BB7… Du Opfer!

Ein Rundgang duch die kw mit Joachim Blank und Stephanie Kloss

2012:Aug // Stephanie Kloss, Joachim Blank

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08-2012












Wir sitzen im Garten, es beginnt zu regnen. Vor uns liegt ein großer rostiger Schlüssel, beschmiert mit arabischen Schriftzeichen, der „Key of return“. Hinter uns ein Plakat mit gesprayten Lettern „curated by Artur Żmijewski und Joanna Warsza“. Darunter steht „don’t play with the Dictator“. Stephanie trägt einen Kaschmirschal einer Berliner Designerin, der an das Kufiya-muster erinnert. Neben uns lässt sich ein arabisch aussehender Mann mit Palästinenserschal nieder.

Stephanie Kloss  /  Żmijewski setzt sich mit dem Holocaust auseinander, dennoch sind alle Beiträge auf der Bb7 nicht gerade israelfreundlich. Der Schlüssel, die Briefmarken, die Stempelaktion des noch zu gründenden Staates Palästina im Pass, das Jewish Renaissance Movement – die Rückführung von 3,3 Millionen Juden nach Polen –, der Künstlerreporter aus den besetzten Gebieten, Żmijewskis Solidarität mit Grass … Ein Dialog wird nicht angeboten.
Joachim Blank  /  Das ist genau die Frage, ob es die Aufgabe der Kunst sein muss, die Kunst als eine Art Illustration zu missbrauchen für eine politische Aussage, die man eigentlich auch anders, mit Sprache oder einer Diskussion, lösen kann. Warum muss das über den Rahmen oder den Umweg einer skulpturalen Setzung stattfinden? Wenn ich diesen Umweg benötige, dann wird es für mich sofort fragwürdig. Das ist, was die Kuratoren hier machen, sie vermitteln Kunst, die aber nur mit Text und Statement einer politischen Richtung dargeboten wird. Das finde ich langweilig.
Kloss  /   Die Übersetzung fehlt, es ist 1:1. Der Schlüssel ist zwar vergrößert und soll angeblich der Größte der Welt sein, aber der Schlüssel ist ja auch das Symbol für die vertriebenen Palästinenser aus ihren alten Häusern, den sie von Generation zu Generation weitergeben, das Symbol ihrer Hoffnung auf eine Rückkehr. Die Frage ist, ist das überhaupt Kunst?
Blank  /  Aber dafür benötigen wir doch gar nicht die Kunst, sie ist ein Umweg!? Eigentlich verkompliziert sie mit ihrer gewollten Vieldeutigkeit den Zugang zu realpolitischen Fragen und Problemen, weil sie als Medium immer anwesend ist. Mit ihr findet eine seltsame Überformung statt …
Kloss  /   Ein Umweg zurück zur Politik. Das ist das Gleiche mit den Künstlerreportern. Ich finde es reicht nicht, Leute Demonstrationen abfilmen zu lassen, die Demonstranten als Statisten zu benutzen für eine wacklige Videodokumentation, die uns dann als Kunst verkauft wird. Und dabei deren Anliegen total zu verflachen. Nachrichten sind da besser gemacht.
Blank  /  Ich würde das noch anders sehen. Der Anspruch des Dokumentarischen und Authentischen, mit dem das hier gezeigt wird, nur weil es aus Künstlerhand stammt, erübrigt sich. Vielmehr sollte es die Aufgabe der Kunst sein, die Bedingungen der Vermittlung dieser Ereignisse zu hinterfragen. Gerade hier erwarte ich von Künstlern, dass sie zu Beobachtern dritter Ordnung werden – also Beobachtern der journalistischen Berichterstattung, denn überwiegend ist diese es immer noch, die uns die Blicke auf die Krisen der Welt liefert. Die Bilder der sogenannten „Künstlerreporter“ sind genauso fragwürdig wie die aller anderen. Wir wollen und dürfen ihnen nicht vertrauen, weil auch hier die Bedingungen ihrer Entstehung immer einem bestimmten Interesse unterliegen, welches wir nicht weiter kennen. Ich misstraue dieser Unschuldsbehauptung bei Künstlerbildern. Also wo ist dann der Mehrwert …?
Aber was sagen wir denn jetzt zu „Occupy-Bb7“? Dass Occupy hier im Museum eingeschlossen ist, wollen wir die eigentlich nicht lieber auf der Straße sehen?
Kloss  /   OH … Ich kann da schon gar nichts mehr zu sagen. Als sich Occupy Wallstreet im Zuccotti Park in NYC formierte, war das für amerikanische Verhältnisse etwas ganz Außergewöhnliches, ein liebenswertes Wollen und die Notwendigkeit, Dinge zu verändern, und nun wird die „Bewegung“ einfach nur benutzt.
Blank  /  Offensichtlich geht’s hier immer nur um eine plakative Illustration des Politischen. Die Berlin Biennale kommt mir vor wie eine Grafik-Design-Messe, das Logo der Bb7, oder wie hier im Hof mit Farbe auf Plakat umgegangen wird, eine Ästhetik der Demonstration wird hier auf eine gewisse Weise bemüht, da gibt es eine Reihe von künstlerischen Positionen, die das längst verhandelt haben.
Aber jetzt geht es hier angeblich darum, ob wir real eingreifen können, das ist doch die Behauptung, die These der Bb7. Ist das für dich wichtig, über das Symbolische hinaus, in direkter Weise etwas mittels der Kunst verändern zu können?
Kloss  /   Schon. Aber das ist natürlich eine absolut romantische Vorstellung. Es gab einige Künstler, die ihre künstlerische Tätigkeit eingestellt und ausschließlich politisch aktiv wurden. Die Idee, dass der Raum der Kunst ein solches Experimentierfeld für ein neues Zusammenleben und neue kollektive Rituale sei, geht zurück auf die „Situationistische Internationale“. Sie forderte auch die Abschaffung von Waren, Lohnarbeit und Hierarchien.
Occupy ist der Name einer Demonstration, die sich nicht mehr mit den Gegebenheiten der Weltwirtschaftspolitik abfinden wollte. Es ist keine Kunst. Und hier wird dem Kunstpublikum demonstriert, was eine Demonstration ist???
Oder ist das Żmijewskis Ding, einfach zu demonstrieren. Kann man die Bb7 darauf runterbrechen?
Blank  /  Offensichtlich soll es hier um die Erweiterung des erweiterten Kunstbegriffs gehen. Aber ob nun Beuys, der die Partei der Grünen mitbegründet hat, die Situationisten oder z. B. „Wochenklausur“, eine Künstlergruppe, die 1993 in einem sozial prekären Viertel in Wien eine Suppenküche eingerichtet hat, die bis heute existiert …
Mir selbst kommt die Bb7 wie ein 90er-Jahre-Revival vor, die documenta X, bei der die Wirkung der Kunst in den sozial politischen Raum hinein und umgekehrt thematisiert wurde. Was einem so schwer fällt ist, dass hier ein „Fortschritt“ des Kunstbegriffs propagiert wird, der aber längst sehr vielfältig und präzise durchdekliniert wurde.
Deshalb behaupte ich, dass die Bb7 äußerst bieder ist und in gewisser Weise auch sehr angewandt. Wo geht Żmijewski denn weiter? Was hat er eigentlich wirklich vor?
Kloss  /   Das kann ich dir nicht sagen, da bin ich völlig ratlos. Geht er denn weiter, in dem er Pflastersteine mit dem goldenen Bb7 Logo für 200 Euro verkauft?
Blank  /  Das könnte auch eine Kritik am Kunstmarkt sein.Aber so verstehe ich die Bb7 nicht, dass sie nur eine Kritik des Markts oder der Institutionen sein will.
Kloss  /   Vielleicht insofern, dass sie fast gar keine Kunst zeigt und nur ganz wenig „Künstler“ beteiligt hat?
Blank  /  Ja das stimmt … aber der Kurator profitiert ja als Künstler offensichtlich davon. Diese Veranstaltung hier trägt zur Erhöhung seines persönlichen Marktwerts bei, in dem er das „Das-muss-ja-mal-gesagt-werden-dürfen“-Prinzip anwendet. Er provoziert, bis ihn irgendwann das System einbezieht und seine behauptete Außenposition honoriert. Hier unterstelle ich ihm einen hohen Grad an Bewusstsein: Hauptsache die Einschaltquote stimmt und nach mir die Sintflut !
Kloss  /   Żmijewski zeigt interessanter Weise auch eine Arbeit von sich, die aus der „Tür an Tür. Polen – Deutschland“- Ausstellung (2011) im Martin Gropius Bau aufgrund von Beschwerden Holocaust-Überlebender entfernt wurde. Hier bei Bb7 zeigt er seine Arbeit unter dem Aspekt der Zensur und versucht sich damit selbst in einer Opferrolle darzustellen. In seinem Video „Berek“, einer Arbeit von 1999, werden nackte Menschen jeden Alters dokumentiert, die fröhlich in einem Keller fangen spielen. Es wird nicht deutlich, dass der Keller eine Gaskammer ist. Erst im Abspann wird auf den Drehort hingewiesen. Warum? Was soll all diese Hau-Drauf-Provokation? Und dahinter dann die Birkensetztlinge aus Birkenau … diese Vermischung, das macht mich völlig fertig.
Blank  /  Beide Arbeiten ziehen ihre Aufladung vor allem aus den „Beipackzetteln“. Das ist auch schon im Vorfeld so gewesen, es wurde ein bestimmter Kontext über Sprache vermittelt, in dem die Kunst die Politik ersetzen sollte oder umgekehrt. Ich kann mich dem ja als Betrachter nicht entziehen. Er benutzt ganz strategisch die Medien dafür und es wird uns eine Rezeptionsvorgabe gemacht. Das zieht sich durch die gesamte Ausstellung.
Kloss  /    Vielleicht kann ich alles auch gar nicht ohne Begleitinformationen verstehen?
Blank  /  Aber die Kunst hat ja ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Mittel. Das hier hat auf jeden Fall was mit der allgemeinen Informationsflut zu tun. Permanentes Multitasking, zuviel Social Media, der Druck, immer über alles informiert sein zu wollen, alles kommentieren zu können, führt offensichtlich zu einer getriebenen Oberflächlichkeit in der Wahrnehmung. Die zeitgenössische Kunst, wie sie auf der Bb7 propagiert wird, nämlich in Sekundenbruchteilen eine plakativ-definierte Sicht auf eine komplexe Welt zu vermitteln: Forget Fear.
Was wir hier sehen, ist eine permanente Gängelung der Besucher. Mir wird keine Autonomie zugestanden, sondern mir werden Vorschriften gemacht, das stört mich. Das ist doch die eigentliche Stärke der Kunst, mit der Offenheit zu arbeiten. Sie darf und soll hier nicht für sich selbst stehen.
Kloss  /   Also die Freiheit des Denkens ist hier nicht erlaubt? Generell soll es doch sehr um Freiheit gehen und nicht um die Allmachtsphantasie des Kurators/Diktators.Was sagen da eigentlich die assoziierten Anarchokuratoren der Gruppe VOINA dazu? Aber lass doch reingehen und es uns nochmal anschauen, ob da überhaupt jemand ist.
Blank  /   … und wir suchen nochmal nach Kunst.

Wir gehen in die zentrale Ausstellungshalle. Der Raum ist schwarz, darin mehrere Zelte, Bänke, ein energieautarker Bürobereich, ein Schachspiel aus Flaschen und eine autonome Universität. Parolen, Plakate, Aufrufe, Hinweise auf Demos, Zeichnungen, Skulpturen … eine Zeichnung des Gesichts von Günther Grass, darüber in Schreibschrift: Antisemit. „Occupy the Sky“ steht am Fenster, „Empört euch!“ an der Treppe. Unter der Decke eine Installation aus Fahrradfelgen. Draußen ein Garten mit Nutzpflanzen.
„Glotz nicht, nimm Teil!“, steht auf dem Weg die Treppe hinunter. Eine Frau kommt auf uns zu. Es ist Rachel aus Schottland, sie ist Teil von Occupy Berlin und spricht uns an:


Rachel  /  Es sind gerade Sondergäste aus der Ukraine angekommen, die über die momentane politische Situation berichten werden. Wollt ihr nicht teilnehmen?
Wir verneinen, möchten aber gern noch ein bisschen mit ihr über Occupy-Bb7 sprechen.
Rachel  /  Alles war ganz anders geplant, als es nun realisiert wurde. Hier entstand ein dynanischer Raum und er verändert sich ständig. Leute kommen dazu und gehen. Die Bewegung schließt erstmal niemanden aus. Das Erfolgreichste ist die autonome Universität mit interessanten Diskussionen und Workshops. Es kommen aber auch Leute rein, die sich selbst verwirklichen wollen, z. B. als Graffity-Künstler. Wir finden das eigentlich gut und binden sie ein in den Transparent-Workshop, aber wir wissen nicht genau, was für Parolen das eigentlich teilweise sind: „Power to the banks“, das soll wohl ironisch gemeint sein, aber es versteht keiner.
Kloss  /   Hast du ein Problem damit, so ausgestellt zu werden in dem vielfach kritisierten „Menschenzoo“?
Rachel  /  Nein, ich sehe das als Chance, Menschen zu erreichen, die sich dann für mehr soziale Gerechtigkeit engagieren wollen. Und wenn sich deren Anzahl verdoppelt oder verdreifacht, dann war es das wert.
Kloss  /   Aber auch wenn das hier in einer Institution stattfindet, solltet ihr nicht eher auf der Straße sein?
Rachel  /  Wir haben hier aber mehr Ruhe als auf der Straße. Weil jedes Mal, wenn wir was versuchen, auf der Straße zu machen, kommt die Polizei. Und in einem Zeltcamp ist es viel schwieriger, die Leute bzw. die Frauen zu schützen als in so einem Raum. Die Leute aus anderen Ländern empfanden das hier als guten Anlaufpunkt, deswegen kommen Leute aus NYC hierher oder aus der Ukraine, weil es einen Schutzraum gibt. Und es ist warm.
Kloss  /   Aber der Raum steht doch in einem bestimmten Kunstkontext.
Rachel  /  Ich ignoriere das. Mich interessiert das einfach nicht. Ich finde den Mehrwert, den wir hier erreichen viel wichtiger als die Debatte, ob das Kunst ist oder nicht, ob wir ausgestellt werden oder nicht. Ich sehe das hier ein bisschen wie Theater, wie im Berliner Ensemble für ein Abonnementpublikum. Würden wir nur ausschließlich in einem Kunstraum tätig werden, dann würde es nichts bringen, aber wir wechseln ja die Orte und den Kontext, und hier sehe ich das als Möglichkeit, ein ganz neues Zielpublikum zu erreichen und mit dem zu diskutieren. Das wird ja hier nur eine von zwanzig, dreißig Aktionen sein.
Blank  /  Und wie ist dein Verhältnis zu Artur Żmijewski?
Rachel  /  Das finde ich eher schwierig. Diese eine Arbeit, die er hier zeigt über Auschwitz, die finde ich sehr problematisch. Ich finde der Holocaust darf nicht trivialisiert werden. Es ist eine billige Provokation. Es tut mir weh.
Blank  /  Aber das, was ihr hier macht, geschieht ja unter seiner Verantwortung als Kurator, letztendlich bist du Bestandteil seiner Arbeit.
Rachel  /  Ich bin nicht Bestandteil seiner Arbeit, das könnt ihr so sehen. Aber natürlich können wir uns alle nicht befreien von hierarchischen Strukturen. Ich hasse Artur nicht, ich mag nur seine Arbeit nicht. Ich war mit ihm in einem Raum, ich habe auch ein paarmal mit ihm gesprochen. Was er macht, macht er aus einer guten Absicht heraus, glaube ich, aber jeder arbeitet innerhalb des Systems.
Blank  /  Aber die Bb7 behandelt ja genau diese Frage und sagt: Geh raus aus dem System. Wie Beuys oder später auch Schlingensief …
Rachel  /  Das kannst du nicht. Beuys war auch sehr kommerziell. Die Deutschen haben auch aufgrund der RAF-Historie sehr große Angst vor politischem Aktivismus oder sich als Aktivist zu outen. Jetzt erreichen wir ein ganz neues Publikum mit Artur oder trotz Artur oder wegen Artur. Er hat uns ganz einfach diese Gelegenheit geboten. Da wir sowieso immer Teil des Systems sind, brauchen wir uns auch nichts vorlügen, wenn wir es hier machen oder auf dem Alexanderplatz oder vor der Deutschen Bank, dann sind wir immer Teil des großen ganzen Systems. Wenn wir hier weggehen, werden wir einige Leute mitnehmen oder abgestoßen haben. Ich sehe das natürlich als Gefahr, aber auch nicht so absolutistisch. Es ist eine widersprüchliche Situation über die wir monatelang diskutiert haben, ich bin jedoch zu dem persönlichen Schluss gekommen, dass es geht.
Kloss  /   Übernachtest du hier auch?
Rachel  /  Nein, ich habe meine Wohnung. Ich sehe das eher als Arbeitsraum.
Blank  /  Ich verstehe deine Position als Aktivistin, aber dennoch befinden wir uns hier in einem Kunstraum. Oder vielleicht sollte man das alles vergessen?
Rachel  /  Ich finde das schon sehr mutig und optimistisch von den Kuratoren, das hier in den KW zu machen. Es ist ein Problem, dass politische Gruppierungen heutzutage sofort vermarktet werden. Aber was bedeutet das hier für unsere gesamtgesellschaftliche Situation, was sagt das über unsere Zeit aus, dass Ausstellungsräume sich entscheiden, politische Bewegungen einzuladen? Das sagt doch etwas über das Bedürfnis nach politischem Austausch. Ich glaube, vor zehn, fünfzehn Jahren hätte das nicht stattgefunden. Es gibt ein Bedürfnis nach Veränderung. Aber wenn man nun fragt, ist das Kunst, dann kommt man nicht weiter.
Blank  /  Ja … aber ich würde jetzt mal hart sagen, da wo die Künstler sind, ist es aus mit der politischen Bewegung. Wir kennen das von der Gentrifizierungsdiskussion in Berlin. Nach dieser Veranstaltung wird Occupy vielleicht auch als Teil des Lifestyle-Programms etabliert worden sein!?
Rachel  /  Nein, das glaube ich nicht, das lassen wir nicht mit uns machen. Wir diskutieren schon täglich in unseren Assembleas, was ist danach, was ist der nächste Schritt? Das ist nur eine Etappe. Mehr als die Hälfte der Leute von Occupy Berlin haben sich sowieso verweigert, hier teilzunehmen.

Rachel muss weiter.Wir gehen nach oben ins 1. OG, der Styropor-Jesus ist immer noch nicht fertig. Fotos der Stempelaktion liegen auf einem Tisch, der Stempel ist da und man kann sich beim Passstempeln, der Einreise nach Palästina, fotografieren lassen. Es gibt ein Bild von Hans Dieter Huber auf dem Tisch. Das Bild zeigt ihn, wie er ein Bild von Slavoj Žižek mit seinem gestempelten Pass in der Hand hält. Joachim möchte ein Foto von sich mit dem Foto des Fotos haben. Hinten im Raum sind zwei Videos zu sehen, eines von Anna Baranowski / Luise Schröder, die sich mit Fragen von Erinnerungskultur, hier anhand eines Denkmals, auseinandersetzen.

Blank  /  Ein Anliegen ihrer Videoarbeit war es, die „Inthronisation“ der weltweit größten Jesusstatue zu zeigen, jedoch ohne die Jesusstatue selbst im Bild zu haben. Das ist essentiell für die Rezeption dieses Videos … Leider sehen wir genau gegenüber ein Video, das den Aufbau der Statue zeigt. Zugleich performen Mirosław Patecki und seine Leute den Aufbau einer Styropor-Kopie in Originalgröße in demselben Raum …
Kloss  /   Immer dann, wenn Arbeiten beginnen in ihrer Eigenständigkeit zu funktionieren, werden sie durch eine unsensible Setzung ad absurdum geführt… warum bloß?

Wir gehen ins 2. OG, entlang an den Illustrationen von Marina Naprushkina, durch alle Terrorgruppenfahnen hindurch, schauen uns die Titelseiten aus der mexikanischen Bildzeitung von Teresa Margolles an: Sex and Crime.
Dann ins 3. OG zu den Künstlerreportern von der Papstdemo, den Femen, aus den besetzten Gebieten im Westjordanland, der Band „Pussy Riot“ aus Russland … Es ist sehr laut im Raum, eine Kakophonie. Eine ähnliche Arbeit hat Artur Żmijewskis bereits als Installation „Democracies“ (2009–2012) gezeigt.


Blank  /  Alles steht hier irgendwie nebeneinander: Minsk, KZ, Westbank, Jesus, Drogenkrieg, Terrorgruppen, Occupy … es ist eine unangemessene Zurschaustellung, die Vermischung von Ereignissen, die in ihrer jeweiligen Tragweite banalisiert werden. Muss ich menschlich betroffen sein oder es nach künstlerischen Kriterien beurteilen oder politisch Stellung beziehen? Mir fehlen die Werkzeuge zu einer Interpretation. Es ist alles und nichts und wird dadurch gefährlich, weil es als pathetischer Kitsch daherkommt …

Wir gehen ins 4. OG, dort unter Tageslichtlampen wachsen viele Birkensetzlinge aus Birkenau, die in der Erde des KZs getrieben haben. Obwohl es so aussieht, kann man sich die Pflänzchen nicht einfach mitnehmen, sondern muss sich in eine Liste eintragen und auf Post warten. Wenn da jeder was mitnehmen könnte, würde das ja die Installation kaputt machen, sagt die Aufsicht. Dahinter gibt es ein Making-Off-Video, wie die Birken ausgegraben wurden.

Blank  /  Die Kunst, die hier gezeigt wird, traut sich selber nicht. Deshalb braucht sie offensichtlich eine weitere filmische Ebene, die uns die Interpretation der Arbeit gleich mitliefert.
Kloss  /   Ich möchte das gar nicht weiterdenken, Birken aus Birkenau zum Mitnehmen oder für hier? Da wird Unschuld sehr schnell zynisch.

Ganz hinten in der letzten Ecke wird das Video: „Berek“ (dtsch. Fangen) des Kurators mit den fröhlichen Nackten in der Gaskammer gezeigt.

Blank  /  Je länger ich diese Arbeit betrachte, frage ich mich, um was es in dieser Arbeit wirklich geht …
Kloss
  /   Nur um Provokation. Für den Autor ist es eine „Intervention in die aktuelle Erinnerungspolitik“. Sollen so die Opfer nicht vergessen werden?

Es ist bald 18 Uhr und wir gehen zurück zum Anfang der Bb7 in den Artwiki-Raum. Auf einer Wand wird grafisch dargestellt, wie sich die 5000 Bewerber des Open Calls politisch eingeordnet haben. Die größte Gruppe sind diejenigen, die sich als „left-wing“ bezeichnen und die, die keine politische Gesinnung angegeben haben. Die Infografik erinnert an Zeichnungen von Jorinde Voigt, aber im politischen Kontext der Bb7 denkt man natürlich auch sofort an Mark Lombardi …

Blank  /  Ich habe mich gefragt, ob das ein Bild, eine Infografik, eine Arbeit oder eine wissenschaftliche Untersuchung ist? Pit Schultz hat das alles mit „ja“ beantwortet …
Kloss  /   Und das ist dann seine Arbeit?
Blank  /  Nein, Pit Schultz hat Burak Arikan eingeladen, aus dem Datenbankbestand des von Żmijewski inszenierten „Open Calls“ eine Visualisierung auf einer Wand im Raum zu plotten.
Kloss  /   Aber ist das jetzt eine Arbeit?
Blank  /  Soweit ich weiß ja und nein … es scheint keine eindeutigen Bezüge zu einer künstlerischen Praxis zu geben. Pit erzählte nur, dass Burak Arikan auch mal gefangen genommen wurde …
Kloss  /   Ach so, deswegen hat er sich qualifiziert.
Blank  /  Das Schaubild als wissenschaftliche Untersuchung ist natürlich wertlos. Wenn, dann kann ich das nur aus rein ästhetischen Gesichtspunkten beurteilen. Aber der „Open Call“ als solcher bleibt natürlich auch mit einem faden Beigeschmack an Artwiki kleben, denn in gewisser Weise verschafft Artwiki Żmijewskis „Open Call“ eine Sichtbarkeit: 5000 Leute haben die Frage nach ihrer politischen Gesinnung zwangsläufig in Kauf genommen, um eine Chance auf Teilnahme zu haben. Am vielversprechensten scheint es dann, sich als politisch korrekte Künstler mit „leftist“ oder „anarchist“ zu beschreiben …
Kloss  /   Oder ich provoziere mit dem Gegenteil. Aber das miese an der Sache ist doch, dass man wieder mal naiv dachte, eine ehrliche Chance zu haben, mit einer guten politischen Gesinnung und einer tollen kritischen Arbeit wahrgenommen zu werden. Damit lockt man ja Leute, die nach Öffentlichkeit gieren. Ich finde das total unseriös, Hoffnungen zu wecken bei 5000 Bewerbern und nur einen, Burak Arikan, davon auzuwählen. Aber dann deren Bewerbung auf eine Plattform ins Netz stellen und vom Mehrwert für die Künstler sprechen … Mir hat tatsächlich jemand stolz gesagt, er nehme an der Bb7 teil, weil sein Name dort auftaucht …
Blank  /  Ich sehe hier einige Namen, die ich kenne. Das ist auch der einzige Informationsgehalt, den ich bekomme. Manche sind größer, andere kleiner.

Artwiki ist für Pit Schultz Medienkunst und Medienkultur nebeneinander. Es soll eine Alternative zu gängigen Plattformen bieten. Eine Chance zur Entdeckung der Künstler durch Kuratoren.

Kloss  /   Es stand im Kleingedruckten des Open Calls, dass die Daten verwendet werden, der ist aber mehr als 1½ Jahre alt. Damals war völlig unklar, was mit den Bewerbungen geschieht.
Blank  /  Eine weitere These von Artwiki ist, dass man nicht im Netz gefunden wird, keine Sichtbarkeit als Künstler hat. Das kann ich nicht nachvollziehen, denn ich glaube nicht, dass seriöse Kuratoren in Zukunft eine Rubrik bei Artwiki durchsuchen, um noch z. B. einen „installation artist“ für ihre Ausstellung zu gewinnen – die schiere Masse allein bedarf auf Dauer auch wieder einer redaktionellen Steuerung und dann sind wir doch wieder bei den informellen Strukturen, wie sie immer schon im Kunstbetrieb bestanden haben.
Kloss  /   Es ist doch mittlerweile total uncool, sein Portfolio im Netz zu haben. Die Strategie der Galerien ist doch eher, die Infos knapp zu halten.
Blank  /  Ja, das stimmt. Aber es ist auch genau umgekehrt: Viele Künstler wollen wissen, was mit ihren Daten passiert und wie sie verwendet werden und bauen deshalb ihre eigenen Websites jenseits ihrer Onlinepräsenz bei einer Galerie. Dafür gibt es einige prominente Beispiele – wie z. B. Gerhard Richter. Artwiki kann sicher ein netter zusätzlicher Service werden und viele Künstler nehmen das Angebot im Vorbeigehen mit. Aber grundlegende Fragen von Sichtbarkeit oder gar Gerechtigkeit im Kunstbetrieb werden damit nicht gelöst. Das scheint mir alles viel zu technokratisch gedacht. Wenn die Datenbank weiter wächst, steigen die Kosten. Wer pflegt, wer finanziert alles? Es wird auch hier darauf hinaus laufen, dass die Daten irgendwie weiter verwertet werden müssen, dass mit Werbung gearbeitet wird, oder Künstler, Kuratoren und Galerien bezahlen für den Service. Und dann sind wir letztlich wieder dort, wo die anderen auch sind. Ich kann da auch netzpolitisch keinen Mehrwert entdecken …

Die Ausstellung schließt. Wir gehen wieder hinunter in den Hof. In der Toreinfahr steht die „Sarrazin-Buch-Sammelstelle“. Darin nur Müll.


Das Rahmenprogramm (Auswahl)

— Die Schlacht um Berlin wurde nach 15 Minuten abgebrochen, weil Frauen keine Vergewaltigungsszenen nachstellen wollten.
— Martin Zet hat nur zehn Bücher eingesammelt.
— Die Hälfte von Occupy Berlin hat sich geweigert, in die KW einzuziehen.
— Von den 5000 Bewerbern aus dem Open Call wurde ein Einziger für die Infografik ausgewählt.
— Kein Honorar oder Danke der Bb7 für die Textbeiträge der Zeitung „P/ACT for Art“, an der sich viele Künstler beteiligt hatten.
— Die assoziierten Kuratoren der Gruppe VOINA dürfen nicht aus Russland ausreisen, da sie per Haftbefehl gesucht werden.
— Nur die Hälfte der Bewerber aus dem Open Call wollten in die Datenbank Artwiki aufgenommen werden.
— Die Künstlerin Nada Prlja hatte zugestimmt, ihr Kunstwerk „Peace Wall“ auf dem südlichen Teil der Friedrichstraße am 15. Juni 2012 abzubauen.
— Der Graffity-Workshop der brasilianischen Pixadores wurde von der Polizei beendet.
— Höhepunkt: die Graffitigruppe Pixação überschüttet den Kurator mit einem Eimer gelber Farbe.
— AUS TECHNISCHEN GRÜNDEN BLEIBT DIE ST. ELISABETH-KIRCHE BIS AUF WEITERES GESCHLOSSEN. DER „DRAFTSMEN’S CONGRESS” IST NACH EISENHÜTTENSTADT, STRASSE DER REPUBLIK 37, UMGEZOGEN.
— Nach mehr als der Hälfte der Laufzeit der 7. Berlin Biennale für Zeitgenössische Kunst haben die globalen Bewegungen die hierarchische Struktur der Biennale infrage gestellt.
— Neustrukturierung der Bb7 in die „Horizontale“.
— Kunstgenießern ist die 7. Berlin Biennale nicht sexy genug.
— Bb7 ist Opfer.

7. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art,
Auguststraße 69, Deutschlandhaus, Stresemannstraße 90,
St. Elisabeth-Kirche, Invalidenstraße 3 und Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 27. 4.–1.7. 2012
Mario Lombardo „Pflasterstein“ (groß), 2012, Edition 10+5 AP, 210 Euro (© )
Mario Lombardo „Pflasterstein“ (klein), 2012, Edition 10+5 AP, 150 Euro, zu beziehen im Webshop der kw (© )
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