Die Kunstliebhaberinnen

Wayra Schübel im Gespräch mit Anja Gröschel

2012:Apr // Wayra Schübel

Startseite > Archiv > 04-2012 > Die Kunstliebhaberinnen

04-2012
















Anja Groeschel  /  Komisch sich schon wieder hier zu treffen.
Wayra Schübel  /   Wegen unseres letzten Treffens meinst Du?
Groeschel  /   Nein, ich bin hier zur Schule gegangen. Dort in der Turnhalle haben wir früher wöchentlich trainiert.

Schübel  /   Ich fand die Mädchenschule passend für unser Gespräch. Gibt es eine Gründungsgeschichte zum ALC, diesem Club kunstliebender Frauen?
Groeschel  /   Hm, Gründungsgeschichte? Das war eher unspektakulär. Ich lernte Christina (ich vermute, dass Christina Scheublein gemeint ist, die zu der Zeit Mitarbeiterin bei Philips de Pury war, die Autorin) in Basel bei einem Collector-Dinner kennen, wir verstanden uns super, stellten fest, dass wir beide aus Berlin sind. Wieder zurück, trafen wir uns, saßen beim Wein, zufällig zu sechst und wir hatten alle mit Kunst zu tun. Nach ein paar Gläsern mehr fanden wir es ganz befruchtend, und auch schade, dass es bislang noch keinen Raum für einen solchen Austausch gab. So entstand aus einem ersten Impuls heraus der „Art Lovers Club“. Erst zu sechst, bereits beim zweiten Mal zu zehnt. Schnell wuchs im Laufe des Jahres der Verteiler auf 100, noch ein Jahr später auf fast 300 Frauen heran. Obwohl wir anfangs ‚nur‘ essen waren, uns jedoch inhaltlich sehr stark fokussierten, dachte ich, warum nicht gemeinsam vorher was zusammen anschauen, was auch eine Diskussionsgrundlage darstellt? So ging es 2011 weiter, dass wir in private oder öffentliche Sammlungen, Museen, Ateliers gingen, die extra für uns öffneten. So ist es also, wenn man so will, zur ‚Gründung‘ gekommen.

Schübel  /   Die Frauen haben alle sehr unterschiedliche Hintergründe. Durchmischt es sich, kann ein Netzwerk so funktionieren?
Groeschel  /   Den Anspruch habe ich schon. Diese vielen Akteurinnen aus der Kunstwelt bieten ja eine tolle inhaltliche Grundlage und haben auch diesen Anspruch. Ich bin gerade dabei, eine Webseite zu erstellen und ein Board zusammenzusetzen, das die Mitgliederstruktur widerspiegelt, Künstlerinnen, Kuratorinnen, Kritikerinnen, Sammlerinnen, Galeristinnen. Räumlicher Schwerpunkt ist bisher Berlin, aber da kaum eine Branche so international und volatil ist, haben die ersten Mitglieder aus anderen Städten bereits angefragt, ob sie den Club dort weiter aufbauen können.

Schübel  /   ALC goes Franchise: Das schreit ja geradezu nach einer Organisationsform. Schon mal erwogen?
Groeschel  /   Keine Ahnung. Bislang habe ich alles alleine auf einer viertel Pobacke nebenbei koordiniert. Ich überlegte Ende letzten Jahres sogar, es aufzugeben, weil es ungeheuer viel Arbeit ist. Nur spürte ich parallel dazu, dass gerade jetzt die Schubkraft da ist, um mehr Projekte daraus entstehen zu lassen.

Schübel  /   Was heißt „auf einer viertel Pobacke nebenbei“? Wie kam es dazu?
Groeschel  /   Seit über 13 Jahren bin ich Strategie- und Kom munikationsberaterin. Nach fünf Jahren in der Beratungsbranche wollte ich unbedingt nebenberuflich noch ein Zweitstudium in Kunstgeschichte machen, was in Berlin ungeheuer kompliziert war. Kurzum, ich bin heimlich aus meiner Tätigkeit als Beraterin in die Vorlesungen gelaufen. Und war mit dieser Entscheidung ganz glücklich. Daraus ergab sich das Angebot, Galeriedirektorin zu werden, doch nur für sehr kurze Zeit, denn der Geschäftsführer verschwand und hinterließ einen Berg an unbezahlten Rechnungen.
Dann gründete ich mit Freunden 2004 den Kunstverein „Freistil“, kuratierte im Narva-Turm auf 5000 qm mit jungen internationalen Künstlern eine Ausstellung. Woraus meine wandernde Galerie entstand, „SALON anjagroeschel“. Ich merkte, dass das Arbeiten an wechselnden Orten mit den Künstlern zu ganz eigenen Ergebnissen führte, die im klassischen White Cube nicht denkbar waren. Das ging eineinhalb Jahre, bis ich zugegebener Weise ein sehr gutes Angebot aus der Industrie bekam, für das ich nach Frankfurt ging. Ich wohne und arbeite aber jetzt wieder hier.

Schübel  /   Wir lieben es, hier in Berlin zu leben. Aber, beunruhigt Dich das nicht auch: Art Forum weg, Guggenheim zu?
Groeschel  /   Ich sehe das nicht dramatisch, eher als Chance.
Was die Messe anbelangt: Ich finde es essentiell für einen Standort wie Berlin, eine Kunstmesse zu haben. Ich hoffe nur, dass sich nicht allein die Frage stellt, ob oder ob nicht. Sondern: Warum haben Dinge nicht gut funktioniert? Was kann man ändern, damit es besser funktioniert?
Was die Guggenheim anbelangt: Welchen Stellenwert hatte diese Institution? Ich bin Mitglied der Guggenheim und habe ich mich öfter gefragt, welcher Mehrwert dort geleistet wird. Es ist natürlich höchst bedauerlich, aber diese Lücken werden durch andere Institutionen gefüllt. Wobei auch bedacht sei: Es gibt nicht viele große Unternehmen wie die Deutsche Bank, die die Möglichkeiten haben, solche Projekte finanzieren zu können.

Schübel  /   Die Eröffnungen im Guggenheim waren Treffpunkt für eine Berliner Haute Volée mit großer Bandbreite an A bis G-Prominenz. War das keine Chance?
Groeschel  /   Das ist in der Tat das, was mich als Mitglied bei der Guggenheim am meisten ärgerte. Da kam ein total anderes Publikum zusammen, als bei anderen Kunstveranstaltungen. Vernetzungsarbeit durch die Institution wurde aber nicht wirklich forciert. Da traf Wirtschaft auf Kunst. Ein unglaubliches Potenzial, um Impulse zu setzen.

Schübel  /   Was wurde verpasst?
Groeschel  /   Um das Vernetzen erfolgreicher zu machen? Dialoge schaffen, nicht die gleichen Grüppchen stehen lassen, sondern Gruppen einander vorstellen. Oder einen kleineren Rahmen schaffen, wo Austausch unumgänglich ist. Es sind ja nur winzige Kleinigkeiten.

Schübel  /   Sind Frauen insgesamt aufgeschlossener – oder welche Rolle spielt Gender beim ALC?
Groeschel  /   Im Fokus steht für mich eher die Interdisziplinarität. Das hat nichts mit Gender zu tun, sondern ist themenbezogen: Eine Schnittmengen aus Ökonomie, Medien, Kunst und Kultur zu schaffen. In dieser Art gibt es in Berlin kein mir bekanntes Vorbild in dieser Größenordnung.

Schübel  /   … die „Freunde der Nationalgalerie“? Der „Stoberkreis“?
Groeschel  /   … aber das ist alles institutionsgebunden. Das ist ja einer der Erfolgsfaktoren des ALC: Er besteht aus Frauen, die auch in anderen Institutionen Mitglieder sind. Oder nirgends, da sie es ablehnen. Aber wir haben Mitglieder aus fast allen Institutionen. Ich achte sehr auf die Vermischung zwischen den Generationen. Gerade weil wir nicht institutionsgebunden sind, impliziert dies letztlich eine große Freiheit.

Schübel  /   Wie wählst Du die Themen für die monatlichen Veranstaltungen aus?
Groeschel  /   Die Auswahl der Themen ergab sich quasi wie von selbst, seit Neustem aber kommen Vorschläge auch von den Boardmitgliedern. Sie alle kommen aus der Kunstwelt, haben aber in einem anderen Kontext aus einer jeweils anderen Perspektive damit zu tun. So ist es natürlich spannend, wenn zum Beispiel eine Sammlerin ihre Sammlung vorstellt und Nachfragen von anderen Sammlerinnen, aber auch von Künstlerinnen, Museumsleuten oder Händlerinnen kommen.

Schübel  /   Der Kunstmarkt öffnet sich für private Förderungen, wie die Inszenierung des neu eröffneten Städel-Anbaus in Frankfurt zeigt.
Groeschel  /   In vielen Ländern entwickelte sich bereits früh etwas, was in Deutschland allmählich erst anfängt, nämlich die schrittweise Professionalisierung des Kunstmarkts. Sponsoring ist dabei ein Aspekt, aber auch Unternehmens-Sammlungen professioneller anzugehen, das steckt hier ja alles noch stark in den Kinderschuhen.

Schübel  /   Ist es nicht heikel,  Entwicklungspotentiale anzusprechen?
Groeschel  /   Die Vertrauensbasis bei uns im ALC ist besonders hoch. Klar gibt es aber auch kritische Themen, die sich nicht unbedingt am großen Tisch besprechen lassen.
Bei nunmehr einer Anzahl von fast 300 ‚Mitgliedern‘ ist die konsequente nächste Überlegung, diese diskursive Ebene weiter zu öffnen. Nicht nur innerhalb, sondern aus diesem Kreis heraus. Diese Veranstaltungen dann Männern wie Frauen gleichermaßen zugänglich zu machen. Die Interdisziplinarität sowie die Narrenfreiheit, nicht institutionsgebunden zu sein und somit auch ‚andere‘ Fragestellungen aufgreifen zu können, dies gilt es zukünftig stärker zu nutzen.

Schübel  /   Auch Galerien schließen oder wandern ab: Welche Möglichkeiten hat eine so stark atomisiert-zersplitterte Stadt wie Berlin für einen geschäftigen Kunstmarkt?
Groeschel  /   Es ist das Label ‚Berlin‘, das weltweit als Kunstmetropole erkannt und anerkannt wird, nur auf politischer Ebene hat es Berlin bis heute nicht geschafft, daraus ein echtes ‚Fund‘ zu machen. Es ist bislang als nach außen unabhängig und als ungefördert entstanden, da sich hier immer mehr Künstler angesiedelt  haben. Aber nach innen wird zur Förderung und zum Erhalt nicht viel gemacht. Berlin lebt von Zersplitterung, von Subkulturen, die müssen gar nicht näher zusammenrücken.

Schübel  /   Welche Fördermaßnahmen schweben Dir da vor?
Groeschel  /   Ich fand es erstaunlich, dass Wowereit mit der Erkenntnis im Ausland konfrontiert wurde, dass Berlin eine Kunstmetropole ist. Die einzige Konsequenz war, dass über eine neue Kunsthalle nachgedacht wurde, ohne allerdings strukturelle Fragestellungen aufzuwerfen. Die unglaubliche Vielfalt an Künstlern und Galerien in Berlin zu nutzen, heißt, ihnen die Möglichkeit zu geben, hier zu überleben und gute Geschäfte zu machen. Wenn es um Karrieren geht, sind die Möglichkeitsräume in Berlin noch sehr eingeschränkt. Wer was bewegen will, der geht am Ende. Damit diese Akteure nicht wieder abwandern, wenn sie genug Impulse erhalten haben, braucht es strukturelle Veränderungen, sonst erfolgt ein Braindrain in der kreativen Welt: ein Creativedrain!
Dabei ist hier ein so riesiger kreativer Asset.

Schübel  /   Als Tor zur Welt ist ein Messe-Format ja auch hilfreich.
Groeschel  /   Die Frage ist ja: Funktioniert das ursprüngliche Messeformat noch? Märkte insgesamt, speziell auch der Kunstmarkt, sind aktuell starken Wandlungen ausgesetzt und es braucht neue Ideen und neue Konzepte. Gibt es Entscheider, die das erkennen und wissen? Und den Mut dazu haben, diese möglichen strukturellen Veränderungen auch von der Produktidee heraus zu definieren?
Es kann ja nicht sein, dass in Karlsruhe eine Messe ist und in Berlin nicht. Nicht nur des Umsatzes wegen, es geht auch um diese wahnsinnige Signalwirkung nach außen! Bei der „Bread & Butter“ hat es Berlin ganz klar verstanden, da wurde mit allen Mitteln darum gekämpft, sie wieder zurückzuholen. Wie viele Designer gibt es im Vergleich zu Künstlern in Berlin? Vielleicht ist die Fashion-Lobby geschlossener. Vielleicht ist es aber der Stadt Berlin einfach nicht klar, wie viel Umsatz dadurch verloren geht. Eine Messe sichert das Label von Berlin als Kunstmetropole. Wenn dies nicht erhalten wird, hat dies monetär auch langfristige Auswirkungen. An diesem Rohdiamanten Berlin muss geschliffen werden.

Schübel  /   Kennt man Messen aus anderen Bereichen und vergleicht sie mit Kunstmessen weltweit, erkennt man teilweise richtig verwunderliche Strukturen.
Groeschel  /   Genau der Punkt: Ich habe lange die deutsche Messe AG beraten und aus der Sicht des In-Betweeners sehe ich nicht nur schneller die Probleme, sondern vor allem, wo die Chancen liegen. Es gibt keinen Markt, der so unberechenbar und so speziell ist wie der Kunstmarkt. Er lebt von Emotionen, von Kontakten, es fehlt Objektivität.
Toll wäre, wenn diejenigen, die eine neue Kunst-Messe machen, den Mut haben werden, trotzdem auch andere Wege zu wagen.

Anja Groeschel (© )
Microtime für Seitenaufbau: 1.24635887146