Ähnlichkeits-Memory mit Nachkriegskunst

"Der geteilte Himmel" in der Neuen Nationalgalerie

2012:Apr // Anne Marie Freybourg

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04-2012


Es war ein kalter November im Jahr 1945. Den Besuchern der Diskussionsveranstaltung in der Berliner Galerie Rosen war es daher angenehm, dass sie im Galerieraum am Kurfürstendamm 215 dicht gepackt beieinander standen. Aber auch das Thema der Diskussion erhitzte die Gemüter. Debattiert wurde über die Frage: Figuration oder Abstraktion. Gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus glaubten Künstler und Kunstkritiker, dass es dabei um eine grundsätzliche Richtungsentscheidung ging. Der Berliner Maler Heinz Trökes indes, der schon vor dem Krieg Weltkunst in Paris kennengelernt hatte, sah in dieser Dichotomisierung der künstlerischen Darstellungsweisen keine fruchtbare Leitlinie für den Neuaufbruch der deutschen Kunst. Er versuchte,  in die Debatte einzugreifen und zwischen figürlichen und abstrakten Positionen zu vermitteln. Aber er hatte keinen Erfolg. Zu sehr war damals dieser Dualismus auch ein Kampfbegriff zur Abgrenzung untereinander in der durch Krieg und Nationalsozialismus traumatisierten deutschen Kunstwelt. Doch diese scheinbar alles entscheidende Weggabelung zwischen Figuration und Abstraktion verschwand bald. Die theoretische Debatte wurde im Westen rasch überholt von der breiten Verzweigung der bildnerischen Formen, die Künstler in ihrer Auseinandersetzung mit Gegenwart und Vergangenheit entwickelten. In der neugegründeten DDR wurde dann die sogenannte Formalismus-Debatte entfacht, mit der die neuen abstrakten Tendenzen im Westen Europas als dekadent und nihilistisch herabgesetzt wurden. Diese ideologisch besetzte Auseinandersetzung diente auch dazu, erste Vorbereitungen für die Doktrin des „Sozialistischen Realismus“ zu treffen.

Die zweite Präsentation der Sammlungsbestände im Untergeschoss der Neuen Nationalgalerie in Berlin, unter den Titel von Christa Wolffs Roman „Der geteilte Himmel“ gestellt, umfasst die Zeitspanne von 1945 bis 1968 und damit die Kunst im geteilten Deutschland. „Moderne Zeiten“, die erste Sammlungsausstellung, hatte mit Beginn des 20. Jahrhunderts eingesetzt und sich auf den deutschen Expressionismus, Neue Sachlichkeit und Dadaismus konzentriert. In der neuen Ausstellung wartet gleich der Auftakt mit Überraschungen auf. Um zu erklären, warum der Zeitschnitt auf das Jahr 1945 gelegt wird, wird dieses Jahr erneut als „Stunde Null“ in der Geschichte Deutschlands beschrieben. Diese vermeintliche „Stunde Null“ ist jedoch schon in den 1968erJahren von den Historikern als Entlastungsmythos und Metapher der Verdrängung dekuvriert und widerlegt worden. Ebenso überrascht, dass der Dualismus von Figuration und Abstraktion zum entscheidenden Ordnungsprinzip für die Ausstellung wird. Im großen Hauptsaal der Neuen Nationalgalerie werden die Kunstwerke der ersten Nachkriegsjahre noch einigermaßen sinnfällig danach sortiert. Rechter Hand werden jene Werke mit Figur und Gegenstand, vornehmlich von ostdeutschen Künstlern, linker Hand die mit abstrakten Formen und nur wenig Gegenständlichem von meist westdeutschen Künstlern gezeigt. Warum aber sich dieser Antagonismus, der im Begleittext zur Ausstellung zutreffend als ein kurzzeitiges Phänomen beschrieben wird, dann doch als dominantes Gliederungsschema, ohne die damals ebenfalls virulenten Fragen von Realismus, engagierter Kunst und Gegenständlichkeit zu berühren, fast durch die gesamte Ausstellung zieht, bleibt unklar.

Man kann sich vorstellen, was an diesem Gliederungsschema von Figuration und Abstraktion für die Ausstellungsmacher verlockend war. Denn es ist ein einfaches, duales Schema und eignet sich für eine klare Sortierung. Ob damit eine historisch vernünftige Darstellung der Kunst zwischen 1945 und 1968 gelingen kann, erweist sich in Berlin als mehr als fraglich. Jede Geschichtsdarstellung unterliegt selbstverständlich einem Ordnungsschema, das unweigerlich andere Ordnungskriterien ausschließt oder nur stellenweise berücksichtigen kann. Ob Geschichtsbuch oder Ausstellung, immer geht es um Sortieren, Ordnen und Anordnen. Eine Ausstellung entwickelt daraus einen Parcours, der es dem Besucher ermöglicht, Einsichten zu gewinnen. Der hier dargestellte Zeitabschnitt umfasst ungemein spannende Verwerfungen und Befreiungen in der Entwicklung der Bildenden Kunst in West- und Ost-Deutschland. Die Sammlungsbestände des Museums erlauben es zudem, europäische und amerikanische Positionen miteinzubeziehen und das Panorama der damaligen Kunst weit zu öffnen.
Was nützt es aber für das Verständnis der Kunst dieser Zeit, wenn zum Beispiel linker Hand, in der Abteilung Abstraktion, Werke der Künstlergruppe „Zero“, die sich mit Licht, Dynamik und der Flachheit des Bildes beschäftigten, flankiert werden von ganz anders gelagerten Werken. Ihnen wird Yves Kleins farbintensives, leuchtendes Pigmentbild „IKB 49“ (1960) beigeordnet, obgleich Klein sich immer vehement von der Bewegung „Zero“ abgrenzte. Auf der anderen Seite wird ein Werk von Piero Manzoni gezeigt, der sich zwar wie die Zero-Künstler mit der Struktur der Bildfläche beschäftigte, aber in seinen meist weißen Monochromien vor allem die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Farbe erforschte. Davor wird noch ein Werk von Lucio Fontana arrangiert, auf dem die Bildleinwand mit harten Messerschnitten aufgeschlitzt ist. Diese Schnitte sehen aus der Ferne betrachtet den Farbstreifen auf den Bildern von Heinz Mack ähnlich.

Auch rechter Hand, in der Abteilung Figuration, finden sich solche bisher noch nicht gesehenen Anordnungen. Hier wird Georg Baselitz’ frühes Bild „Der Hirte“ (1966), das einen durch eine Mauer schreitenden oder brechenden Mann zeigt, in eine unmittelbare Konstellation mit Willi Sittes Gemälde „Amputierter Mann am Strand“ (1968) gebracht. Sitte war damals als sogenannter „Staatskünstler“ voll ins System integriert und hat ein im Sinne des ideologischen Programms des „Sozialistischen Realismus“ passendes Thema aufgegriffen. Hier also das politisch korrekte Bild eines Kriegsversehrten, dort eine symbolische Formulierung für die Identitätsfindung eines Künstlers, der 1957 die DDR verließ, um dem Diktat der staatlichen Kunstdoktrin zu entgehen.

In der Mitte der Ausstellung treffen die Werke „Rote Wolke“ (1966) von Renato Guttoso und „Aru 5“ (1955) von Willi Baumeister zusammen. Hier Gegenständlichkeit, dort Abstraktion, oder: rote amorphe Farbfläche zu schwarzem Riesenfleck. Das Kuratorenteam um Nationalgaleriedirektor Udo Kittelmann muss beglückt gewesen sein, als sie vermeinten, auf beiden Bildern gleiche Formen zu entdecken und mit der Kombination dieser beiden Werke die geniale Brücke zwischen den stilistischen Fronten gefunden zu haben.

Überall in der Ausstellung finden sich solche Anordnungen, die immer auf motivische und formale Ähnlichkeiten hin angelegt sind. Dies zu kritisieren, mag auf den ersten Blick wie spitzfindige Interpretationsfragen und Streitigkeiten über Betrachtungsweisen anmuten. Sind es nicht produktive Provokationen, die uns die Bilder neu anschauen lassen? In manchen Fällen mag man es so verstehen. Aber schwierig wird es, wenn die hier inszenierten Konstellationen inhaltlich und kunsthistorisch nicht zutreffende Zusammenhänge herstellen.
Zudem fällt die Darstellung der künstlerischen und ideologischen Differenzen zwischen der deutschen West- und Ostkunst in dieser Ausstellung weit hinter die differenzierte Aufbereitung zurück, die die preisgekrönte Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945–89“ von Stephanie Barron und Eckhart Gillen 2009 geleistet hat. „Der geteilte Himmel“ wird nicht nur nach dem eher simplen Schema von Figuration und Abstraktion gegliedert; die Werke werden darüber hinaus fast immer auf Grund von Ähnlichkeiten einander zugeordnet.

Nun ist das vergleichende Sehen eine der methodischen Grundlagen der Kunstgeschichte. 2007 fand dazu in Basel eine anregende Fachtagung statt, die methodenkritisch das vergleichende Sehen und die Frage der Gültigkeit bisheriger Kanonbildung diskutierte. Dort fasste Peter Geimer das Thema treffend zusammen: „Dass nicht alles, was sich formal oder stilistisch ähnelt, deshalb auch automatisch schon sinnvoll vergleichbar sein muss.“ Sicherlich haben formassoziative Kombinationen ihren besonderen Reiz in der schnellen Verständlichkeit. Sie eröffnen sich dem Betrachter schon auf den ersten Blick. Will man mit der Anordnung der Werke in einer Museumsausstellung aber mehr erreichen, scheint es sinnvoll, dass man sich der Mühe unterzieht, sich sowohl in den theoretischen Überbau der zahlreichen Kunstbewegungen, als auch in die Hintergründe und künstlerischen Intentionen der einzelnen Werke zu vertiefen. Das Museum hat nach wie vor einen Bildungsauftrag. „Der geteilte Himmel“ zeigt die beachtlichen Bestände der Neuen Nationalgalerie, aber inhaltlich stiftet die Ausstellung mehr Verwirrung als Erhellung. Geschichts- und kunstinteressierten Jugendlichen kann man diesen bunten Bilderreigen nicht empfehlen. Nur Besucher, die schon eine Idee von der Geschichte der Kunst haben, können sich hier immerhin an einigen exzellenten Werken erfreuen.    
 
„Der geteilte Himmel“ Neue Nationalgalerie,
Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin, noch bis Anfang 2013
 
„Der geteilte Himmel. Die Sammlung. 1945–1968. Neue Nationalgalerie“ (© © Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Roman März)
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