest sie stapelweise gehabt, dann so … In der Mitte der achtziger Jahre habe ich beschlossen, dass ich mein Leben nicht in Angst zubringen will und sowieso, wenn ich schräg über die Straße gehe, von der Stasi geholt werden kann. Deshalb probiere ich alles, was unter der Schwelle ist. Ich will nicht ins Gefängnis, ich habe ein Kind und ich habe einen Partner, der hat satirische Fotomontagen gemacht. In Erfurt gibt’s eine Straße, die heißt Regierungsgasse, und da ist ein Sackgassenschild oben drüber. Und das hat jemand fotografiert und das hat er als Postkarte vervielfältigt. Das ist gültig bis heute.

Also, ’85 hab ich schon den zweiten Bauzaun gemacht. Zur Vorbereitung der 750-Jahrfeier von Berlin haben wir als Künstlerverband unsere Obrigkeit davon überzeugt – da standen überall Bauzäune –, dass wir die jetzt gerne bemalen wollen. Das ist ja nicht gefährlich, weil die kommen ja dann wieder weg. Und wir haben auf dem U-Bahnhof Alexanderplatz die Werbetafeln, „Kunst statt Werbung“ hieß das dann später, als es bei der nGbK war und dort gegen die Wand gefahren wurde, haben wir diese Tafeln für Kunstprojekte genutzt. Für diese Bauzäune gab es 5.000 Ostmark, da konntest du ein Jahr von leben. Ich hab als Lehrerin 450 Ostmark verdient für eine halbe Stelle. Und wenn du das ins Verhältnis stellst zu den 45 Ostmark, die deine Wohnung gekostet hat, dann ist das Verhältnis deutlich besser gewesen als heute. Und da du sowieso kein Auto gekriegt hast und reisen auch nicht konntest, hast du auch kein Geld gebraucht.
Auf den ersten Bauzaun, den ich gemacht habe, an der Frankfurter Allee, also die Hauptverkehrsstraße nach draußen, habe ich einen Badestrand gemalt. Damals habe ich noch figürlich gearbeitet. Die Hälfte war FKK, die andere Hälfte waren angezogene Leute. Und als das fertig war, bin ich zur Polizeistation um die Ecke gegangen und habe gesagt, dass ich das jetzt einweihen will, Freitag um 17 Uhr. Dann habe ich alle Freunde alarmiert, die sind mit ihren Kindern und Schüsseln und Wasser und Eimern dahergekommen, alle im Bikini, und wir haben die Einweihung des Strandbads Frankfurter Allee gefeiert. Die Leute haben gehupt. Ich habe den Personalausweis im Bikini gehabt. Es kam sofort die Polizei. Und dann hab ich die mal zur Polizeistation geschickt und dann haben sie uns in Ruhe gelassen. Um Punkt 18 Uhr kamen sie wieder, jetzt wäre ja unsere Zeit vorbei.
Der zweite Bauzaun war an einer Ecke von Unter den Linden, da wo das Café Einstein jetzt ist, 50 Meter von der Amerikanischen Botschaft, hundert Meter von der russischen Botschaft und zweihundert Meter vom Brandenburger Tor. Da hab ich an ein rostiges Tor eine rostige Kette mit roter Farbe ein Papier drangeklebt, das war 75 Meter lang und 50 Zentimeter hoch. Das war eine Collage, da hab ich drei Wochen auf der Straße gearbeitet und alle Materialien, die es so im Osten gab, gesammelt. Und da stand dann groß „Wohin in Berlin?“. Das war auch der Titel unserer kleinen Werbebroschüre, die jeden Monat rauskam, die zufällig da um die Ecke produziert worden ist. Also ich war ganz blauäugig. Und die Stasi-Leute, die da ständig vorbeigingen, weil die amerikanische Botschaft ja bewacht werden musste vor den arabischen Terroristen, die haben einfach nicht die Geduld aufgebracht, die Nachricht zu lesen. Die Leute schon.

Das waren so die achtziger Jahre. Ich hab da auch noch figürlich gemalt, fressende und saufende Leute. Mein Josef hat eine Postkarte gemacht mit einem Schnapsregal, das war nämlich das Regal, das immer gefüllt war in den Kaufhallen. Und da stand oben drüber „Alles zum Wohle des Volkes“, was du ja jeden Tag in der Zeitung lesen konntest. Und ich habe fressende, saufende und eisleckende Leute gemalt, fast satirisch. Und dann mit diesem zweiten Bauzaun, mit der Collage, war ich dann weg von diesem Figürlichen und hab dann noch einen Weiteren gemacht mit Jugendlichen, „Wasser Quelle Leben“, in einem Wohngebiet am Saefkow-Park. Und im Juni 1989 meine erste Rauminstallation, mit diesem Neuen Deutschland, wo ich das zusammengefaltet hab, die Ecke, und dann war so ein Schaschlik, es war sowieso nichts zu lesen in der Zeitung. Der Boden war voll mit Knüllpapier, wo du durchwaten konntest und an der Wand wunderschöne weiße Papiere, wo nichts drauf war. Das war sozusagen der Anfang dann, vollständig in den Raum zu gehen, nicht bloß in den öffentlichen Raum, sondern auch mit dem Raum selber zu arbeiten. Dadurch war ich eine Frau aus dem Osten, die keine bunten Bilder gemalt hat, und bin dann ganz schnell eingeladen gewesen zu einem Ausstellungsprojekt jeweils eine Ost- und eine Westkünstlerin zusammen in der Festspielgalerie. Da hab ich die Susanne Ahner kennengelernt, mit der ich immer noch befreundet bin. Und bin dann auch in der Jury gewesen für den Görlitzer Park und habe durch Florian von Buttlar und Stefanie Endlich gelernt, wie das geht mit den Wettbewerben, war dann in Jurys in Vorprüfungen und war selber eingeladen auf Wettbewerbe. Da hab ich dann das „Kaninchenfeld“ gemacht auf der Chausseestraße. Und das schwarze Band hier um das Haus 3, wo der KGB sein Gefängnis drin hatte.

Die Wende war vorbereitet durch alle möglichen Aktivitäten meinerseits. Als die Mauer gefallen ist, habe ich den ganzen Tag geheult, weil ich sozusagen im Steißbein alles gesehen habe, was auf uns zukommt. Hab das dadurch aber relativ schnell überwunden. Ich hab dann die Ärmel hochgekrempelt und den Künstlerverband geleitet, hab gleichzeitig Unterschriften gesammelt, dass die Schult­heiss-Brauerei eine Kulturbrauerei werden soll. Ich hab ein Konzept eingereicht für die kunstbetonte Schule, Kurt-Schwitters-Schule, und hab dann ’91 dort, als das Schulsystem umgestülpt wurde, angefangen mit meinen Küchenmessern die Tapeten aufzuschlitzen. Und ein Jahr später haben wir dann zehn Vollzeitjobs für Künstler gehabt, plus die Kunstlehrer, die es da gab. ’93 hat meine Chefin gefragt, ob ich mich jetzt nicht mal endlich anstellen lassen will. Und dann hab ich mich da anstellen lassen und habe dann die Oberstufen unterrichtet, die dann mit fertigen Mappen an die Kunststudienorte gegangen sind, obwohl ich ihnen gesagt habe, das es schon genug Künstler gibt. Die haben gesagt, Karla, gönn uns doch die fünf Jahre gutes Studium. Ich habe sozusagen zwei Vollzeitjobs gehabt, bis ich dann 2015 in Rente gegangen bin. Mit 60 sind wir ja im Osten in Rente gegangen, aber da hab ich nicht das Gefühl gehabt, ich würde jetzt gehen wollen. Aber mit 65 hatte ich dann keine Lust mehr, mich zu wiederholen. Ich hab immer mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam ausgefasert, was wir machen in dem Semester. Die haben da volles Mitspracherecht gehabt. Da hab ich dann davon profitiert, was ich im Forschungssemester gemacht habe, so ein Vokabular, was ich ihnen an die Hand geben konnte, damit sie auch über Bilder sprechen konnten, auch über ihre eigenen Bilder reflektieren konnten, was sie da tun, und dass sie erkennen können, was ihr persönlicher künstlerisch Ansatz ist. Das war eine normale Gesamtschule, ich wollte nicht ans Gymnasium, sondern an eine, wo die Schwelle niedriger ist, wo die Kinder es dringender haben, einmal am Tag zu lachen. Die Gesamtschule war dann auch perfekt vorbereitet auf den Wandel zu einer integrierten Sekundarschule mit einer gymnasialen Oberstufe. Die gab es von Anfang an. Mein erster Leistungskurs, da waren Spezialschülerinnen und -schüler drinnen, die auf das Abitur schon anders vorbereitet waren. Ich erinner mich nicht mehr genau, wie das war, aber das war ein sehr spezieller Kurs. Und mit dreien von diesem Kurs bin ich bis heute befreundet. Diese ganze Schule war schwere Arbeit, keine Frage. Und immer wieder neu, weil ich mich sonst gelangweilt hätte. Aber ich hatte auch immer das Gefühl, dass ich genauso viel Gewinn hatte wie Investition mit diesen jungen Leuten. Ich wollte, wenn ich dann mal alt bin, nicht nur mit alten Leuten zusammen sein, sondern hab mir sozusagen eine Gemeinde herangezogen, wo ich mit Teilen davon schon gemeinsame Projekte gemacht habe, wo es richtige Freundschaften gibt. Das ist dieser Gewinn aus dieser Zeit des Lehrerinnenseins. Und wir haben, wie gesagt, zehn Vollzeitjobs gehabt, das wurde immer weniger. Die Externen gibt es nicht mehr, aber dafür gibt es an der Schule jetzt zwölf Kunstlehrer, die die Werkstätten auch weiter betreiben können. Da steht unsere alte Lithopresse noch und es gibt sogar noch eine Dunkelkammer, es gibt natürlich Videoräume und eine Bildhauerwerkstatt, Malerei, und damals hat man noch Papier geschöpft und was weiß ich nicht alles. Das Beste, das ich dort geleistet habe, ist, glaube ich, dass die Lehrer und Lehrerinnen und die Künstler und Künstlerinnen sich dort nicht gestritten haben. Die haben sich gegenseitig als Bereicherung empfunden und haben zusammen gearbeitet. Als ich dort angefangen hab, haben die Kollegen gedacht, dass ich vollständig bescheuert bin. Weil ich hatte einen leeren Raum und bin mit den Jugendlichen in den Park gegangen, hab trockene Blätter gesammelt und den Raum mit Laub gefüllt. Da ist die ganze Schule dorthin gekommen, weil es roch gut, da kamen die kleinen Käferchen raus und solche Dinge.
Ich habe einen scharfen Schnitt gemacht. Ich habe diesen Teil meiner Bestimmung erfüllt und jetzt habe ich nur einen Vollzeitjob als Künstlerin. Ich bin überhaupt nicht abhängig. Das ist eigentlich auch eine Fortsetzung von dem, wie es im Osten war. Ich hab überhaupt keine staatlichen Aufträge gehabt, ich war vom Staat nicht abhängig. Ich hab an diesen Wettbewerben teilgenommen, wir haben uns gegenseitig ermutigt, gegen den Stachel zu möcken. Jetzt kriege ich einfach die Rente dafür, die ich aber auch hart erarbeitet habe. Auch als Corona anfing, habe ich gedacht, ein Glück, ich kriege jeden Monat meine Rente auf’s Konto.

Das Atelier habe ich verloren. Die haben mir glücklicherweise ein Dreivierteljahr vorher Bescheid gesagt und dann hab ich ein Drittel des Inhalt in einen Müllcontainer, ein Drittel habe ich als Material in die Schule gebracht und ein Drittel habe ich jedes Mal, wenn ich aus der Schule wiedergekommen bin, in ein Päckchen gepackt. Mein Sohn hat mir Hängeböden gebaut, wo das alles rein kam. Und hier gibt es noch einen Extraraum, der ist vollständig voll mit Regalen. Aber als mein Josef sich das Leben genommen hatte, hatte ich 250.000 fertig gedruckte Postkarten in meinem Atelier, die irgendwo hin mussten. Ich hatte dann zum Glück schon Kontakt zu dem Zentrum von Künstlerpublikationen. Und die haben mir für einen symbolischen Preis einen Großteil abgenommen.

Ich sehe jetzt schon so was wie eine Notwendigkeit, für manche Sachen noch einen Ort zu finden, um nicht meinem Sohn den ganzen Wahnsinn zu überlassen. Ich wollte noch mal die Ankaufkommission hierher kommen lassen. Die Dinge von Josef hat die Akademie der Künste mir abgekauft. Das war sehr gut. Und sein Mail Art-Archiv, das sehr groß war, das hat das Museum in Schwerin. Ich habe immer noch Druckgrafiken da, aber das meiste ist gut untergebracht. Aber dafür hab ich gesorgt. Ich kenne den Thomas Kumlehn sehr gut und habe schon mal mit dem darüber verhandelt, wie ich denn mein Werkverzeichnis anlege. Das ist der, der in Potsdam private Künstlernachlässe verwaltet. Das ist eine Online-Datenbank, wo Angehörige von Künstlern einen Antrag stellen und den Nachlass dann online stellen können, nach wissenschaftlichen Kriterien. Das sind Instrumente, die kannst du auch als Berlinerin nutzen, aber du kommst dann nicht auf die Datenbank bei denen. Das ist leider eben alles online, weil die es nicht geschafft haben, Depots finanziert zu bekommen. In Lychen bei Robert gibt es nebenan die Schleckerhalle, da hat er überlegt, dort ein Depot einzurichten, weil der auch Sponsoren hatte, die selber eine große Kunstsammlung haben. Das hat sich dann zerschlagen. Wir haben den Thomas aber als Gesprächspartner in den Kunstverein Lychen geholt, weil wir da alles Ältere sind, obwohl ich hab inzwischen ein paar Schüler von mir da reingeholt. Aber die Mehrheit ist schon ein älteres Semester. Das ist irgendwie noch eine Aufgabe. Es gibt ein paar Dinge, wo ich meinem Sohn schon gesagt hab, guckst du noch mal rein, ob was drin ist, was dich an deine Großeltern erinnert, und den Rest kannst du in dem Augenblick, wo ich gestorben bin, in den Müllcontainer schmeißen. Und da bin ich auch emotionslos. Aber mit der Kunst ist das was anderes. Da würde ich schon gerne wollen, dass die irgendwo zur Verfügung steht, wo sie auch gezeigt werden kann. Ich kann, glaube ich, ganz viel, aber ich kann mich nicht verkaufen. Was ich ja auch nicht musste. Ich hab für die Sachen von Josef alle Museen in der ganzen großen Bundesrepublik angeschrieben, die sich mit konkreter Kunst auseinandergesetzt haben oder damit beschäftigt sind, aber es gab keine Resonanz.

Ich hab viele Jahre lang Kunst gemacht, die ich hinterher zerstört habe. Weil ich gesagt habe, unter den modernen Gegebenheiten der künstlerischen Arbeit entsteht nicht mehr so was wie ein Werk. Das hat sich im Laufe der Jahre verändert, weil ich doch permanent zeichne und eine ganze Menge kleinerer Objekte gemacht habe, die ingesamt, aber auch einzeln Stücke sind. Ich hab relativ spät angefangen, meine Webseite zu machen. Da hab ich aber schon wieder in den letzten drei Jahren nichts Neues eingestellt und gerade in den letzten drei Jahren habe ich unglaublich viel Neues gemacht. Deshalb tendiere ich schon eher dazu, so was wie ein Werkverzeichnung zu machen, mit entsprechenden Abbildungen. Und dann gucke ich mal, was im Haus meines Sohnes untergebracht werden kann. Ansonsten wir das zerstört, das ist dann einfach weg, ja. Ich hab für eine Ausstellung in Finnland im Museum eine Installation gemacht mit hundert Schnapsflaschen, die ich gefüllt hab mit Partikeln aus deutschen Wäldern, schön getrocknet. Und die ist dort durch drei große Museen gegangen. Und dann kamen die hier alle wieder an: Unzählige Kisten, wo diese Flaschen drin waren. Und dann gab es eine Ausstellung hier in der Kollwitzstraße in einem Keller, und da habe ich diesen Flaschen nochmal alle aufgereiht. Das ging dann nicht mehr wie in Finnland, wo die Finnen mich sehr genau verstanden haben, obwohl ich ja nur über den deutschen Wald gesprochen habe. Und da stand eine Pappschachtel daneben und als die Ausstellung vorbei war, habe ich die Flaschen in diese Pappschachteln reingetan, das bisschen Honorar, das ich gekriegt habe, in Porto umgesetzt und habe die in die Welt geschickt. Und habe dann Fotos gekriegt aus Manila und Bangkok, wie das angekommen ist, und wie sie das jetzt gezeigt haben. Also geht die Mail Art weiter. Das ist der internationale Kontakt, der ist nach wie vor wichtig. Ich gehöre zu einem Netzwerk, „Womanifesto“, was in Asien gegründet worden ist, und wir haben das voriges Jahr wiederbelebt. Diese internationale Geschichte ist für mich ganz wichtig. Das ist das, was immer sein muss, weil du sonst bescheuert wirst, auch wenn du nicht mehr reisen kannst, gerade wenn du nicht mehr reisen kannst. Und durch den großen Garten, den ich da hab, ist mir klar geworden, dass ich immer eine Gärtnerin war. Auch als Lehrerin.