Gespräch über Michel Majerus

2008:Feb // Raimar Stange / Andreas Koch

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02-2008











Raimar Stange / Gerade ist das Buch zu Michel Majerus’ Skateboard-Projekt im Kölner Kunstverein anno 2000, also fünf Jahre nach seinem tragischen Tod, erschienen. Dies wirft Fragen auf. Welche Aufgabe hattest du als Grafikdesigner bei dieser posthumen Publikation?

Andreas Koch / Majerus hatte das Buch schon entworfen und es lag als digitales Layout-Dokument vor. Den Hauptteil der Arbeit hätte auch ein Reprostudio erledigen können, Bilder scannen und einladen. Es fehlten jedoch ein paar Seiten, der Titel war nur vage als „etwas mit Spiegeln“ von Majerus vorgedacht, außerdem begradigte ich hier und da leicht, dies aber gemeinsam mit den Galeristen und Nachlassverwaltern von Neugerriemschneider. Man musste sich dann immer entscheiden, war das so gewollt oder noch Skizze. Meist entschied man sich für das erstere.

Stange / Theodor W. Adorno beschriebt die adäquate Interpretation von ästhetischen Formulierungen als „produzierenden Nachvollzug“. Hast du bei deiner nachvollziehenden Arbeit an diesem Buch neues zu Michels ästhetischer Konzeption erfahren?

Koch / Erstmal hat das was ich mit dem Buch machte zum größten Teil wenig von einem „produzierenden Nachvollzug“. Das wäre es gewesen wenn ich das ganze Buch im Sinne von Majerus nachgeformt hätte, das traf aber nur auf wenige Seiten zu. Trotzdem beschäftigte ich mich bei meiner Arbeit mit seiner Art, Dinge zu verwenden und zu setzen. Majerus ist für mich ein Künstler, der wie eine Sampling-Maschine alles verschluckt und wieder neu ausspuckt. Anders als die Nuller-Jahre-Künstler, die die komplette Kunstgeschichte recyclen und oberflächlich miteinander verweben, hat Majerus, typisch für die Neunziger Jahre, die Werbe- und Comic­ästhetic benutzt und in ein eigenes Zeichen- und Referenzsystem überführt. Und so wie er all seine Figuren, Sätze und Zeichen immer wieder neu übereinander schichtete, legte er auch das Buch an. Als würde er die Fotos und Bilder aus seinem Fotoarchiv schnell auf die Buchseiten schieben und sich darüber freuen wie sie miteinander in Beziehung treten. Die Arbeitsweise könnte man als das aus der Computerarbeit bekannte „Drag and Drop“ bezeichnen.

Stange / Ich teile deine Interpretation nur zum Teil, denn ich denke, dass Michel sehr bewusst und sorgsam ausgesucht hat, welche ästhetischen Formulierungen er weiterverarbeitet hat. Die Postmoderne war längst vorbei, ihm geht es um die inhaltlich-analytische Qualität des Samplings. Dies ist auch dem Buch ablesbar: Dem Thema Skateboarding gewinnt er den Aspekt des non-linearen Zeitverlaufs ab, der ja der Halfpipe dadurch eingeschrieben ist, dass man auf ihr fährt ohne wirklich ein Ziel zu haben, ohne wirklich eine Strecke zurückzulegen, es geht eben immer auf und ab, wie ein Pendel – entsprechend oft sind dann auch „loopartige“ Motive, wie etwa Spielzeugrennbahnen, zu finden. Kannst du ähnliches im Buch finden?

Koch / Ich weiß nicht ob die Postmoderne längst vorbei war oder ist, in der Kunst fand sie jedenfalls, anders als in der Architektur oder Mode der Achtziger Jahre, keine ernst zunehmende Richtung. Ok, da gab es die Neuen Wilden oder die italienische Transavanguardia, die alle möglichen griechischen Mythen und Symbole durchmischte. Erst 1991 erschien von Frederic Jameson seine Untersuchung zur Postmoderne „Postmodernism or the Cultural Logic of Late Capitalism“ in der er eben das räumliche Nebeneinander von historischen Zeugnissen im Unterschied zu deren zeitlichen Ablauf herausstellt. Und gerade Majerus, finde ich, verkörpert im Sinne der „Nicht-Linearität“ eine Position der Postmoderne, gerade weil er alle möglichen Positionen der jüngeren Kunstgeschichte mit einbezieht und Supermario noch zusätzlich durch seine Bilder flitzen lässt. Auch kann man das Motiv der Dauerschleife, des „Loops“ und die damit einhergehende Negation des Fortschritts als „postmodern“ bezeichnen. Das ist beim Cover wieder aufgegegriffen. Man kann Vor- und Rückseite so zusammenlegen, dass man aus vielen Büchern den Titel „if we are dead so it is“ endlos wiederholen kann. Das Innere des Buches ist vom Konzept her, meines Erachtens, eher so angelegt, dass Majerus immer wieder anderes Ausstellungs- und Bildmaterial mit Bildern aus der Kölner Halfpipegeschichte unterbricht, also in gewissem Sinne auch dramaturgisch linear vorgeht.

Stange / Gerade das find ich eben nicht linear, da das erneute und, frei nach Friedrich Nietzsche, „ewigwiederkehrende“ Einstreuen der Halfpipe-Motive ja eine stringente Entwicklung zugunsten eines durch Wiederholung ausgelösten Stillstandes verhindert. Übrigens war die Halfpipe in Köln, wie eine Skizze von Michel belegt, ursprünglich von ihm als Pipe geplant, was den Loop-Charakter noch mehr unterstrichen hätte. Leider war die Halle dafür aber nicht hoch genug. Themawechsel: Hätte es nicht Sinn gemacht, das Buch um einen „historisch-dokumentarischen Teil“ zu erweitern, in dem man z.B. zeigen hätte können, wo und wie die Installation inzwischen präsentiert wurde?

Koch / Das wäre ein zu thematisches Buch geworden. Ich würde das Buch auch nicht zu sehr auf die Halfpipe reduzieren und mehr als ,posthumes‘ Vermächtnis sehen, auch wenn das von Majerus natürlich so gar nicht konzipiert war. Da finde ich den Titel „if we are dead so it is“, ebenso wie die skizzenhafte Werkübersicht gemischt mit von Majerus eingefügtem fremdem Material wie z.B. dem AC/DC-Cover, sehr passend. Denn es ist ja ein mäanderndes Werk für das dieses fast textlose Buch, ohne Bezeichnungen und Jahreszahlen, eine gelungene Entsprechung darstellt.

Stange / Du meinst im Sinne seines „anarchistischen bildnerischen Denkens“, wie Udo Kittelmann, damals noch Direktor des Kölnischen Kunstvereins, in seinem kurzen Vorwort schreibt?

Koch / Das ist schöner gesagt als gedacht, denn Majerus organisiert seine Bildwelt ja durchaus gezielt. Die Zeichen, Logos und Symbole aus der Werbe- und Computerspielewelt die er verwendet, stehen ja für Macht, Sex und Geld, also für alle kapitalistischen Antriebsmotive. Dass er sie „non-linear“ durcheinander wirbelt, impliziert einerseits vielleicht einen anarchistischen und kritischen Ansatz, andererseits funktionieren seine Bilder dann auch wieder genau wie die von ihm verwendeten Motive, nämlich krachen sie mit der gleichen Wucht in die Kunstwelt und ihren Markt. Mir fällt eine Begebenheit ein, die mir ein Ateliergenosse von ihm schilderte. Er saß vor einem Stapel unbemalter, mittelgroßer Leinwände, die er alle an einem Tag füllen wollte und dann meinte, wie komisch es sei, zu wissen, dass alle schon verkauft seien. Die Qualität seiner Arbeit ist das ständige Reflektieren dieses Zustandes. Gemalte Aussagen wie „Dumb success“ oder „Der amerikanische Markt funktioniert anders. Du kannst nicht einmal so konfus mal dies und mal das machen, das geht nicht. Die sind auf Einzelwerke aus“ was er direkt auf die Halfpipe druckte, zeugen von diesen selbstreferenziellen Schleifen ‚innerhalb‘ des Systems, deswegen würde ich es nicht anarchistisch nennen. Weißt du eigentlich wo die Half-Pipe schließlich landete?

Stange / Die Rampe wurde später anno 2004 bei der 1. Internationale Biennale für zeitgenössische Kunst in Sevilla gezeigt, open air in der prallen Sonne Spaniens also. Kuratiert wurde die Ausstellung von dem inzwischen ebenfalls verstorbenen Harald Szeemann. Zwei Jahre später war ein Modell der Rampe in der Austellung „Location Shots“ in Brüssel in der Galerie Erna Hecey zu sehen. Übrigens neben einer schönen Skateboardarbeit von Manfred Pernice.
Michel Majerus, 1999 (© Courtesy Sammlung Raimar Stange, Berlin)
Michel Majerus: Filmstill aus dem Buch „If we’re dead so it is“, 2007 (© jrp-Verlag)
Michel Majerus: Filmstill aus dem Buch „If we’re dead so it is“, 2007 (© jrp-Verlag)
Michel Majerus: Filmstill aus dem Buch „If we’re dead so it is“, 2007 (© jrp-Verlag)
Michel Majerus: Filmstill aus dem Buch „If we’re dead so it is“, 2007 (© jrp-Verlag)
Michel Majerus: Filmstill aus dem Buch „If we’re dead so it is“, 2007 (© jrp-Verlag)
Michel Majerus: Filmstill aus dem Buch „If we’re dead so it is“, 2007 (© jrp-Verlag)
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