Gruppenausstellung: Gerhard Merz, Josef Kramhöller, Anselm Reyle, Haim Steinbach

Coma

2008:Feb // Dominikus Müller

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02-2008
















Vielleicht rollt man diese Ausstellung bei coma am besten von der Pressemitteilung her auf: Denn diese gibt der namenlosen Gruppenshow für ihr Entziffern fünf Schlagworte zur Hand, die alle mit dem hübschen Wörtchen „rein“ beginnen: „reine Kunst“, „reine Oberfläche“, „reines Bild“, „reine Form“ und dann noch, als kleine Zugabe, die den „reinen Kunstdiskurs“ zumindest ein Stück weit hinter sich lässt, das „reine Leben“; eine Art Ausnahme von der Regel. Die in dieser Show versammelten Arbeiten widmen sich, so die Pressemitteilung weiter, der „Entidealisierung“ dieser Topoi. Der Reinheit den Dreck unterschieben lautet also die ausgegebene Parole. Und da hier auch noch just fünf verschiedene Künstler gemeinsam präsentiert werden, liegt es nahe, diesen doch relativ distinkten Positionen der Ausstellung jeweils eines dieser Schlagwörter zuzuordnen.

Beginnen wir bei Anselm Reyles slicker Design-Kunst fürs Sammlerwohnzimmer, die sich seit kurzem ja wirklich nur noch die ganz Reichen leisten können, man ahnt es, hier geht es um die „pure Oberfläche“. Haim Steinbachs Schriftzug „Big Brown Bag“, da unmittelbar auf der Wand angebracht, lädt dagegen so gar nicht zum Shoppen ein, obwohl Steinbach hiermit doch auf eine Bloomingdales-Einkaufstüte verweist. Viel mehr geht es hier um die Wahrnehmung des „Schriftbildes“, um den „Ausdruckscharakter von Zeichen, ... der sie uns als Bilder wahrnehmen lässt“, so zumindest die Pressemitteilung. Also hat man es hier – über diverse Abstraktionsstufen vermittelt – mit der Thematik des „puren Bilds“ zu tun. 

Weiter geht es mit den qua Rostigkeit und Uhrenmotiv unmittelbar Vergänglichkeit suggerierenden Metallarbeiten von Katja Strunz, die gerade in der Mobile-Konstruktion trotz der massiven Metallmaterialien luftig leicht erscheinen und scheinbar beiläufig verschiedene Formen zu einander in Beziehung setzen und zu konzisen Formationen schichten – gut, versuchen wir hier mal „pure Form“ – direkt zu Gerhard Merz. Dieser hat für diese Ausstellung zwei monumental wirkende, abstrakte Arbeiten bereitgestellt, „Lucifer“ und „Malacoda“ betitelt (letzterer der Dämonenprinz aus Dantes achtem Höllenkreis). Beide Arbeiten waren eigentlich für die Ausstellung „Re-Object“ im Kunsthaus Bregenz gemacht und Merz hängt hier unter Umständen als Vertreter einer „reinen Kunst“, die in ihrer hart erkämpften Direktheit den Abstand von Idee und Realisierung auslöscht, ausbrennt, möchte man hier fast schon sagen, so staubtrocken wirken diese Bilder aus der Hölle. 

Was bleibt, für das kleine, durch Strunz’ Arbeit etwas abgetrennte Kabinett, in dem Josef Kramhöller hängt? Richtig, das „reine Leben“, hier logischerweise für den reserviert, der als einziger bereits tot ist. Seine ästhetisch nicht gerade Welten von Merz’ Großkunst entfernten Vaseline-Bilder – es liegt genau genommen nur eine Wand dazwischen – bedienen sich jedoch einem expressiven Gestus: Kramhöller hatte sie als unabgeschlossene Work-In-Progress-Serie konzipiert und bei jeder Ausstellung von neuem mit Vaseline betropft. Seit er 2000 gestorben ist, geht das logischerweise nicht mehr und seine Bilder hängen wie Relikte oder Ruinen einer abrupt zu Ende gekommenen Lebendigkeit in den Räumen von coma. 

In der Hängung ergeben sich diverse Achsen, die die verschiedenen Positionen miteinander verbinden. Reyles exzessive Farbigkeit kontrastiert die monumentale grau-braune Ruhe von Merz und schiebt der Frage nach der „reinen Kunst“ die Frage nach der Grenze von Kunst und Design unter. Steinbachs Direktauftrag von Buchstaben dagegen korrespondiert mit der Dreidimensionalität von Strunz’ Arbeiten. Und Merz und Kramhöller sind sich auf den ersten Blick ästhetisch extrem ähnlich, wiewohl sie konzeptuell unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie hängen auf zwei Seiten derselben Wand wie die zwei Pole, die Jacques Rancière für die Kunst des von ihm so bezeichneten „ästhetischen Regimes“ ausgemacht hat: Dem Streben nach Selbstauflösung im Leben auf der einen und dem Drang in die Autonomie einer l’art pour l’art auf der anderen Seite. Doch im Großen und Ganzen bleibt diese Show trotz der suggerierten Klarheit – sowohl konzeptuell mittels fest umrissener Topoi wie auch ästhetisch durch einen strengen Formalismus – diffus und wenig greifbar. Statt Reinheit überall Unschärfe, doch vielleicht ist genau das der Punkt: Verschmutzung nicht nur der Grenzen, sondern auch ihrer Wahrnehmung.

Gerhard Merz, Josef Kramhöller, Anselm Reyle, Haim Steinbach, Katja Strunz
Coma – Center for Opinions in Music and Art
Leipziger Straße 36
20.12.2007 – 26.1.2008
Katja Strunz, „Chiffre“, 2007 (© Courtesy Coma – Center for Opinions in Music and Art, Berlin)
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