20.11. am Küchentisch Ich berichte G. von meinen gescheiterten Versuchen, Themen in Tageszeitungen und Magazinen unterzubringen. Warum verdiene ich mit meinem Schreiben kein Geld, während du sogar Pressereisen bezahlt bekommst?, maunze ich G. an, der in einer Redaktion arbeitet. Warum hat mich noch niemand für den AICA vorgeschlagen? Ich steigere mich immer mehr in das Gefühl hinein, mir würden die entscheidenden Kontakte und Zugänge fehlen. Warum hat Galerie xy mich immer noch nicht in ihren Verteiler aufgenommen, obwohl ich schon mal einen Artikel über eine ihrer Künstlerinnen geschrieben habe, und warum werde ich nicht zum After-Finissage-Dinner eingeladen? Willst du das überhaupt, fragt G. zurück, du sagst doch sonst immer, dass du diesen Smalltalk nur schwer aushälst. Außerdem gehst du gar nicht in Galerien, um Kunst zu schauen. Ich gebe ihm recht, aber es geht mir ums Prinzip. Ich habe das Gefühl, das Kunstfeld und der Kunstjournalismus sind von undurchsichtigen Schwellen durchzogen, an deren Überwindung ich scheitere. Aber du bist doch gut vernetzt und es ist ja nicht so, dass du gar nicht veröffentlichen würdest, wendet G. ein. Das stimmt, aber ich bin müde von den vielen fehlgeschlagenen Versuchen, Beiträge zu veröffentlichen und der damit einhergehenden Unsicherheit, woran das liegt. Sind es die falschen Themen oder treffe ich nicht den richtigen Ton? Gerate ich an die falschen Personen oder sind einfach alle total überarbeitet? Mir entfährt ein tiefer Seufzer. G. berichtet, dass der Druck in der Redaktion ständig steigt und unklar ist, wie lange freiere Formate noch existieren würden. Dann fragt er mich, ob meine Situation nicht auch damit zusammenhängt, dass ich so viele verschiedene Dinge mache. Ich entgegne in einem Tonfall, der zwischen Entrüstung und Verzweiflung schwankt: Du meinst, es würde besser laufen, wenn ich mich nur auf das Schreiben konzentrieren würde? Aber das ist doch viel zu unsicher und außerdem könnte ich von den geringen Honoraren nicht leben. Außerdem geht es mir um diesen Machtmoment: An eine Tür zu klopfen und nicht eingelassen zu werden – ja manchmal noch nicht mal eine Antwort zu bekommen, und gleichzeitig zu wissen, wie offen die Türen für andere Akteur*innen sind, das ist frustrierend. G. guckt verständnisvoll und sagt aufmunternd: Aber dafür bist du unabhängig und kannst dir die Themen aussuchen. Hm, entgegne ich. Nur meine Miete kann ich davon nicht bezahlen, schiebe ich gefrustet hinterher.
8.12. Militärhistorisches Museum am Flugplatz Gatow Äthiopien ’84/85. Privates Fotografieren im militärischen Hilfseinsatz, heißt die Ausstellung und genau darum geht es: Mitarbeiter der Bundeswehr und der NVA sowie Piloten der Interflug haben bei ihrem Hilfseinsatz gegen eine Hungersnot in Äthiopien Fotos geschossen, die nun in einer Ausstellung präsentiert werden. Schnappschüsse und Militär? Ost und West? Alltag und Ausnahmezustand? Ich bin neugierig, wie das zusammengeht. In zwei länglichen Räumen werden die Fotos in DIN A3 gezeigt, ergänzt um erklärende Texte, in denen der Hintergrund erläutert wird. Aufgrund der Hungersnot versorgten verschiedene Länder, darunter die DDR und die BRD, das Land mit Lebensmitteln. Von zwei Standorten aus wurden Hilfseinsätze geflogen, bei denen Lebensmittel über abgelegenen Gegenden abgeworfen worden sind.
Man sieht: Soldaten beim Volleyballspielen und Duschen, beim Posen vor ihren Maschinen und beim Reparieren derselben. Man sieht, wie Hilfspakete verpackt und abgeworfen werden, und man sieht das Land und seine Menschen aus der Perspektive der Soldaten. Ich wundere mich, dass die Soldaten fotografieren durften, aber damals galten offenbar noch andere Regeln. Einige Fotos erinnern an Urlaubsschnappschüsse und halten nicht selten Situationen fest, auf denen ersichtlich wird, dass die Männer dort auch Spaß hatten. Auf einem Foto etwa posieren mehrere Soldaten mit Skiern. In der Bildunterschrift heißt es, dass humorvoll gemeinte Falschinfos der vorher hier Stationierten zu diesem Missverständnis geführt hätten. Man sieht, welche Infrastruktur (Unterkunft und Verpflegung) für die Soldaten vor Ort geschaffen wurde, die zum Teil ebenfalls nach Afrika transportiert werden musste. In welchem Verhältnis steht der Aufwand für den Hilfseinsatz zum Erfolg der Mission? Als ich ein Foto sehe, auf dem mehrere Soldaten in Zivil mit äthiopischen Angestellten zu sehen sind, denke ich weiter über die Ambivalenz dieser Einsätze nach. Auf dem Gruppenbild verhalten sich die schwarzen Menschen sehr unterschiedlich – einige lächeln, eine Frau guckt weg (sie entzieht ihren Blick) und eine andere fühlt sich sichtlich unwohl unter dem um sie gelegten Arm. Ich bin erleichtert, dass in den Texten auf diese Aspekte eingegangen wird. Auf einem Schild wird erläutert, warum einige der Fotos von Landschaften und Menschen aus heutiger Sicht problematisch sind. „Manche der Fotos repräsentieren verbreitete Klischees über ‚Afrika‘. So auch hinsichtlich einer vermeintlich kulturellen Rückständigkeit. Bilder, die auf der Suche nach fotogener ‚Exotik‘ ohne Hintergedanken entstanden sind, können dennoch unbewusst von kolonial geprägten Vorstellungen beeinflusst worden sein. Hier gilt es den Entstehungszeitraum zu berücksichtigen. Die Menschen hierzulande waren in den 1980er Jahren noch deutlich weniger für alltäglich rassistische Diskriminierungen sensibilisiert als heute – auch wenn dieses Problem keineswegs überwunden ist.“ Für mich schwankt der Ton zwischen Einsicht und Trotz. Ich würde am liebsten sofort eine Diskussion anzetteln. Zum Beispiel über das Bild eines Soldaten in Zivil, der Süßigkeiten an eine Gruppe Kinder verteilt, die sich bettelnd um ihn scharen, während er (glücklich?) in die Kamera blickt. Eine ganz ähnliche Szene hatte ich erst vor einiger Zeit im großartigen Film über Leni Riefenstahl von Andres Veiel gesehen. Die Fotografin erkauft sich das Wohlwollen der Kinder und Erwachsenen und genießt sichtlich die „koloniale“ Stellung, die damit verbunden ist.
Die Ausstellung ist sowohl unterhaltsam als auch gehaltvoll und reagiert auf aktuelle Diskurse. Dass sie Fragen aufwirft, spricht für sie. Und ja, ein Besuch der Dauerausstellung ist auch empfehlenswert, um erstens zu schauen, wie sich die Bundeswehr inszeniert, und zweitens, um sich ein Bild zu machen, wo die Gelder, die an anderen Stellen gekürzt werden, nun investiert werden.
19.3. am Computer Nochmal König, sorry. Eben kam die Nachricht von Esther Schipper: „Now representing – Norbert Bisky“. Der ausgewählte Lebenslauf mit allen wichtigen Ausstellungen ist zu lesen. Auffällig die Leerstelle, seine Galerie der letzten neun Jahre, König, wird mit keiner Silbe erwähnt. Dabei hatte er dort superwichtige, aufwendige Ausstellungen. Drei Solo, mehrere Gruppen, vorallem die Ausstellung Trilemma bleibt in Erinnerung. Ok, sie werden sagen, es sind nur institutionelle Ausstellungen aufgeführt usw. Aber das zeigt mal wieder den schlechten Umgang, nicht eine Hand füttert die andere, nein, man hackt die andere ab, als hätte es sie nie gegeben. Bei König sind ja alle Künstler aufgeführt, die er jemals ausgestellt hat, also auch die, die ihn verlassen haben, als wollte er sagen, ihr könnt mich verleugnen so viel ihr wollt, ihr wart bei mir und es ging euch gut.
23.3. Albertina, Wien Jenny Saville: Gaze – Die auf quadratische Leinwände aufgetragene Ölfarbe lässt vor uns Gesichter entstehen, die auf seltsame Weise abwesend und anwesend zugleich sind. Gesichter, so schutzlos nah und blank wie aus dem Netz, aus der Werbung, innerhalb einer Zoom-Konferenz. Sie wirken aufgerieben, wund, ihre Oberflächen sind versehrt. In einer anderen Gruppe besteht der menschliche Körper nur noch aus ineinander verhakten Teilen, während die Gesichter fehlen. Eine schwarze Hand liegt auf einer weißen Brust. Drunter steht erstaunlicherweise: „Glaube an die Liebe und den Malakt.“
Die Werke der nach Wikipedia teuersten Malerin der Gegenwart strotzen vor Kraft. In der konzentrierten Ausstellung mit großzügiger Unterstützung von Gagosian lässt sie sich in den Texten, die die Werkgruppen begleiten, in die Nähe der alten Meister stellen. Von Leonardo ist die Rede, Tizian, Rembrandt, Picasso, Francis Bacon. Der Redakteurin Katharina Rustler vom österreichischen Standard zufolge seien die früheren Werke angreifbarer gewesen. „Ich gebe keine Urteile ab, ich verfolge keine politische Motivation mit meinen Bildern. Ich bin Malerin und male Gesichter und Körper“, wird die Künstlerin zitiert.
4.4. Sammlung Verbund, Wien Fein, sehr fein, fragil, entschieden. Ein einsamer weiblicher Körper, der nach Verbindung sucht, nach Berührung, nach Erfüllung, einem Platz.
Die italo-amerikanische Fotografin Francesca Woodman schuf ihr Werk innerhalb von fünf Jahren. Mit 22 setzt sie ihrem Leben ein Ende und bleibt für immer eine der Protagonistinnen des 70er-Jahre-Feminismus in der Kunst.
Formal konsequent in S/W, Mittelformat, sich selbst bespiegelnd, veranstaltete sie eine spielerische Forschungsreise nach der eigenen Existenz. Ihre Bildideen verwirklichte sie in Vintage-Kleidern in den morbiden wie verwunschenen Räumen von Abrisshäusern.
Mit der Auswahl der Arbeiten und einer streng klassischen Präsentation stellt die Albertina die Ruhe und Würde, die den Bildern zueigen ist, in den Vordergrund und vermeidet den romantisierenden Touch, den ihre Inszenierungen zum Teil haben können. Das zahlreich vorhandene Publikum inmitten der Memento mori begeht die Ausstellung andächtig. In ihrer Nähe wirft die Saville-Show ein umso grelleres Licht auf unsere Gegenwart.
3.5. Hotel Telegrafenamt Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. So muss sich Johann König gerade fühlen. Der Outcast unter den Galeristen, kein Gallery-Weekend-Teilnehmer, nicht mehr im Index seiner Ex Kirsa Geisler gelistet, keine Art Basel mehr. Dafür hat er jetzt im Hotel Telegrafenamt eine Art Messe aufgebaut. Jede Position bekommt einen eigenen Stand, und wenn man dann die Namen liest, denkt man, die haben doch den Johann längst verlassen. Nicht alle natürlich, aber viele. Welche genau bekommt man ja nicht mehr richtig recherchiert, weil man ja auch nicht mehr weiß, welche er vertritt (s. o.). Und hier zeigt er Arbeiten von zum Beispiel Norbert Bisky (s. o.), Katharina Grosse, Jorinde Voigt oder Monica Bonvicini, also Künstlerinnen die definitiv nicht mehr von König vertreten werden. Die Preise stehen gleich neben den Arbeiten. Er verkauft also seine Sammlung, die Left-overs, er trennt sich eben auch, alles muss raus. Nett ist, dass er die Sachen nicht zum halben Preis verscherbelt. Ich würde ihm empfehlen, ein temporary König-Auktionshaus zu gründen, dann gehen die Sachen vielleicht wirklich weg, hier im Hotel ist es nämlich erstaunlich leer. Die Leute stehen dagegen drüben bei Cyprien Gaillard in der Schlange.
Und nein, ich werde nicht zum Hofberichterstatter, aber ich dokumentiere und kommentiere eben gerne. Dies hier jetzt mein vierter oder fünfter Post zum „Fall“ König.
Foto aus dem Katalog des MHK Gatow: Privatbesitz (ehemaliger Soldat der Bundeswehr)