Nach seinem letzten Atemzug öffnet die Frau des Verstorbenen das Fenster.
Die Frau geht durchs Haus und verdeckt alle Spiegel mit weißen Tüchern.
Der Mann isst ein Hühnerei, das zuvor mit Asche bestreut wurde.
Auf einer Schnur sind 108 kleine Perlen und eine große Perle aus Sandelholz aufgefädelt. Der Daumen des Mannes berührt eine Perle nach der anderen. Mit jeder Perle rezitiert er eine Erkenntnis auf dem Weg zur Erleuchtung.
Das Kind beobachtet die weinenden und betenden Nachbarinnen im Wohnzimmer, wo der Leichnam seiner Großmutter aufgebahrt ist.
Die Wehklagenden verletzen ihr Gesicht, ihre Brust und ihre Arme. Sie zerreißen ihre Kleidungsstücke, reißen ihre Turbane vom Kopf, reißen sich Haare aus. Sie streuen Staub auf ihre Häupter und reiben Schlamm in ihre Gesichter.
Die Frau schlägt das Tuch, das über dem Kopf des Leichnams liegt zurück, schaut dem Verstorbenen ins Gesicht. Sie sagt:„Schlaf ruhig – es sei dir die Erde ein Federbett!“
Nach der stillen Geburt wäscht der Vater das tote Kind.
Mit dem rechten Zeigefinger salbt der Imam die Innenfläche beider Hände, beide Knie,die Zehenspitzen und die Nasenspitze der Verstorbenen mit Öl. Das sind die Körperteile, die beim Gebet den Boden berühren.
Die Trauernden begleiten den Sarg von der Kapelle zum Grab.
Der Mann zieht seine Schuhe aus, steigt ins offene Grab hinunter, legt seine Hand auf die Schulter des Toten und bezeugt dessen Tod.
Die Surfer und Surferinnen paddeln aufs Meer hinaus und bilden einen Kreis. In der Mitte des Kreises befinden sich die Familienangehörigen des Verstorbenen auf einem Katamaran. Der Sohn streut von dort die Kremationsasche aus einem Plastikbeutel ins Meer. Die Surfer und Surferinnen sprechen Gebete, teilen Erinnerungen und werfen Blumen ins Meer. Sie spritzen mit Wasser, sie jubeln und juchzen.
Das Pferd berührt mit seinen Nüstern die Stirn des sterbenden Mannes.
Die Frau wirft sich auf den Boden. Sie greift nach der Erde und wirft sie in ihr Gesicht.
Tränen glänzen auf den Wangen der Trauernden. Sie weinen vor Schmerz und vor Freude.
Der letzte Blick der Toten folgt ihrer Seele.
Die Tochter des Verstorbenen verzichtet nach dem Betreten des Friedhofs auf Begrüßungen per Handschlag oder Umarmungen der Trauergäste, ebenso auf private Gespräche, wobei sie der Witwe zunickt.
Die Trauernden schreiten sieben Mal um die Totenbahre, bevor der Tote begraben wird.
Versuche nicht, deinen Freund zu trösten, solange sein Toter noch vor ihm liegt.
Der Verstorbene wird zunächst ein paar Tage weiterhin symbolisch mit Essen versorgt, während ein Mönch ihm aus dem tibetischen Buch der Toten vorliest. Am Tag der Beisetzung beschwört der Lama den Toten ein letztes Mal, bevor der Leichnam noch vor Sonnenuntergang zum Bestattungsplatz gebracht wird. Männer zerteilen den Körper und spalten den Kopf, damit die Seele entweichen kann. Dann ist es die Aufgabe der Geier, den Verstorbenen ins „Bardo“ zu tragen, das Zwischenreich zwischen Tod und Wiedergeburt.
„Im Gespräch mit Nadine, einer Totenwäscherin aus Berlin, wurde mir bewusst, dass sich die Menschlichkeit einer Kultur im würdevollen Umgang mit ihren Verstorbenen zeigt.“ (Ella Ziegler)