Heinz Emigholz

Hamburger Bahnhof

2008:Feb // Christoph Bannat

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02-2008
















Unter dem Titel „Die Basis des Make-up“ re-mixed der Künstler Emigholz seit über drei Jahrzehnten seine unterschiedlichen Arbeitsfelder und verwendet fototechnisch reproduzierte Notizbuchseiten, Zeichnungen, Zeitungs- und Filmausschnitte. Als Filmbilder aneinander gekettet entstehen modulare Ideencontainer, die er auch als dvd veröffentlicht hat. Gleichzeitig beinhaltet der Ausstellungstitel auch ein Programm.

Make-up bedeutet unter anderem; schminken, aber auch erfinden. Beides spielt in der Ausstellung von Heinz Emigholz eine Rolle. Der formatfüllenden Totenschädel des Ausstellungskatalogs, sowie jener auf dem Cover des 550 Zeichnungen umfassenden Künstlerbuchs zur Ausstellung, kann, im Zusammenhang mit dem Ausstellungstitel, kaum anders gelesen werden, als dass Kunst hier als Schminke auf der Basis des Todes zu verstehen ist. Während „Erfinden“ in Zusammenhang mit Edgar Allen Poes Zeichnungen, die in der Ausstellung als Wandzeichnungen zitiert werden, gedacht werden kann – mit Poe, dem Erfinder und Seelenbildfinder. Dass sich Emigholz der Mehrfachbedeutung von Make-up bewusst ist, zeigt die zweisprachige Verwendung des Ausstellungstitels für jeweils eigenständige Filme. Und auch der Name Pym für seinen Film- und Buchvertrieb, ist ein Hinweis auf Poe. Wer, oder was aber ist Pym? 

Arthur Gordon Pym ist die Hauptfigur aus Edgar Allen Poes „Umständlichem Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket“. In diesem erfindet Poe eine abenteuerliche Schifffahrt, mit der er seinen Protagonisten Pym, den er als Autor ausgibt, in eine fantastische Kultur im ewigen Eis der Antarktis schickt. Der Abenteuerroman von 1838, hangelt sich unsentimental, von Todesgefahr zu Todesgefahr. Poe bedient sich dabei der linearen Erzählstruktur, die wir heute von gewöhnlichen Spielfilmen kennen, deren Handlung von Ereignis zu Ereignis vorangetrieben wird. Gleichzeitig bricht Poe mit diesem gewöhnlichen Erzählstrom indem er Sachbeschreibungen, Logbucheinträge und ethnologische Betrachtungen bruchstückhaft in seine Erzählung integriert. Eine essayistische Arbeitsweise, die auch vielen Filmen Heinz Emigholzs zu Grunde liegt. Gegen Ende seiner Erzählung lässt Poe, und ich kenne kein anderes Beispiel, Schrift-Zeichnungen in seinen Text einfließen. Diese Zeichnungen zitiert Heinz Emigholz. Zeichnungen die Poe als „Verbalwurzeln“ bezeichnet, unter anderem für „schattig sein“, sowie „weiß sein“ oder „die Region des Südens“. Er zweifelt diese Aussagen seiner Romanfigur jedoch an, da Pym sie nur als unklare Strukturen in einer Felswand gesehen hätte. Neben den Felszeichnungen gibt es Fluchtweg-Zeichnungen, die sich später als Schriftzeichen jener arktischen Kultur herausstellen, in die sich Pym unter Lebensgefahr begibt.

Damit brennt Poe ein Feuerwerk von Vieldeutigkeiten ab, das auch Emigholz fasziniert haben muss, denn ein solches Phänomen der Vieldeutigkeiten sind seine Umriss-Zeich(nungen)en. In der Ausstellung können wir seine Zeichnungen lesen, ohne deren Bedeutung zu erfassen. Dabei sind diese, bei näherem Hinsehen, gar keine Zeichnungen, sondern Fotoprints von Handzeichnungen. Sie sind für jeden an Zeichnung Interessierten eine Deadline – eine erregende Erscheinung subtraktiver (Weiß) Licht- bzw. additiver (Schwarz) Farbmischung. Wie Poe, legt auch Emigholz ein verwirrendes Wegegeflecht formaler Fährten an, das die Basis unserer Wahrnehmung bildet. So sind die Zeichnungen vielleicht auch als Fotografien zu lesen. 

Fotografien sind, so der Philosoph Vilém Flusser, nachindustrielle und nachgeschichtliche Begriffe, ähnlich einem Rebus. Die Ideologie der Fotografie besteht für ihn aus unterschiedlichen Standpunkten in einem Bilder- und Gesellschaftskontinuum. Standpunkte die in ihrer Gesamtheit nicht zentralperspektivisch ausgerichtet sind, auch wenn ein jedes Einzelbild dieser Perspektive unterworfen ist. Flusser prophezeit das Ende der linearen Erzählkultur (dem Buch, der Bibel, Marx u.a.) die sich folgerichtig von a nach b, vom Anfang zum Tod (und heißt es nicht: nur der Tod kann deine Geschichte zu Ende erzählen?) ausrichtet. Seine nachindustrielle Bilderkultur besteht aus auf einer Fläche verteilter Begriffe, die wir heute noch nicht zu lesen gelernt haben. Heinz Emigholz ist wohl der Künstler der diese Thematik der Wahrnehmung von apparattechnisch hergestellten Bildern am eindringlichsten systematisch erforscht hat und erfahrbar werden lässt. 

Am Ende seiner Reise fährt Gordon Arthur Pym in substanzloses Licht (subtraktive Farbmischung). „Die fahlweißen Vögel  kamen vom Jenseits des Schleiers hervorgeflogen... Da aber erhob sich in unserem Pfade eine verhüllte Gestalt, sehr viel größer an Gliedmaßen, als sonst ein unter den Menschen je Hausendes. Und die Tönung der Haut der Gestalt, war von der völligen Weißnis des Schnees.“ Pym überlebt die Fahrt ins Licht, kann aber weiter nichts dazu sagen, da er verstirbt bevor Poe Ihn dazu befragen kann. 

Heinz Emigholz
„Die Basis des Make-Up“
Hamburger Bahnhof
Invalidenstraße 50‒51
8.12.2007–24.2.2008
Heinz Emigholz: Titelblatt zur Serie „Die Basis des Make-Up“ 1974-2007 (© © Heinz Emigholz 1974)
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