KÜNSTLER/IN, LEBENSLANG

Hans Kempel

2025:Juni // Sonya Schönberger

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06-2025

Ich bin Hesse und auf einem Dorf geboren worden. Darmstadt war zu 80 Prozent zerbombt damals, und daher kam meine Mutter mit mir im Bauch nach Oberhessen, in die sogenannte Wetterau. So heißt das Gebiet. Sehr viel Basalt. Ich mag diese Gegend sehr. Ich bin 1944 in der Schule geboren worden. Da war sie evakuiert. Meine Mutter war relativ jung. 23 Jahre alt. Eine Hübsche. Sie ist zweimal festgesetzt worden in Darmstadt, weil sie so jüdisch aussah. Aber wir sind keine Juden gewesen.
Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Mein Vater war unterwegs. Er war auf der Flucht, erst als Soldat, und dann war er später nicht da, weil der musste Geld verdienen. Er war Verwaltungsbeamter, höhere Verwaltungsakademie, war aber nicht Nazi, sondern Parteigenosse, weil sonst konntest du diese Laufbahn nicht machen. Und er hatte natürlich erstmal Schwierigkeiten, in Dienst zu kommen. Wir sind nach Darmstadt zurückgegangen vom Dorf. Meine Schwester wurde da übrigens auch geboren. Sie war vier Jahre jünger als ich.

Jetzt mit 80 Jahren, habe ich gesagt, machst du ein Fest oder was machst du jetzt? Ich mache kein Fest. Ich fahre jetzt wieder dahin, wo ich herkomme. Es war super. Und seitdem läuft bei mir noch mal ein anderes Programm. Ich bin wieder auf dieses Dorf hingefahren, in der Umgebung gibt es Verwandtschaft, die geht mir am Arsch entlang. Die interessieren mich überhaupt nicht. Die Verwandtschaft war immer so ein Identitätsmerkmal. Die Oma hat immer gesagt, das ist unser Blut, die Kempels. Dieses Denken. Die hatte ja auch einen Bauernhof gehabt dort. Und da habe ich mir gedacht, na, das bin ich auch. Aber dann habe ich jetzt gemerkt, völlig uninteressant. Was aber interessant ist, ist die Landschaft. Ich bin dort hinterm Dorf rumgelaufen, wo ich als Kind früher unterwegs war, wenn die Amerikaner Manöver gemacht haben. Wir sind immer hingelaufen, haben geguckt, dass wir von den Amis Zucker kriegten oder irgendwas, was lecker war. Da bin ich in den kleinen Wäldern rumgelaufen mit meiner Frau. Und da habe ich gemerkt, das bin ich. Da ist meine Identität an diesem Ort. Und da weiß ich auch, warum ich Bildhauer geworden bin, wenn ich das mal so betrachten will. Das hat etwas mit einer bestimmten Materialität zu tun, mit einem bestimmten Gefühl von Bewegung, von Landschaft, von Gerüchen, alles mögliche. Und das hat sich dann auch in der Landschaft verändert.
Darmstadt war für mich eine ganz krasse Nummer. Darmstadt war tatsächlich zu 80 Prozent zerbombt. Also, ich bin zwischen Trümmern aufgewachsen. Das war ganz normal. Wenn ich nach Hause bin, hab ich immer in den Trümmern rumgemacht, bis ich zu Hause war. Das hat dann gedauert. Da hat sich keiner drum gekümmert und Angst gehabt, dass da irgendwas passiert. Natürlich sind da Sachen passiert. Aber dann war es so. Es war alles viel gröber. Es waren keine Väter da zu der Zeit. Die waren alle in der Gefangenschaft irgendwo. Oder bei den Russen. Und die Jungs, die damals sechs, sieben Jahre älter waren als ich, das waren die ersten Halbstarken. Die waren brutal. Es gab Straßenbanden. Ich durfte mitmachen als kleiner Spion. Ich musste nicht kämpfen. Alles sehr krass.
Es gab ein Kino dort. Zwischen Trümmern. Und da zeigten sie Cinderella. Diesen Trickfilm von Disney. Der Film, das war Zauberei. Das war magic. Und dann kamst du raus und bist durch die Ruinen. Das ist bis heute dieses Gefühl. Dieses Wegsein in dieser anderen Welt. In dieser wunderschönen Welt.

Die Mutter meiner Mutter war mit meinem Vater nicht einverstanden. Es gibt eine Vorgeschichte: Meine Mutter hatte einen Verlobten und der kam aus dem Großbürgertum. Der ist abgestürzt mit dem Flieger, am Anfang des Krieges direkt. Ich habe nicht rausgekriegt, was da passiert ist. Es hat mich echt interessiert. Zu spät habe ich das überhaupt kapiert. Mein Vater hat meine Mutter auf dem Land draußen auf einer Hochzeit gesehen. Mein Vater war sieben Jahre älter, da muss meine Mutter vielleicht so 14, 15 gewesen sein. Da hat er sie gesehen und sich in die verknallt. Und hatte keine Chance, weil sie ja auch erst 14, 15 war. Mein Urgroßvater war Theatermaler in Darmstadt. Und in Darmstadt, wenn du Theatermaler warst, warst du in einem bestimmten Kulturkreis angebunden an dieses Großherzogtum. Meine Mutter hatte eine Puppenküche vom Prinzesschen, da gibt es Fotos, mit weißen Schleifen und so. Also da gab es so eine höfische Verbindung quasi. Und da gibt es so Geschichten, die dann erzählt werden. Und Darmstadt ist sehr speziell. Und der Bruder meiner Mutter war Schauspieler. Das war mein Idol. Also ich war sehr stark in dieser Geschichte der Familie von dort verknüpft. Mein Vater hat das hingekriegt, wieder reinzukommen. Aber das war auch so eine Tragik. Weil da ist er nicht glücklich geworden. Der Verlobte meiner Mutter war Chemiker. Ich weiß gar nicht, wo ich gelandet wäre in der ganzen Geschichte. Es sind ganz andere Perspektiven da. Mein Vater wollte immer Karriere machen, nach oben gehen. Er wollte zum Landwirtschaftsministerium. Ist auch hingekommen, hat er geschafft. Das war früher alles ganz anders. Früher musste man immer leisten. Man wurde dahin geschickt und dahin geschickt und dann irgendwann haben sie gesagt, jetzt kannst du hier nach Bonn kommen. Und so ist ihm das auch passiert. Und das kostet natürlich Kraft. Und dann hatte er dort eine Stelle. Und dann ist sein Abteilungschef krank geworden. Und der Parallelchef, der Konkurrent war, hat meinen Vater rausgeschmissen. Und das hat er nicht verkraftet. Und dann hat er sich umgebracht. Apropos Tod: Ich habe keine Angst vor dem Tod. Überhaupt nicht. Ich hatte schon Nahtoderfahrung. Ich war auf dem Weg, umzufallen. Umzufallen hieß, wegzugehen. Ich war auf dem Weg. Irgendwie hat mich was runtergehauen. Und es war total angenehm, da hinzugehen. Aber ich wollte dann nicht. Nein, das will ich jetzt nicht. Ich stand bei meinem Freund in der Küche und war dann wieder da. Aber das war ein Moment, wo ich dachte, boah, ist das schön. Dann überlegt man, dieser ganze Mist hier, der zählt nicht mehr. Ich lasse alles los.

Mein Vater, seine Laufbahn bestand darin, dass er in verschiedenen Instituten des Bundes Verwaltungsleiter wurde. Erst als Inspektor, dann als Oberinspektor, dann Amtmann. Da musste man sich richtig hochdienen. Und mein Vater eben auch. Detmold war die nächste Station. Mein Vater war dann relativ wenig zu Hause. Und dann immer weniger später. Ich hatte ein Idol in meinem Leben. Das war Karl Heinz, der Bruder meiner Mutter, der Schauspieler. Der hatte eine super Energie, sah gut aus, hatte immer Power. Er war so ein Action-Typ. Und dann mit 38 Jahren ist er auf der Bühne umgefallen. Hirnschlag. Sensa. Kurz danach ist dann mein Vater ausgestiegen. Also das war so ne Phase Ende der Fünfziger Jahre, da sind in meiner Familie Situationen entstanden. Als mein Vater starb, hatte ich einen absoluten Einbruch. Ich war nie gut in der Schule, ich war intelligent. Mit meinem Vater ist es so passiert: Meine Mutter war in der Psychiatrie, früher sagte man in der Nervenklinik. Ich habe später erfahren, mein Vater wollte sich immer schon umbringen, war länger manisch depressiv. Er kam ja mit 30 erst aus dem Krieg raus.

Und dann, später, war die Mutter nicht da, war in der Klinik. Da hat der Vater uns versorgt, meine Schwester und mich. Und es gab einen Tag, wo wir von unserem Vater eine Mark haben mussten, eine D-Mark für die Schule, irgendwas musste bezahlt werden. Ich muss eine Mark haben, Papa. Und da war der irgendwie sauer, hat geschimpft und zu mir gesagt, du wirst dich wundern, wenn ich nicht mehr da bin. Und dann fuhr er in die Klinik, um meine Mutter zu besuchen. Auf einmal kam die Oma zu uns und irgendwann meine Mutter, und mein Vater war tot. Man hat uns erzählt, der Vater hatte eine sogenannte galoppierende Lungenentzündung. Ich bin mit so einer Lüge groß geworden dann. Mein Vater ist zu meiner Mutter gefahren, das kam hinterher raus und hat zu meiner Mutter gesagt, Elfriede, wenn du willst, kannst du ja mal ein bisschen spazieren gehen, ich muss mich hinlegen, ich bin müde. Hat sich in ihr Bett gelegt, hat die Pille genommen und war tot. Ich glaube, mein Vater war effektiv von der ganzen Geschichte, in der er sich befunden hat, überfordert und wusste einfach keinen Ausweg mehr. So sehe ich das inzwischen. Ich war lange genug wütend auf meinen Vater.

Mein Verhältnis zu meiner Mutter war entsprechend. Das heißt, ich hatte Schuldgefühle bis hier oben hin. Aufgrund dieser Aussage von meinem Vater. Das hat er nicht bewusst gemacht, das ist ihm einfach rausgerutscht. Der wusste natürlich schon, dass er sich umbringen wollte. Und das Dramatische ist, dass meine Mutter wiederkam, also gelebt hat. Das Paradoxe war, die Mutter war krank, aber mein Vater war tot. Das ging für mich gar nicht zusammen. Wir wohnten damals noch in so einem Institutshaus oben. Ich stand unten im Keller neben der Kartoffelkiste und habe meine Mutter zu Tode gehasst. Das erste Mal in meinem Leben, als ich gehasst habe, habe ich meiner Mutter den Tod gewünscht. Ich stand da unten und fragte, wieso ist sie da? Und das wiederum hat noch mal Schuldgefühle ausgelöst. Erstmal meinem Vater gegenüber, dass der nicht mehr da war. Und dann meiner Mutter, der ich den Tod gewünscht habe. Das sind so meine Konflikte gewesen, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich bin dann schwer in die Bredouille gekommen. Ich war so ein kleiner, hübscher Junge. Es gab bestimmte Verunsicherungen auch da. Ich hatte Schwierigkeiten mit Männern. Die wollten mich immer irgendwie komisch bedienen. Entweder, wenn sie schwul waren. Oder sie haben mich nicht ernst genommen, die ganzen Macker-Typen. Ich sage immer den Frauen heute, wenn du Probleme mit Mackern hattest, ich hatte auch meine Probleme mit diesen Mackern. Wenn ich mit meiner bestimmten Emotionalität oder meiner Lebendigkeit aufgetreten bin, haben die mir sofort einen draufgedrückt. Also Kunst war für mich die Alternative. Es war genau richtig, diese Entscheidung zu treffen. Meine Mutter wollte das gar nicht. Weil die wusste von ihrem Bruder, wie schwierig das ist, frei zu existieren. Und ich sollte eine Ausbildung machen. Dann habe ich diese Lehre gemacht. Aber die habe ich nicht gemacht aus diesem Grund, eine Norm zu bestätigen. Ich bin in der Schule dreimal sitzen geblieben. Das ist ja auch was, was man erstmal schaffen muss. Immer als intelligent eingestuft worden. Ich bin ausgestiegen. Dann kam meine erste selbstständige Entscheidung, dass ich zum Arbeitsamt gegangen bin. Ich glaube, ich möchte Grafiker werden. Das war so eine Idee, weil ich habe viel gemalt. Ersatzweise auch natürlich. Und dann hat der gesagt, willst du denn nicht Holzschnitzer werden? Detmold, Möbelindustrie. Und ich so, was ist das denn? Ja, Riemenschneider, hat er mir erzählt. Da dachte ich, ah ja. Weißt du. Ja. Da ist ein Innungsmeister, der sucht nach einem Lehrling. Und dann wollte der nur wissen, was ich für ein Sternzeichen habe. Das war ein spiritueller Spinner. Ja, Skorpion ist in Ordnung. Da nimmt er mich. Die haben künstlerisches Potenzial. Zeugnis wollte der gar nicht sehen. Und dann bin ich da eingestiegen. Das war meine Rettung. Mich hätten sie sonst irgendwo in eine Klinik packen können. Ich war so durchgeknallt. Ich hatte keine Kommunikation mehr, nichts. Ich war völlig durcheinander von dieser Schul-Situation. Mit diesen Voraussetzungen bin ich in die Lehre gegangen. Und die drei Jahre haben mich stabilisiert. Ich habe den Meister später nochmal getroffen und er war ganz stolz, dass ich dann studiert habe. Das ich weitergemacht habe. Und von da bin ich dann ins Kunststudium gekommen. Weil ich wollte immer Kunst machen. Ich musste meine Mutter aktivieren, dass die einen Professor angesprochen hat, der ursprünglich auch aus Darmstadt kam. Karlsruhe war für mich interessant, nicht nur wegen diesem Typen, weil meine Mutter war mit seiner Frau befreundet, dadurch war ich angemeldet sozusagen. Der hat das nicht entschieden, aber da wusste man, ich komme. Karlsruhe war interessant, es gab zwei Möglichkeiten. Ich konnte in Karlsruhe Kunst studieren, als Kunsterzieher, aber Kunst machen. Das wissenschaftliche Beifach konnte auch Kunstgeschichte sein. Ich bin ein super Kunsterzieher. Ich bin Handwerker, Kunsthandwerker, also Holzschnitzer. Ich habe Kunstpädagogik studiert und Kunstgeschichte als Nebenfach. Ich hätte eine Karriere gehabt, ganz klar. Die erste Planstelle, die man mir angeboten hatte, die ich abgelehnt habe, war in Hamm. Als einziger für das Abitur qualifizierter Kunsterzieher, mit allen theoretischen Beifächern, die man haben muss, wäre ich eingestellt worden. Und auch zwei, drei Jahren bist du Oberstudienrat und dann machst du noch ein paar Sachen öffentlich, dann bist du Studiendirektor. Das geht dann, klar. Und das habe ich nicht gemacht. Ich wusste, dass das kommen kann, aber ich wollte das nicht. Weil ich wollte Kunst machen. Und ich bin heilfroh inzwischen, auch wenn das finanziell nicht der Fall ist. Was ich noch möchte, ist als Künstler Sachen machen, die ich auch schon gerade angefangen habe, die noch stärker in die Öffentlichkeit kommen können. Ich möchte auch ein bisschen politisch bewusst aktiver werden. Weil ich habe was anzubieten. Ich habe auch eine Idee vom Leben und von der Gesellschaft. Ich bin ein alter 68er. Ich kenne die ganzen Utopien und all das. Und ich weiß, was man machen kann. Kunst ist essenziell für mich als gesellschaftliches Phänomen. Das wird absolut unterschätzt und falsch bewertet mit diesem ganzen gesellschaftlichen Scheiß, der dabei ist. Auch das Paradox, dass Künstler, die ja an sich potenziell anarchistisch sein sollten in ihrem Verständnis, die ja nicht die Sachen annehmen sollen, sondern sie infrage stellen sollten, das ist Anarchie im Grunde genommen, das ist auch Elixier. Mein Standing ist aus meinem Leben gekommen. Und die Kunst war für mich immer ein Medium, mit dem ich mich artikulieren konnte. Für mich ist das Leben Potenzial. Nicht realistisch betrachtet, sondern einfach erfahrungsmäßig betrachtet, um sein Sein zu verwirklichen.

Ich habe ein zweites Staatsexamen gemacht. Dann habe ich gesagt, wo gehst du hin? Also in Karlsruhe bleibst du nicht. Das war unerträglich. Im Puff von Karlsruhe habe ich gewohnt, im Dörfle. Und hatte einen Streit mit meinen Freunden in der WG. Wir hatten ordentlich Ouzo getrunken und eine Hammelkeule gemacht. Und dann habe ich Zorn gekriegt und bin weggegangen und im Knast aufgewacht. Die hatten mich gefunden und eingesperrt. Es kam raus, dass ich vor meiner Haustür gelegen habe, bewusstlos. Und da haben die mich, weil die den Schnaps gerochen haben, erstmal zur Ausnüchterung in die Zelle gesteckt. Und gar nicht groß geguckt, was mit mir los war. Ich weiß noch, sie haben mich überprüft, ob ich Auto gefahren wäre. Und da musste ich hingehen, wo mein Auto stand, in einer Gasse. Da habe ich den Motor angefasst. Der war kalt. Ich bin auch kein Auto gefahren. Ich bin dann einen Tag später in die Klinik und da haben sie festgestellt, Oberkiefer gebrochen, Jochbein gebrochen, zersplittert. Und die ganze rechte Seite blau geschlagen. Ich hatte schon mal gesehen, wie die Nutten Freier niedergenagelt haben mit ihren Pumps. Das haben sie mit mir wohl auch gemacht. Ich hatte nur fünf Mark in der Tasche. Also ich wollte mit Sicherheit nicht vögeln gehen. Ich wohnte da ja. Die haben wahrscheinlich gesagt, Hallo Süßer. Dann habe ich wahrscheinlich gesagt, leck mich am Arsch. Ich habe das ja gesehen, wie sie das gemacht hatten, und das kann ich mir nicht anders vorstellen. Also das ist eine Vermutung, die sehr naheliegend ist. Aber das ist eben im Suff passiert. Drei Monate krank. Also ich bin schon durch was durchgegangen, muss ich mal sagen. Ich bin nicht stolz drauf. Aber es ist einfach passiert. Ich habe das nicht beabsichtigt.

So, mein Prof in Karlsruhe wollte meine Arbeit nicht anerkennen. Ich hatte ein Konzept gemacht, das wollte er nicht anerkennen. Der wollte mir einen reintun. Und dann war ich in der Prüfung mit dem Examen, und das hat er mir nicht gegeben. Dann bin ich, muss ich jetzt mal sagen, das mache ich heute auch noch, wenn es drauf ankommt, dann bin ich kempelmäßig vorgegangen. Und habe allen erzählt, ich mache mit dem keinen Gerichtsstreich, sondern ich schlage den nieder. Ich bin Bildhauer und der kriegt den Knüppel. Ganz einfach. Ich habe eine Arbeit gemacht, wenn er mir jetzt eine Vier gibt, ist scheißegal, aber er muss es anerkennen. Und sonst schlage ich den nieder. Das wird er nicht vergessen. Hat funktioniert. Und so bin ich da ausgestiegen, aus der Akademie.
Und dann dachte ich, da gehst du nach Berlin. Und zwar habe ich mir überlegt, Berlin ist eine Stadt, da spiegelt sich der ganze Westen wider. Also was in Berlin passiert, politisch, gesellschaftlich, das kommt später auch in Dortmund oder sonst wo zu Tage. Das ist spannend. Und dort habe ich dann erst mal gearbeitet, als Hühncheneinpacker für eine türkische Fluglinie, dann Catering-Service am Flughafen in Tegel. Und da wollten die mir einen festen Job geben. Aber das ist nicht meine Karriere. Das war so 1976. Und dann habe ich mich durchgeschlagen, wirtschaftlich gesehen. Ich hatte eine Stelle am Schillertheater für den Theater-Bildhauer. Da durfte ich keine skulpturalen Sachen machen, da musste ich Rosenhecken für irgendein Stück flechten und so einen Scheiß. Aber es war ein guter Job dort. Ich habe noch nicht daran gedacht, dass ich von Kunst leben könnte, muss ich ehrlich sagen. So weit war ich nicht. Wir waren so auch nicht strukturiert. Damals warst du immer auf den Professor-Puff geeicht und hast gesagt, da muss irgendwas laufen, entweder an der Akademie oder sonst wo. Ging aber nicht. Und dann habe ich gedacht, nee Hans, du hast dich nicht so gut gemacht. Du hast jetzt zwei Staatsexamen, jetzt machst du das für Gymnasiallehrer, damit du das abgeschlossen hast, was immer das heißt. Und da habe ich mich von dort aus nach Hamm beworben, ins Lehrerseminar und bin auch angenommen worden. Fast zwei Jahre lang, war ich Studienassessor in Beckum, da habe dann mein zweites Staatsexamen gemacht. Zu der Zeit war das so, da waren Leute dort, die waren Assistenten an Lehrstühlen. Und damals hat man in Westfalen gestrichen, dann flogen die raus und mussten auch was machen. Da sind die Lehrer geworden. Und wir kamen an und sie haben gesagt, meine Herren, mit Frankfurter Schule ist hier nichts, nur dass Sie Bescheid wissen. Hier zählt nur die Anpassung. Okay. Und das waren alles Leute, die waren in meinem Alter. Ich war ja schon Anfang 30. Das waren keine, die gerade Abitur gemacht hatten. Das waren ganz andere Figuren. Mein Tutor an der Schule, wo ich war, war auch gleichzeitig mein Seminarleiter. Der hatte mich genommen, weil er auch mal in Karlsruhe studiert hat, der Idiot. Das war seine Motivation. Und ich habe natürlich dort auch einen linken Unterricht gemacht. Zum Beispiel Analyse von Mietskasernen, Analyse von Villenarchitektur in Berlin. Mussten die ausrechnen, wie viele Personen in welchen Räumen zu welchen Zeiten lebten. Ganz einfach, ohne Wertung. Einfach nur mal so eine Betrachtung. Und dann hat der gesagt, das geht aber so nicht, das ist ja viel zu tendenziell. Ich sage, ja, kein Problem, dann nehmen wir die Mietskasernen. Das war genau richtig so, für mich jedenfalls. Da waren Schüler, die kamen vom Bauernhof. Bauernhof ist dort 200 Hektar. Da sitzt einer irgendwo auf einem Streifen Land alleine. Da habe ich eine Umfrage gemacht. Was meint ihr, wie sich die Leute gefühlt haben, die mit 250 Leuten in so einem Hof gewohnt haben. Dann hat sich eine gemeldet, ja, sie kann sich vorstellen, dass das wunderbar ist, mit so vielen Menschen auf einem Ort zusammen zu sein. Und ich dachte, was ist denn jetzt los? Bis ich kapiert habe, ja klar. Sie kommt aus der Einsamkeit.

Ich habe den Fachleiter abgewählt als Prüfer. Ich habe gesagt, der ist für mich nicht akzeptabel, so wie er mit mir umgeht. Der versteht meine Arbeit nicht. Meine Prüfungsarbeit hieß „Vom Gegenstand zur Abstraktion“. Die Schüler haben ihre Arbeiten ausstellen müssen. Vorm Lehrerzimmer. Und dann sind natürlich die ganzen Idioten vorbeigelaufen und haben gesagt, was ist das denn da? Ihr erklärt denen das jetzt. Haben sie gemacht. Sie haben denen das erklärt. Super. Die sind sogar samstags gekommen für diese Arbeit, die ich da mit ihnen gemacht habe. Weil ich sage, das kriegen wir in der normalen Welt nicht hin. Dann habe ich eine 4 gekriegt. War mir auch scheißegal. Ich habe Leute gesehen, die sehr gut waren, theoretisch auch. Die sind mit Tränen aus diesen Prüfungen gekommen. Ich gehe hier nicht mit Tränen raus. Ich gehe senkrecht raus. Egal was kommt. Und so bin ich dann aus der Prüfungssituation rausgekommen. Haben die mich beglückwünscht. Da entsteht so eine Situation. Du bist geprüft. Alles ist gelaufen. Und dann stehen die da vor. Sie haben bestanden, Herr Kollege. Dann bist du aufgenommen. Geben dir die Hand. Und ich stand da. Tut mir leid, ich bin nicht dabei. Vorher haben sie mich fertiggemacht. Sie sind zu suggestiv. Sie setzen zu viel Persönlichkeit ein. Und dann haben sie es umgedreht. Sie sind doch ein ganz überzeugender Lehrer. Aber was machen Sie denn jetzt, Herr Kempel, wenn Sie nicht in die Schule gehen? Ich gehe nach Berlin zurück. Ich mache Kunst. Sie haben mir ja klar gemacht, wie kompetent ich bin. Das habe ich jetzt verstanden. Und die Konsequenz ist für mich, ich mache Kunst. Freie Kunst.
Und dann habe ich auf dem Bau gearbeitet, habe Fassaden renoviert. Das konnte ich ja. Also so Ornamentfassaden und so auf der Sonnenallee. Und dann bin ich in den Ausstellungsbau geraten. Das war ’82, ’83, in der Zeit. Dafür hatte ich ja alles. Ich hatte Handwerk und Technik. Und damit bin ich bis jetzt zum Schluss gekommen. Also bis Mitte 60 ungefähr habe ich Ausstellungsbau gemacht. Aber ich war im Grunde überqualifiziert. Wenn ich die Restauratoren gesehen habe und diese ganzen Kunsthistoriker. Ich kannte das alles. Aber ich wurde bezahlt mit 10 Euro, 15 Euro. Also total schlecht. Und ohne Absicherung und so. Aber es hat mir geholfen durchzukommen. Und ich habe auch zeitweise sogar die Leitung gemacht. Das konnte ich sogar auch. Ich kann 50 Leute leiten. Kein Problem. Man muss ja wissen ob man sich durchsetzen kann oder nicht. Also neben der Kunst. Einer von meinen Lehrerfreunden, von diesen Studiendirektoren, hat einen Bauernhof gekauft am Niederrhein in Xanten, und hat gesagt, willst du mal vorbeikommen? Ich habe hier Platz. Und da habe ich mir dann ein Atelier eingerichtet in einer Scheune. Und da bin ich immer von hier nach dort gefahren, habe vielleicht drei, vier Monate da gearbeitet und Skulpturen gemacht. Und bin wieder zurück. Ich bin jetzt mit 80 an einem Punkt angekommen, wo ich meine Kunst, die Sachen, die ich mache, zu dem Preis verkaufen kann, den sie wert sind. Ich muss nicht mehr irgendwie kungeln, ich tue das nicht mehr. Ich kann heute auch die alte Kunst, die jetzt zehn Jahre alt ist oder so, die kann ich heute verkaufen. Die wollen Leute heute haben.
Ich habe mit jemandem eine Galerie aufgebaut. Und ich dachte, dass der mich unterstützt. Und der hat mich nicht unterstützt. Das ist eine ganz persönliche Geschichte. Der hat mit mir konkurriert, weil er der Meinung war, er ist auch Künstler. Der hatte Geld im Hintergrund. Ich kannte den aus dem Studium. Ich habe ihn sogar unterstützt, damit er in der Akademie aufgenommen wurde. Befreundet in dem Sinne waren wir nicht, weil der war erhebliche neun Jahre jünger als ich. Wir kannten uns. Und der hatte, als ich nach Berlin kam, gesagt, Hans, guck mal, was ich hier mache. Der hat Antiquitäten verkauft. Und da habe ich gesagt, ich würde vorschlagen, wir verkaufen Expressionisten. Das kann man verkaufen, da ist ein Markt für da. Und dann versuchen wir gleichzeitig, aktuelle zeitgenössische Kunst zu transportieren. Also klassische Sachen und dann die neueren Sachen dazwischen. Das war mein Konzept. Das haben wir gemacht, haben eine Galerie gekauft, also der Vater hat das gekauft, haben die renoviert und so weiter und dann haben wir angefangen. Dann habe ich für 1.000 D-Mark damals gearbeitet dort, wie eine Hilfskraft. Und dann wollte ich einsteigen, habe ich mir dann sogar noch Geld geliehen, um einsteigen zu können. Um als Partner zu steuern. Ich war ja quasi Partner. Der wollte das nicht, weil er der Meinung war, wenn ich einsteige auf der Basis, dann müsste die Galerie ja auch das Geld verdienen, das ich zum Abzahlen brauche. Und das wollte er nicht. Und dann hat mich sein Vater ausgezahlt. Das war schon mies alles. Und ich habe lange gebraucht, bis ich kapiert habe, was da eigentlich gelaufen ist. Wie ich sozusagen mich selbst ausgebeutet habe und auch ausgebeutet wurde von jemandem, der das gar nicht wert war. Das sind so verunglückte Jungs: Die sind Galeristen, weil sie das gut machen können. Die wollten immer Künstler sein und haben es nicht hingekriegt. Ja. Weil ich weiß ja, was das für ein Preis ist, wenn du kein Geld hast, wenn du dich durchschlagen musst. Das übernimmt ja keiner von denen. Die wollen ja eine Garantie haben. Und dann haben sie dann die Garantie. Die bauen sie sich dann zusammen. Furchtbar. Heute ist das für mich so eine Geschichte, eine Erzählung. Hat mich aber sehr lange belastet, auch selbst in Verbindung mit Galerien zu kommen. Weil ich fand die Galeristen in dem Zusammenhang nicht mehr für mich wertschätzend genug. Also nicht wichtig genug. Wenn man einmal hinter die Kulisse geschaut hat, ist es extrem schwierig, Vertrauen zu finden oder überhaupt da mitzumachen. Die Galeristen haben mir nicht das gegeben, was ich mir gewünscht habe. Das heißt, sie haben mir nicht den Markt vermittelt, mich in den Markt vermittelt, also überzeugend vermittelt. Und haben versucht, meine künstlerische Idee einzuschränken. Du kannst nur das machen und das geht und das geht nicht. Und das ist lächerlich. Weil sie haben nicht die Kompetenz. Die meisten Galeristen haben nur eine Idee, wie sie gesellschaftlich vermarkten können, aber keine Vision.
Ich habe ein Problem mit der Konkurrenz der Künstlerkollegen. Das ist genauso schlimm. Ich meine, ich bin wahrscheinlich, in gewisser Hinsicht schon ziemlich reflektiert. Ich weiß auch eine Menge. Also nicht nur über Sachen und Erfahrungen, die ich habe. Und ich habe auch immer Interessen gehabt. Ja, also ich meine, dass ich mit so Begriffen operiere, dass ein Wort auch ein Bild ist. Das ist ja nicht ganz üblich, so standardmäßig betrachtet. Alle versuchen ihre Bilder zu machen und glauben, die sind es. Und ich sage, okay, ich weiß nicht, ob es das ist. Es gibt noch andere Möglichkeiten.

Am Niederrhein, das waren mehrere Jahre. Das war von Mitte ’80, sagen wir mal, Ende ’80 kam ja meine Frau aus dem Osten dazu. 1992 habe ich mich in eine 25 Jahre jüngere Frau verknallt. Ich habe an alles gedacht, nur nicht an sowas. Aber es war eine richtige Liebesgeschichte. Also für mich jedenfalls. Für sie vielleicht auch. Das ist so eine Zäsur für mich. Ich habe sie auch sehr unterstützt in ihrer künstlerischen Entwicklung. Aber irgendwie, nachdem wir uns getrennt haben, weiß ich nicht. Es sieht nicht so aus, wie wenn sie das für sich selbst weitermachen konnte. War sehr gut. Ich habe ihr geholfen, sie unterstützt, nicht geholfen, dass sie mit ihren mediativen, mit ihren Konzentrationsfähigkeiten, dass sie diesen abstrakten Gestus machen konnte. Das muss man erstmal können und das konnte sie. Wir waren zehn Jahre zusammen und dann haben wir geheiratet. Weil ich wollte auf einmal heiraten. Dann hat meine Freundin gesagt, hör mal, Alter, 68, jetzt fängst du mit sowas an? Was soll das denn jetzt? Ich sagte, ich weiß es auch nicht, aber ich hab auch eine Formel dafür gehabt für mich. So nach dem Motto, 1 und 1 ist 2, hoch 2 ist 4. Ja, also man kommt zusammen, man macht was zusammen. Und dann potenziert sich etwas. Und das war eine super Idee. Und dann habe ich noch den Swing dazu entwickelt, die Bewegung. Das heißt, wenn der eine hochgeht, kann der andere ruhig unten bleiben. Und dann wechselt das. Und dann entsteht eine Bewegung an sich. Und das hat mich immer fasziniert. Diese Option, die da gegeben ist. Auch im Zusammenhang mit der Geschichte meiner Eltern. Wo das so nicht stattgefunden hat, wahrscheinlich. Mein Vater hat immer gesagt, er muss die Bewegung machen. Meine Mutter hat ihn auch unterstützt. Aber diese Bewegung, diese demokratische Geschichte, diese Gleichheitsmomente zwischen den Menschen, zwischen Mann und Frau. Nicht nur sexuell, sondern auch eine Bewegung. Geistig, körperlich, wie auch immer. Das hat mich fasziniert. Das fand ich einfach eine Idee. Und da dachte ich, wenn du heiratest, verändert sich was. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, so einen Rahmen herzustellen. Aber es hat sich eben anders entwickelt. Sie hat jetzt einen Partner, den sie immer schon hatte, also eine ihrer ersten sexuellen Erfahrungen, mit dem hat sie ein Kind. Ich hab erst später gemerkt, dass das eine gute Idee gewesen wäre, Kinder zu haben, sagen wir es mal so. Weil Kinder können auch motivieren. Und du kriegst was wieder. Und da entsteht eine Kraft. Aber in der Situation, in der ich war, mit der 25 Jahre jüngeren Frau, ich dachte, das kann ich nicht machen, das schaffe ich nicht. Da komme ich in eine Situation rein, die ich nicht leisten kann. Und da kommt natürlich auch meine eigene Geschichte mit dazu, mit meinem Vater. Ich war wahrscheinlich nicht wirklich bereit, dort in die Verantwortung zu gehen.
Ich bin also durch verschiedene Stationen durchgegangen, und zwar wirklich durchgegangen. Insofern habe ich mich immer unabhängig gefühlt und habe in dem Sinne auch keine Probleme. Das heißt, ich kann alles annehmen, was passiert. Wichtig ist für mich nur, dass ich überzeugt bin von dem, was ich tue. Und das ist das Entscheidende, das bin ich bis heute. Und dass ich in meiner künstlerischen Entwicklung das alles durchgegangen bin, auch in meinen Arbeiten. Und ich weiß inzwischen, ich kann fast alles machen, wenn ich es will. Und das reicht mir. Das heißt, ich habe nach wie vor für mich eine Perspektive. Was immer das ist, ich weiß es nicht. Was mir wichtig ist, dass ich die Power behalte. Meine körperliche und geistige Energie. Und wenn das nicht funktioniert mit dem Körper, dann schreibe ich. Das ist auch nochmal eine Idee. Mit Texten kann ich auch arbeiten. Für mich ist es wichtig, dass ich eine Alternative habe, und die habe ich. Und die ist unabhängig von dem, wo ich bin. Und wenn ich irgendwo auf einem Acker sitzen würde, würde ich mir irgendwie was schreiben. Das heißt, ich habe meinen Fluss in Berlin nicht verloren. Egal, was sich an den Umständen ändert. Und ich bin froh, dass ich Künstler bin. Ich bin auch froh, dass ich Bildhauer bin. Dass ich alles gemacht habe, was man als Bildhauer machen konnte. Noch nicht alles, aber dass mich das immer noch herausfordert. Das Entscheidende ist die Herausforderung. Es gibt keine negative Herausforderung. Es gibt nur die Herausforderung. Und das, was daraus entsteht, ist das Positive. Das ist die Chance, die ich habe. Das künstlerische Schaffen ist für mich tatsächlich die Herausforderung meines Lebens. Und das ist toll. Ich finde, das ist auch ein sehr, sehr wichtiger Punkt, weil es mich immer so herausfordert, dass ich immer wieder aktivieren muss, mich in meinem Leben zu verändern und anzupassen. Und das, was an sogenannten kreativem Potenzial in der Kunst steckt, da muss ich was für tun, um das auch zu erreichen.
Ich weiß inzwischen, alles ist möglich. Aber ich mache weiter. Darum geht es. Weitermachen. Nicht irgendwie, sondern bewusst weitermachen. Und deswegen versuche ich bei bestimmten Sachen deutlich zu sein. Man muss genau gucken, um was es eigentlich geht. Wer welche Pflicht hat.