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Eine/r von hundert
Tagebuch aus dem Berliner Winter und Frühjahr 2023/2024
2024:Mai //
Eine/r von hundert
Eine/r von hundert / 2024:Mai
26.11.2023 Fotografiska
Eine schwedische Museumskette hat im ehemaligen Tacheles eine Dependance eröffnet. Auf drei Stockwerken wird zeitgenössische Kunst mit einem Schwerpunkt auf Fotografie gezeigt, dazwischen viel Gastronomie, ein gut kuratierter Museumsshop und ein großer Veranstaltungssaal, in dem gerade eine Veranstaltung mit Candice Breitz stattfindet. Das Treppenhaus ist mit Tags und Sticker übersät, wir sind uns einig, dass es sich hierbei um kulturelle Aneignung der ehemaligen Subkultur handelt. Uneinig sind wir uns bei der Ausstellung: Sie macht alles richtig, indem sie eine diverse Künstler*innenauswahl zusammenstellt (feministisch, queer etc., wobei keine Künstler*in aus Deutschland dabei ist), aber bleibt davon was hängen? Auch bei Juliana Huxtable, einer queeren BPoC-Künstlerin, deren Arbeit zeitgeistig poppig und kritisch ist, sind wir unschlüssig. Candice Breitz dagegen überzeugt mit Whiteface, einer kritischen Arbeit zum Thema Weißsein. Sie verleiht dem Haus dadurch eine insgesamt kritische und politische Haltung. Ist das klug von ihr gewesen? Wurde sie dafür wenigstens anständig bezahlt?
26.11. zu Hause
Eine kleine Verdichtung zum Thema Aneignung:
– Bei einem Künstleringespräch wird kontrovers über kulturelle Aneignung diskutiert. Ist es legitim, Material aus kolonialen Publikationen zu verwenden? Ist eine künstlerische Auseinandersetzung schon Bruch genug mit dem toxischen Quellenmaterial oder reproduziert man automatisch koloniale Blicke und Narrationen, auch wenn die Intention eine gegenteilige ist? Kann man die einseitig-kolonialistisch-hierarchische Perspektive nur durch ein Gespräch mit Betroffenen aufbrechen, um nicht erneut über sie zu sprechen, wie im Vortrag der Künstlerin?
– Ich bekomme einen aufgeregten Anruf von K., ihr Audiostück sei ohne ihre Absprache Teil eines Seminars in Halle. Das ginge gar nicht, sagt sie und bittet mich, die Sendung, in der wir ihr Audiostück gespielt haben, aus dem Netz zu nehmen. Erst eine Woche vorher hatte sich A. bei mir beschwert, dass ihre Grafikerin ihre Idee eines ausführlichen Glossars offensichtlich übernommen hätte und fragte mich um Rat, wie damit am besten umzugehen sei. Vielleicht sei der wesentlich Jüngeren gar nicht klar, dass das nicht geht bzw. eine Absprache angebracht sei, frage ich sie. Sie wolle noch mal mit ihr sprechen, sagt A.
Später fällt mir ein, dass ich auch schon mal ein sehr ungutes Gefühl bei einer Publikation hatte, weil vergessen wurde, mich zu crediten. Am meisten geärgert hatte mich damals aber, dass die zwei männlichen Autoren ein weibliches Pseudonym verwendeten – während sie mich als eine der wenigen weiblichen Beteiligten vergaßen. Ich deutete das als einen strategischen Move und empfand es als ziemlich zynisch.
– Als ich mit B. über das Thema spreche, fällt ihm spontan eine weitere Form kultureller Aneignung ein: Wenn man im Bewerbungsgespräch ankreuzt, dass man genderfluid ist, obwohl man stockhetero ist, um seine Chancen im Wettbewerb zu erhöhen. Arg.
16.1.2024 immer noch zu Hause
Pressemitteilung des Hamburger Bahnhofs:
„Hamburger Bahnhof International Companions e.V.: neu gegründeter Verein fördert Diversität und Inklusion durch Bildung, Ausstellungen, Veranstaltungen und Ankäufe für die Sammlung, mit dem Ziel bis Ende 2028 10 Mio. Euro an Fördergeldern einzuwerben.
Im Jahr 2024 werden mehrere Firmen und Partner das Museum über die Hamburger Bahnhof International Companions unterstützen. Die Deutsche Bank fördert In Conversation, eine Reihe monatlicher Gespräche mit internationalen Künstler*innen. Weitere Partner sind unter anderem illycaffè, Samsung Foundation of Culture und Werkstatt für Kreative der Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank.
Der Hamburger Bahnhof International Companions e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, das Museum über private Mitglieder und Sponsor*innen mit jährlich 2 Mio. Euro zu unterstützen und bis 2029 insgesamt 10 Mio. Euro an Programmgeldern einzuwerben. Für 2024 konnten bereits Fördermittel von 1,2 Mio. Euro gesichert werden.“
Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier der Wolf im Schafspelz lauert: Ein weiteres Public-Private-Partnership, das die geschmeidigen Direktoren da ins Leben gerufen haben. Klingt nach tollem Programm, aber öffnet wirtschaftlichen Interessen die Türen und entlastet den Staat von notwendigen Infrastrukturförderungen.
24.2. sign, CIAT
Es gibt sie nur selten, diese Momente, wo man in eine Ausstellung kommt und geflasht ist, alle Konversation ausschlägt, um zu gucken. Als ich zur Finissage von Sonntag und die Hoffmännchen bei sign, CIAT komme, brauche ich etwas, um mich zurechtzufinden, da mehrere Kinder herum wuseln und gemeinsam an einem Kappaturm bauen, der fast bis zur Decke reicht und kurz darauf unter Getöse und Geklatsche zusammenfallen wird.
Die Wände sind ebenfalls voll: eine ist mit bunten Zeichnungen tapeziert, auf denen fotografierte Eisskulpturen platziert sind, auf einer anderen sind S/W-Porträts einer der Künstlerinnen mit Chatverläufen kombiniert. Auf einer weiteren sind zahlreiche Zeichnungen versammelt, die aussehen als wären sie von Kindern gemacht, aber sind sie es auch?
Im zweiten Raum zieht eine Foto-Projektion meine Aufmerksamkeit auf sich. Auch hier tauchen die Kinder und die Künstlerinnen auf, sind verkleidet, tanzen, sind mal frei gestellt vor schwarzem Hintergrund oder befinden sich in einem Rosenkohlfeld. Ich mag die Inszenierung der Alltagskomik mit Kindern und schätze die Selbstironie, mit der das alles inszeniert ist. Die künstlerischen Entscheidungen haben etwas Spielerisches, aber sie sind nicht beliebig. Dadurch geraten die Hierarchien ins Wanken, was die Ausstellung von Kunstvermittlungsprojekten in Museen etc. unterscheidet, bei denen die Kunstwerke in separaten Räumen ausgestellt werden.
14.3. Im Atelier von Alexandra Hopf
Werktalk bei Alexandra Hopf, das ist eines dieser tollen selbstorganisierten Formate, das seit 2012 existiert und bei denen Christl Mudrak und Monika Jarecka regelmäßig zu Arbeitsgesprächen in Atelier oder Ausstellungen einladen. Hopf zeigt erstmals ihren Film Being Renée Sintenis, an dem sie über zwei Jahre gearbeitet hat. Ich habe schon viel davon gehört und freue mich, ihn endlich sehen zu können. Am Ende ist er viel zu schnell vorbei, ich hätte gerne mehr über die Sintenis erfahren und mehr von Hopfs ästhetischen Übersetzungsideen verfolgt. Hopf war auf Sintenis (1888–1965) gestoßen, weil diese in den 1920er-Jahren in Berlin eine Erscheinung und erfolgreiche Künstlerin war, bekannt einerseits für ihr markantes Aussehen (sie war 1,80 groß) und ihre lesbische (heute: queere) Lebensweise. Gleichzeitig bestanden die meisten ihrer Kunstwerke aus kleinen Tieren in Bronze. Wie gehen ein avantgardistischer Lebensstil und diese recht konventionellen Arbeiten zusammen? Den Mittelpunkt des Films bildet ein fiktives Interview mit Sintenis, das Hopf mit einer Schauspielerin, die sowohl Moderatorin als auch Sintenis spielt, inszeniert. Hopf macht das toll, wie sie sich der Künstlerin nähert, ohne ihr zu nahe zu kommen und dabei auf den verschiedenen Ebenen (Ausstattung, Sound, Text) eine eigenständige wie überzeugende Form findet.
25.4. Küchentisch
Schock, Berliner Zeitung, noch ein Tod. Daniel Marzona. Ich kannte ihn nicht gut. 2015 kamen wir uns etwas näher. Er sah zufällig meine Ausstellung im Haus am Lützowplatz und fand sie toll. Ich war zum Weihnachtsumtrunk eingeladen, eine tolle Jürgen-Drescher-Skulptur, eine Alugussleiter, mitten im Wohnzimmer. Ich glaube, wir hatten ein ähnliches Kunstverständnis. Er hatte ja auch Sofia Hultén, eine ehemalige Koch-und-Kesslau-Künstlerin, im Programm. Wir trafen uns auch noch, um eine mögliche Zusammenarbeit auszuloten, kamen aber überein, dass aus mir kein Galerienkünstler mehr werden würde, ich den beidseitig benötigten Umsatz niemals erreichen würde. Außerdem sprachen wir über unsere erblich bedingten Gefäßprobleme, als ich Meeresfrüchte bestellte. Jetzt ist er daran gestorben. Nach Ben Kuckei wieder ein Herzinfarkt- oder Schlaganfalltoter. Wie schade, ich wollte ihn noch oft treffen und dachte, nach seiner Galerieschließung wäre das umso unbefangener möglich. Also auf keinen Fall mehr rauchen, weiter vegan leben, viel Sport treiben und so oft es geht, Menschen teffen, die man schätzt.
28.4. Gallery Weekend
Da liegt ein Süddeutsche-Zeitung-Magazin vor der Bürotür in der Steinstraße, ein Stil-Leben-Spezial und sicher hat Stefanie Sargnagel Recht, wenn sie auf der letzten Seite meint: „Das Gesellschaftsleben in der bildenden Kunst ist bestimmt von Millionären und Opportunisten.“ Mehr muss vielleicht zu dem Wochenende gar nicht gesagt werden.
Daniel Marzona