Netzwerk-Spezial

Zitate zum Thema Netzwerk, zusammengestellt von Barbara Buchmaier, Bilder von Matthew Antezzo

2012:Apr // Barbara Buchmaier

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04-2012


„Spätestens in den frühen 90er Jahren des 20. Jahrhunderts war das ‚Netzwerk‘ in das Selbstverständnis der politischen, ökonomischen, militärischen und kulturellen Globalisierungseliten eingewandert, es diente der Selbstverständigung über den Wunschhorizont und über die täglich praktizierte Organisationsform dieser Eliten. Wir befinden uns mitten in einer aus dieser Karriere resultierenden Blindheit des Begriffs – ubiquitär und unverfügbar zugleich –, die man erst dann wieder besser verstehen wird, wenn er verblasst ist, wenn man nachzeichnet, wie er historisch entstanden ist, und wie er in den Kulturtechniken der Gegenwart gebraucht wird.“

Erhard Schüttpelz: „Ein absoluter Begriff: zur Genealogie und Karriere des Netzwerkkonzepts“, in: „Vernetzte Steuerung“, Hg. Stefan Kaufmann, Zürich 2007, S. 25–46



In much contemporary art and culture, the intensive concept of ‚deep‘ meaning has been replaced by the extensive concept of networks, nodes that link to other nodes in all directions.“

Michael Newman: „Seth Price’s operations“, in: „Price, Seth“, Ausst.-Kat. Kunsthalle Zürich und Kölnischer Kunstverein; Zürich 2010, S. 28–73, S. 29, siehe auch: http://www.distributedhistory.com/NewmanOnPrice.pdf (Stand 10.03.2012)



Im Netzwerkkapitalismus mit seiner Notwendigkeit eines Höchstmaßes an Austausch mit der Maximalzahl an Menschen sind wir vielleicht alle gewollt oder ungewollt Flirtende. Eine ‚Flirt-Theorie‘ wäre eine Theorie des sich Verzettelns: was den Anschein eines konstanten Treibenlassens hat, bleibt letztlich ein Treiben auf der Stelle. Wir schwimmen mit dem Strom, wir reden viel, aber ausweichend, wir sind mal aufmerksam, mal unaufmerksam, wir wissen nicht, was wir wollen oder wer wir überhaupt sind, aber wir sind sexy, mehr als je zuvor.“

Michael Sanchez: „Flirt“, in: „Wade Guyton. Zeichnungen für ein kleines Zimmer“, Ausstellungskatalog Secession, Wien; Berlin 2011, S. 6–9, S. 9



Dieser Kapitalismus ist nicht mehr für die Produktion da, sondern für das Produkt, das heißt für Verkauf oder Markt. Daher ist sein wesentliches Merkmal die Streuung, und die Fabrik hat dem Unternehmen Platz gemacht.“

„Der Mensch der Disziplinierung war ein diskontinuierlicher Produzent von Energie, während der Mensch der Kontrolle eher wellenhaft ist, in einem kontinuierlichen Strahl, in einer Umlaufbahn. Überall hat das Surfen schon die alten Sportarten abgelöst.“

Gilles Deleuze: „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“, 1990,  www.nadir.org/nadir/archiv/netzkritik/postskriptum.html (Stand 11.03.2012)



(…) Kunst wird ja nicht mehr gemacht, sondern nur betrachtet. Die amerikanischen Frauen etwa sind darin Spezialisten. Von Holzer, Kruger, Lawler bis Fraser. Die gucken sich Kunst an und arbeiten darüber, und das ist die Kunst von heute. Es wird nicht mehr gehäkelt, wie Rosemarie Trockel es machte als Abgesang auf das ‚Machen weiblich‘, und es wird nicht einfach stumpf gemalt, ‚Machen männlich‘: sondern erklärt, geforscht, dargestellt. Das ist es, was heute ein Künstler verstehen muss.“

Martin Kippenberger im Interview mit Jutta Koether: „Gute Kunst, Intensität und gute Laune“, in: Ausst-Kat. „Martin Kippenberger. Kippenberger sans peine. Kippenberger leicht gemacht“, Mamco, Genf 1997



Paintings and sculptures are social networking devices, programmed with one purpose: to connect with the right actors, to get into the right shows, to convey the right profile, to such an extent that their users might turn out to be simply the by-product of this activity.“

Michael Sanchez: „Contemporary Art, Daily“, in: „Art and Subjecthood. The Return of the Human Figure in Semiocapitalism“, Berlin 2011, S. 52–61, S. 55f.



With a program generated exclusively through personal recommendations, Mathew is currently showing Robin Bruch, Michael Callies, Enzo Camacho, Merlin Carpenter, Nicholas Ceccaldi, Michaela Eichwald, Timothy Furey, Manuel Gnam, Ken Okiishi, Sergej Jensen, Amy Lien, Wols, Nick Mauss, Monika Michalko, Sprinkles, Jochen Schmith and Mathew Sova.“

Auszug aus dem von Michael Sanchez verfassten Pressetext zur Eröffnungsausstellung der Galerie MATHEW im Dezember 2011



While one could certainly complain that Mathew takes the problems of an insider-based art world to new extremes by relying programmatically on recommedations it is however important to note that Mathew is rather transparent in its approach and doesn’t claim to make isolated discoveries.“

Auszug aus dem Pressetext zur zweiten Ausstellung der Galerie MATHEW, Januar 2012, verfasst von Isabelle Graw



… it is our group (…) on an axis Berlin-London-York, the gallery blocks Reena Spaulings/Greene Naftali and Nagel/Buchholz, and the complementary inflight magazines Artforum and Texte zur Kunst that this new power system is delineated. We are the Clement Greenbergs of our own meta-management operations, our secret political groupings become sinister and paranoid strategy planning meetings to exclude anyone younger than ourselves.”

Merlin Carpenter: “The tail that wags the dog”, 2008, 
http://www.merlincarpenter.com/tail.htm (Stand: 14.03.2012)



Denn im global und korporativ organisierten Kunstsystem sieht man sich mit einer weitaus höheren Anzahl an Kunstkäufern, ‚global players‘, Agenten und potenziell Kunstinteressierten konfrontiert, wodurch die Kontakte oberflächlicher, die Verhältnisse undurchsichtiger und folglich weniger unmittelbar beeinflussbar werden. Im Köln der achtziger und neunziger Jahre hingegen war es z.B. durchaus möglich und üblich, Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten direkt und relativ unverblümt auszutragen, wobei solche Konfrontationen nicht nur der Durchsetzung eigener Interessen dienten, sondern auch Verletzungen nach sich ziehen konnten, welche die davon Betroffenen als nachhaltig traumatisierend erlebten. Heute ist es indes kein Problem, sich aus dem Weg zu gehen – nicht zuletzt wegen der Aufsplitterung der Kunstwelt in einzelne soziale Segmente, die kaum noch Berührung miteinander haben und Paralleluniversen bilden. (…) Damit verbunden ist aber auch die geringere Möglichkeit, an den bestehenden sozialen Koordinaten und gesellschaftlichen Platzierungen eigenständig etwas zu verändern.“ (S. 57)

„An die Stelle einer selbstgerechten Expressivität à la Baselitz traten kollektiv erarbeitete Maßstäbe auch für Fragen der Lebensführung. Durchaus lustvoll unterwarf man sich dieser neuen Autorität eines geteilten Horizonts an Überzeugungen, der aber auch ständig neu ausgehandelt wurde und es von daher auch erlaubte, dass man gegen ihn verstieß.“ (S. 61)

„Obgleich man wusste, dass dieses permanente Ausgehen auch zugleich ‚harte Arbeit‘ darstellte, war es schlicht unterhaltsam, sich allabendlich in die Kneipe zu stellen, ununterbrochen zu reden, sich rechtfertigen zu müssen und andere dazu zu bringen, ihre Vorgehensweise ihrerseits zu legitimieren. Keine Illusion machte man sich über den instrumentellen Charakter dieser rituellen Trinkgelage und Gespräche, die einen schließlich weiterbrachten, sich als Anregung oder produktive Kritik für die eigene Arbeit verwerten ließen. Der heutige Networking-Imperativ war zu diesem Zeitpunkt bereits stark ausgeprägt, nur knüpfte man Kontakte nicht nur im Hinblick auf das, was sie einem ‚bringen‘ würden. Im Vordergrund stand noch die Überzeugung, bestimmte Auseinandersetzungen auch deshalb führen zu müssen, weil etwas – z.B. ästhetische oder politische Einschätzungen – auf dem Spiel stand, etwas das von existenzieller Bedeutung erschien.“ (S. 59)

Isabelle Graw: „Von hier aus. Über Köln-Mythen, Fremdbestimmung und Rückzugs- und Ausstiegsszenarien angesichts der gestiegenen Bedeutung von „Leben“, in: „Texte zur Kunst“, Heft 63, September 2006, S. 48–76



Der Begriff ‚Netzwerk‘ wird auch diese vorübergehende Blendung oder Überblendung überstehen. Denn er wird glücklicherweise gespeist von etwas, das stärker ist als jede Blendung und stärker denn alle Vernunft – von seiner Metapher. Wenn der Begriff jemals zur wissenschaftlichen Forschung beigetragen hat, dann geschah dies nicht durch eine Abkehr von seiner Metapher, sondern durch ihre Auslegung, nicht durch eine Metasprache, die der Metapher entkam, sondern durch die Metapher selbst. Die Wahrheit über das Netzwerk bleibt das Artefakt ‚Netz‘ und seine Geschichte, und diesmal mache ich es kurz:

1. Netze sind keine menschliche Erfindung. (Menschliche Netze bleiben Artefakte, die vermutlich zuerst tierischen Netzen abgeschaut wurden.)

2. Ein Netz ist eine Form der Falle, genauer: eine Serie von Kulturtechniken, aus den Techniken des Fallenstellens.

3. Der Ausgang des Wortes, seiner Metapher und seines Begriffs bleibt ‚Beutemachen‘ einerseits, und ‚Macht‘ über das, was sich im Netz verfangen soll, andererseits.

4. Alle menschlichen und soziotechnischen Netze und ihre Praktiker bleiben auf Beutezug (auch und gerade ‚im Netz‘).

5. Auch eine Netzwerktheorie oder Netzwerkmethode bleibt ein Netz, das seine Beute einfangen soll.

6. Eine Netzwerktheorie ist meist ein Netz, das andere Netze fangen soll – oder die Beute anderer Netze dazu. Netzwerktheoretiker sind Fallensteller von Fallenstellern.

7. Eine Form dieser theoretischen Netze ist das Diagramm – der Theoretiker oder Wissenschaftler will sein Netz vor sich sehen, und er will sehen, was er im Netz gefangen hat.“

Erhard Schüttpelz: „Ein absoluter Begriff: zur Genealogie und Karriere des Netzwerkkonzepts“, in: „Vernetzte Steuerung“, Hg. Stefan Kaufmann, Zürich 2007, S. 25–46


Matthew Antezzo „Double display, multiplexed“, 2008, Courtesy Galerie Klosterfelde (© )
Matthew Antezzo „How to make noise“, 2008, Courtesy Galerie Klosterfelde (© )
Matthew Antezzo „T.I.M., (encircled)“, 2008 und „T.I.M., (naked)“, 2008, Courtesy Galerie Klosterfelde (© )
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