Wo ich war

2011:May // Esther Ernst

Startseite > Archiv > 03-2011 > Wo ich war

03-2011












SNOW AGATHE 12. Feb. 2011 All Access World Deutsche Guggenheim, Berlin

+ also, da gibt’s bunte, grelle raumhohe Papierbahnencollagen an allen Wandflächen herunter hängend, da stehen mehrere quietschende Pop-Trash-Skulpturen im Raum verteilt, und all dies ist von mittendrin aber auch von einer Aussichtsplattform aus zu betrachten. Frau Snow hat sämtliche Wahrzeichen und Monumente von touristisch berühmten Städten abgegrast und untersucht, verwurschtet und verschnippselt. Es sind Motive, Formen oder Silhouetten, die jeder bereits millionenfach gesehen hat, ohne je dort gewesen zu sein. Da stehe ich mitten in einem dreidimensionalen Reiseprospekt und merke, mir ist überhaupt nicht klar, was die nun an ihrer eigenen Ansammlung interessiert und denke: ja wat denn nu mit das ganze Geschnippsel und Gebastel? Oder geht mir das so, weil ich keine Ahnung hab, was die sonst so macht? Kann ja keinen Bezug zu früheren Arbeiten herstellen, nicht wirklich was herauslesen... Macht nix, ich nehms einfach mit und ordne diesen Besuch in die mir-nichts-dir-nichts-Schublade ein.

DUCHAMP MARCEL 28. Jan. 2010 Bell Haleine, Eau de Voilette, 1921 Neue Nationalgalerie, Berlin

+ Jörg und ich haben uns kurz vor Mitternacht vor der Vitrine verabredet und fanden eine leere Nationalgalerie mit drei Aufpassern und einem gläsernen Parfumflakon samt Schachtel vor und fühlten uns wie im Film. Und klar, die Veranstaltung ist natürlich auch ein Spektakel, in unserem Falle ein sehr stilles, aber vielleicht ist gerade diese Art des zur Schaustellens dem Werk total angemessen, denn die Flasche allein kann nicht wirklich eine Attraktion sein, die gibt’s ja auch als Abbildung nicht schlechter zu sehen, also wird hier mit der Aura und dem ganzen Rezeptionsschwanz gearbeitet und so der Versuch unternommen, Belle Haleine in einen passenden und zeitgemässen Ausstellungskontext zu stellen. Unter dem Pseudonym Rose Sélavy hat sich Duchamp von Man Ray in Frauenkleidern fotografieren lassen und das Flacon-Etikett neu gestaltet, den Parfumnamen „Un air embaumé“ (Duftende Luft) in „Belle Haleine“ (schöner Atem) umbenannt. Toll-toll, und ja-ja, der hat alles schon erledigt, der Marcel...

POLKE SIGMAR 26. Jan. 2011 Eine Hommage Akademie der Künste, Pariser Platz, Berlin

+ Raster über Raster. Und ganz schön viele Drucke, deren Auswahl und Hängung sich mir nicht wirklich erschliessen. Aber der mittlere Raum mit der zehnteiligen Werkgruppe „Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinen 1974 – 1976“ ist fantastisch und eine helle Freude mittendrin stehen zu können. Da guck ich erst von weitem, raumhälftenweise, dann Bild für Bild, die sind eng gehängt, das ist toll, da wird man voll zugedröhnt, dann beim Dicht-davor-stehen, seh ich erst die einzelnen Blätter, wie sie meist unabhängig voneinander mit soner Farbtherapieschmiererei grundiert wurden, dann hat Polke Schicht für Schicht über die ganze Fläche weiter gearbeitet, einzelne Motive wieder abgebrochen oder unterteilt - wie verhalten sich denn die jeweiligen Ebenen zueinander(?), eher assoziativ(?), und sind die diversen Maltechniken und Stile inhaltlich zu lesen(?), und überhaupt ist mir seine thematische Werkgruppe inhaltlich angenehm unnachvollziehbar. Man, ist das toll!

GOLDIN NAN 15.Jan.2011 Berlin Work Berlinische Galerie, Berlin

+ ich finde die Berlinsche Galerie innenarchitektonisch einfach eine Katastrophe. Dieses verwinkelte und verhuschelte Räumchenineinadergeschacher ist komplett ausstellungsunvorteilhaft. Davon abgesehen macht es trotzdem Freude durch Goldins Berliner-Portraits zu schlendern. Sie sind nicht ganz so abgründig wie gewohnt, eigentlich ganz hübsch, farbig, fröhlich, thematisch gruppiert, regelmäßig auf gestrichene Wänden gehängt, so wie’s ordentlicher nicht geht. Und aha, die hat tatsächlich in der Hornstrasse gewohnt. Diese Geschichten zu den Fotos machen aber alles kaputt, die klingen immer so nach Künstlerextravagant-verrucht-fertiges-Dramaleben. Da hab ich gleich keine Lust mehr hinzuschauen, während den Fotos nämlich eher auch was Zärtliches und Liebevolles innewohnt und gerade diese Doppeldeutigkeit doch anziehend ist. Ob die Goldin eigentlich so ne Art Rainald Goetz ist, und ob das nicht auch fürchterlich anstrengt, für das soziale Umfeld oder so als Freund.

SUSSMAN RACHEL 11.Jan.2011 the oldest living things in the world Botanisches Museum, Berlin Dahlem

+ das klingt erstmal super toll: Rachel Sussman dokumentiert in ihrer Fotographieausstellung die ältesten Lebewesen dieser Welt – meist irgendwelche Landschaftsgeschwüre, Krüppelbäume, Wucherungen oder seltsame Zellansammlungen, die bereits zwischen drei und achtzigtausend Jahren vor sich hin vegetieren. Ist doch abgeknallt. Macht so viel Vorfreude und war dann echt eine Enttäuschung. Da hängen bloss traurig gerahmte und fürchterlich deplatzierte Fotos, auf denen die wundersamen Gebilde kaum herauszulesen und die Infos jeweils zu knapp und lediglich mit Namen und Lebensdauer gekennzeichnet sind. Puh, da wurde mir die Begeisterung in nullkommanix wieder genommen. Da kann gar kein Staunen aufkommen, weil der Zugang und die Sorgfalt auf allen Ebenen fehlt. Jedes Geoheft würde daraus einen besseren Beitrag machen. Ein Stock tiefer entdecke ich einen Baumwürger und in dem Baumwürger eine verwachsene Luftwurzel. Da war meine Welt wieder in Ordnung...

HÖLLER CARSTEN 3. Dez. 2010 Soma Hamburger Bahnhof, Berlin

+ also, was haben wir da: Soma, ein mystisches Getränk mit Zugang zu göttlichen Sphären! Da ist Carsten Höller, Künstler und habilitierter Agrarwissenschaftler, der sich auf die Suche nach dem omnipotenten Stoff macht. Und die Versuchsanordnung, bestehend aus zwei symmetrisch aufgebauten Tierweiden mit jeweils 12 Rentieren, vier sich in der Waage halten den Vogelkäfigen mit 24 Kanarienvögeln und zwei Fliegen in Glaskuben. Den linken Tieren wird das eigens hergestellte (?) Somagetränk verabreicht, die rechten bleiben normal käfigdebil. Und nun beginnt die Beobachtung, nur wer beobachtet denn jetzt (bitte nicht die Besucher), wer wertet aus? Und spätestens an diesem Punkt bleibt für mich unklar, ob das Kunstprojekt ein ernst gemeintes Unterfangen oder eben nur Eliasson-Spektakelbluff ist. Und inmitten von all dem kann man für 1000€ auf einem Hochbett eine nachtlang Soma trinken und gepflegt bumsen.

Snow Agathe (© Esther Ernst)
Marcel Duchamp (© Esther Ernst)
Sigmar Polke (© Esther Ernst)
Nan Goldin (© Esther Ernst)
Rachel Sussmann (© Esther Ernst)
Carsten Höller (© Esther Ernst)
Microtime für Seitenaufbau: 1.30068492889