VANITY FAIRYTALES
Der Tod steht ihr gut
2025:Juni //
Elke Bohn
VANITY FAIRYTALES / 2025:Juni
In der westlichen Welt markiert der Tod oft das Ende, nicht nur des irdischen Seins, sondern von Allem und Jeder. Da können großartige Kunstschaffende noch so viele Komödien drehen, tiefe Essays schreiben oder transzendente Kunstwerke produzieren. So schnell oder überhaupt kriegt das keine aus den vielen Köpfen raus.
Und dennoch fällt das genau immer wieder auf und vor die Füße – ist doch das Ende des irdischen Lebens das wirklich Einzige, was von Anbeginn an klar ist und feststeht. Sobald da, auf der Welt, ist nur das gesetzt, nicht jedoch ob hässlich oder schick, dumm oder nicht, erfolgreich oder clever und so weiter sich diese Liste zur Belustigung oder Schmach fortsetzen ließe. Es erstaunt viele wissenschaftlich Arbeitende ihr, Achtung, Berufenenleben lang, wie sich ein System mit dem einzig wirklich Klaren nicht geboten befasst.
Machen wir uns also auf, auf eine Reise zum Bewussten im Unbewussten, zu Orten und Denkenden, die sich Gedanken machen zu Gedanken, die wenige zu denken gedenken.
Starten wir in Berlin, bei unser aller Klaus Biesenbach. In seiner Ausstellung mit Yoko Ono nämlich ist erstmalig das Werk STEP INTO THE LIGHTS der Ausnahmekünstlerin zu sehen. Einige Engsteingeweihte munkeln, dass hier der Klaus doch auch etwas inhaltlich mitgewirkt hat. Die raumgreifende Arbeit ist in einem leichten und überaus angenehmen Grau gehalten; schön warm ist es obendrein und in der Mitte steht eine Liege. Nicht unheimlich soll das wirken – klappt natürlich nicht bei jeder Person, die dann doch den diesen Raum erwartungsvoll betritt – und neutral für möglichst viele sein. Nimmt man auf der Liege Platz, schwebt es sich beinah sogleich und sofort – zero gravity halt – schwerelos als Annäherung. So schwebend dunkelt sich der Raum etwas ab, unmerklich im zeitlichen beinah, so zart langsam. Von zentraler Stelle in der Decke nun strahlt ein Licht, nicht herab, das war und ist Yoko Ono ein zu martialisch-plumper Weg der Beschreibung. Das Licht erstrahlt die Gesichter der Schwebenden. Dass eine Nahtoderfahrung mit Licht einhergeht, in das man schaut oder geht, das hat sich scheinbar gut herumgesprochen. Ono hat mit einer tollen Firma gearbeitet, die ein starkes Licht erzeugen kann, ohne dass man geblendet von dessen Gleiß Augen und Seele zumacht, eng wird und nicht mehr nach vorne kann. So gehend und schauend, ins Licht und immer weiter, werden die Augen beobachtet. Erdacht einst zur Überprüfung der Funktionsweise kommerzieller Kommunikation, ist es hier nicht das Ziel, das Wohin der Augen zu bemerken. Das wie weit und hell und tief wird hier erfasst. Wie genau, das fragen mittlerweile wirklich nur noch die peniblen unter den Pinschern und Besserwissenden. Nach dem Gang und/oder dem Blick ins Licht, nicht dem Nichts, kann man ein 3-D gedrucktes Kaleidoskop mit genau dem eigenen STEP INTO THE LIGHTS erwerben und immer wieder erleben, wie man sieht, wenn aus dem diesen irdischen einen gegangen werden wird. Günstig ist das nicht, und ja, tatsächlich ließ es sich die Kassenkraft im Museumsshop nicht wirklich nehmen, den Preis mit einem „Umsonst ist der Tod“ zu komplettieren. Wir sind halt doch und noch immer in Berlin.
Nicht jedoch beim nächsten Kunstwerk, denn das wird in New York gezeigt, im New Museum um genau zu sein. Die Fotografin Lucinda Devlin zeigt zum ersten Mal ihre neue Serie „Omega Suites 2.0“. Hatte sie unter ähnlichem Titel in den Neunzigerjahren des vorangegangenen Jahrhunderts gar Orte der staatlichen Tötung fotografisch dokumentiert, so wendet sie sich nun allgemeineren Orten des Übergangs zu, wie sie es selbst nennt. Hospize, Zimmer in Wohnungen, in Wohnheimen, Betten, Liegen, Sessel – so tief in ihrer Energie, dass Einrichtungen und Geschmack nur mehr eine leicht begleitende Rolle spielen. Bice Curiger, die Kuratorin dieser Ausstellung, bemerkt sehr zutreffend, dass ein rein beobachtender Blick auf Orte des Todes und auch des Übergangs nur schwer bis beinahe unglaublich schwierig nur möglich sei. Zudem hätte diese 2.0-Serie auch einen starken Blick auf die mit dem Lebensende unweigerlich verbundene Care-Arbeit implementiert, ein sozialer Appell per se, ist doch gesellschaftspolitisch die allgemeine Verdrängungsleistung im Bereich Care-Arbeit ähnlich umfänglich ausgeprägt wie beim Thema Tod.
In New York bleibend, und das Leben vor dem Tod feiernd, auch wenn wir den Tod nicht mehr als Ende verstehen mögen, geht es feierlich in das „Per Se“, einen Tempel des Starkochs Thomas Keller. Frei nach dem filmischen Werk des Regisseurs Alejandro González Iñárritu, in dem das Experiment des amerikanischen Arztes Duncan MacDougall, umstritten zwar, und das nicht zu knapp, in spannungsgeladene Krimiform gebacken wurde. Grob wollte dieses Experiment belegen, dass es eine Seele gibt, die 21 Gramm wiegt, da ein beim Sterben Gewogener genau diese Zahl an Gewicht verlor, als das Leben aus dem Körper wich. Popkulturell wog die Seele fortan also 21 Gramm; warum denn auch nicht, dachte und denkt sich Koch Keller und kredenzt 21 Gänge mit je 21 Gramm paradiesisch gewordener Irdlichkeit. Geladen sind 21 mal 21 Staunende, also eine ganze Menge lebender Menschen, die sich über den Tag verteilt im „Per Se“ tummeln und Leben sowie Seele feiern.
Zurück in Berlin merkt man, auch das Leben geht weiter. Ob und wie nach dem, was wir Tod nennen, kann man wissen, kann man glauben und kann man hoffen. Wie in allem davor ist Bewusstsein ein Schlüssel. Nicht unbedingt immer zu dem, was wir gemeinhin als Erfolg wahrnehmen. Vielleicht doch zum Glücklichsein. Oder zumindest zum sich so fühlen.
Fotomontage: vonhundert