Gespräch mit Ricoh Gerbl

2008:Feb // Barbara Buchmaier

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02-2008
















Ricoh Gerbl lebt seit Ende der achtziger Jahre in Berlin, wo sie erst nach längerer Anlaufphase ihre Arbeit als bildende Künstlerin im Medium Fotografie aufgenommen hat. Außerdem schrieb sie einen Roman (Henri. Eine Verpuffung, 2005) sowie eine Sammlung von Kurzgeschichten (Leben im Luxus, 2006) und arbeitet parallel zu ihrer literarischen Tätigkeit weiter als bildende Künstlerin. Zuletzt waren ihre Arbeiten, die teils auch eigene Texte inkorporieren, bei „Visite ma tente“ und im Kunstverein Tiergarten zu sehen.   Barbara Buchmaier  / Wie unterscheidet sich in Deiner Praxis das Konzipieren und Schreiben von Texten vom Entwerfen und Produzieren eines physischen Kunstwerks, z.B. eines Fotos? In welcher Atmosphäre arbeitest Du? Wie unterscheiden sich die Voraussetzungen, um überhaupt kreativ werden zu können?

Ricoh  Gerbl  / Der auffälligste Unterschied zwischen dem Schreiben und dem Fotografieren ist, dass das Fotografieren draußen stattfindet, außerhalb meiner Wohnung, in einer Welt, in die ich mich hinein bewegen muss. Beim Schreiben passiert das Gegenteil, ich ziehe mich zurück, heraus aus der Welt, versuche soviel Außenwelt wie möglich von mir fern zu halten. Wenn ich fotografiere, gibt es meist äußere Bedingungen, die ich lernen muss zu steuern. Ich muss das Wetter verstehen oder Körperhaltungen von Menschen studieren. Und wenn die Idee klar ist, muss ich, bevor ich den Auslöser drücke, nur an Sachen denken, die mechanisch, praktisch, lösbar sind. Das Resultat ist von meinem Gefühlszustand unabhängig. Beim Schreiben ist das nicht so, zum einen muss ich „Welt“ von mir fern halten, zum anderen muss ich selbst ein möglichst unaufgeladenes neutrales Teilchen sein, bevor ich mich an den Schreibtisch setzen kann. Dazu kommt, dass ich, wenn ich dann am Schreibtisch sitze, viel stärker mit mir selbst konfrontiert bin als beim Fotografieren. Und ich muss dieser Konfrontation mit dem Alleinseins und dem Alleinbleiben standhalten können. Ich kann ja nicht, wenn ich schreiben will, und feststelle, dass ich mich nicht aushalte, ständig sagen, gut, dann gehe ich jetzt ins Kino, spazieren, oder treffe mich mit Jemandem. Beim Schreiben muss ich mich nicht nur mit dem Text herumschlagen, mit dem Inhalt, der Schreibweise, sondern auch mit mir, um überhaupt an den Text heranzukommen.

Buchmaier  / Wie kam es bei Dir zum Übergang vom Status der bildenden Künstlerin hin zur Schriftstellerin? Warum hast Du ursprünglich angefangen Kunst zu machen und wie kamst du dann zum Schreiben? Stichworte: Lebensphasen, Voraussetzungen, Widerstände, Coming out.

Gerbl  / Zur bildenden Kunst bin ich über eine Lüge gekommen. Ich hatte den Wunsch, in einem großen leeren Raum zu leben. Ich wusste, dass Künstler in solchen Räumen lebten und bewarb mich auf eine Anzeige für einen 60 qm-Raum in einer Ateliergemeinschaft. Als die mich fragten, was ich denn künstlerisch mache, spürte ich, dass ich nicht sagen konnte: Nichts, ich möchte nur in so einem Raum sein dürfen. Also erfand ich künstlerische Vorhaben. Aber auch damit waren sie nicht zufrieden. Sie meinten, meine Vorhaben seien zu klein. Dafür bräuchte ich keinen so großen Raum. Ich log wieder und bekam den Raum, war aber nur kurze Zeit glücklich. Jeden Tag klopften Künstler bei mir und wollten wissen, woran ich arbeite. Eine Weile log ich weiter, sagte, ich wäre noch nicht soweit, etwas herzuzeigen. Um in Ruhe gelassen zu werden, fing ich dann doch an, Kunst zu machen. Als ich feststellte, dass das, was sie von mir zu sehen bekamen, ankam, machte ich weiter.

In der Literatur unterlag ich der Vorstellung, dass eine Autorin schon von Anfang an besser schreiben kann als ich, und dass sie weiß, über was sie schreiben möchte, dass sie Geschichten parat hat. Ich hatte aber keine Geschichten parat und war auch nicht an Geschichten interessiert. Da ich das damals nicht als Vorteil sehen konnte, verneinte ich einfach weiter mein Bedürfnis, schreiben zu wollen. Als ich die Möglichkeit erhielt, mich in New York in einer Wohnung aufzuhalten, in der mir auch ein Computer zur Verfügung stand, konnte ich meine Haltung ändern. Dort fiel es mir leichter, mich dem Unfertigen meines Geschriebenen auszuliefern. Zum einen half mir, dass niemand von den Anwesenden Deutsch lesen und so Zeuge meiner Unfähigkeit hätte werden können. Zum anderen half mir, dass ich, im Gegensatz zur gewohnten Arbeit an der Schreibmaschine, am Computer viel schneller auf Geschriebenes reagieren konnte. Das Unerkanntsein in der fremden Stadt und der Computer halfen mir dabei, mich zu überwinden, doch noch mit dem Schreiben anzufangen.

Buchmaier  / Welche Themen interessieren Dich in der bildenden Kunst und welche in der Literatur? Sind es ähnliche, vielleicht die gleichen?

Gerbl  / In der bildenden Kunst ist bei mir ein zentrales Thema die Pfropfung. Im Pflanzenbau beschreibt der Begriff das Verfahren einer Kultivierung, in dem Disparates ineinander gesteckt wird, um Pflanzen zu veredeln. Dies ist ein „natürliches“ Verfahren im Gegensatz zur Genmanipulation, in der Differenz eingeebnet wird. In meinen künstlerischen Arbeiten verwende ich den Begriff in einem anderen Zusammenhang, im Bereich von zwischenmenschlichen Verhaltensweisen. Entweder stelle ich Situationen her, oder ich fotografiere in Szene gesetzte Momente, in denen ein Übergriff oder eine Veredelung, oder auch beides stattfindet.

In der Literatur, mit der ich ja viel später angefangen habe, bin ich von der Vorgehensweise des Fotografierens beeinflusst. Mich interessiert das Ausschnitthafte, das Einfangen und Beschreiben eines Moments. Die fotografische Aufnahme ist das technische Festhalten eines aus einer Bewegung kommenden Moments. Eine Stadtaufnahme, die es im Leben so nicht gibt, weil das Leben nicht stehen bleiben kann. Das Einfangen von Bewegung im Sinne von Vorher und Nachher, ist, anders als im Film, in der Fotografie nicht möglich. In meinen Texten verhält sich das auch so; es findet keine Bewegung statt. Die Texte sind Standaufnahmen, die von der Fülle der Details leben und nicht vom Vorher und Nachher.

Buchmaier  / Ist Scheitern und Unglück in der Kunst als Thema interessanter als das Glück? Oder ist das Glück einfach nur schwieriger darzustellen?

Gerbl  / Für mich gehört das beides zusammen! Und es löst sich immer wieder gegeneinander ab, vielleicht so, wie das bei den Jahreszeiten ist. Was ist denn Glück und was Unglück? Wenn Glück Momente darstellt, in denen gerade alles in Ordnung ist, dann ist das Unglück der Zustand, in dem nichts oder zuwenig in Ordnung ist. Der Künstler oder Literat befindet sich oft in Situationen, in denen er keine Ordnung findet, die ihn zufrieden stellt. Alle vorgefundenen Ordnungen, seien es Ordnungen ästhetischer oder inhaltlicher Natur, greifen für ihn nicht. Er beginnt dann, auch immer mit einem gewissen Zwang verbunden, umzuordnen: Dinge, Inhalte anders zusammenzustellen. Und wenn er eine neue Ordnung gefunden hat, die für ihn mehr greift, die für ihn in ordnung ist, macht ihn das glücklich und vielleicht andere auch, weil sie feststellen, dass diese andere Ordnung auch ihnen entspricht. Solange bis es wieder jemand gibt, für den diese Ordnung nicht greift und alles wieder von vorne beginnt.

Buchmaier  / Was kann die bildende Kunst und was kann die Literatur leisten? Willst Du etwas bewegen? Stichwort: Mission.

Gerbl  / Die Frage finde ich lustig. Man würde nie auf die Idee kommen, eine Amsel zu fragen, ob sie eine Mission hat. Man geht selbstverständlich davon aus, dass eine Amsel nur eine Amsel sein kann, dass sie mit ihren Flügeln ‚nur‘ fliegen und nicht auch noch eine Mission haben kann, wie etwa schwimmen lernen zu wollen. Bei mir ist das nicht viel anders. Man lebt mit dem, was man vorfindet oder versucht, sich damit zu arrangieren. Die Amsel findet sich mit Flügeln vor, ich finde mich mit einer extremen Unangepasstheit vor. Und mit dieser Sperrigkeit kann ich nur bestimmte Sachen machen, zum Beispiel viel herumgrübeln und versuchen, zu bestimmten Themen etwas zu formulieren. Gut wirkt sich dabei aus, wenn ich nicht ständig denke, dass ich mit diesen Flügeln aber auch schwimmen will, weil ich das Wasser mehr liebe als die Luft. Also versuche ich mir immer vorzusagen, die Flügel sind für die Luft besser geeignet als für das Wasser, egal was ich liebe.

Buchmaier  / Wie steht es um die Relation zum eigenen Leben? Gibt es autobiografische Züge in Deinen Werken?

Gerbl  / Wenn ein Maler eine traurige Frau malt und dabei fällt ihm seine Frau ein und er anfängt, ihre Gesichtszüge im Bild zu berücksichtigen, dann ist das Anliegen des Malers immer noch, einen generellen Aspekt der Trauer zu erfassen. Das Frauengesicht auf dem Bild wird erst dann zu einem autobiografischen Bild, wenn er darunter schreibt: Meine traurige Frau. Ich meine, dass es immer auf die Absicht ankommt. Will der Maler eine Blume malen, und dabei das Blumenhafte einer bestimmten Blume einfangen, sagen wir einmal einer Narzisse, ist das Bild noch lange nicht autobiografisch, auch wenn der Maler in seiner Autobiografie schon viele Narzissen getroffen hat.

Buchmaier  / Welche Rolle spielt Berlin für Dich als Wohn- und Arbeitsort? Berlin das Mekka der Kreativen?

Gerbl  / Berlin spielt für mich keine große Rolle. Ich ziehe zwar bestimmte Städte anderen Städten vor, aber ich entwickle zu einer Stadt kein Heimatgefühl. Ich hänge an Menschen. Mir fällt es schwer zu sagen, ich muss unbedingt mal wieder nach New York wegen New York. Dagegen fällt es mir leicht zu sagen, ich muss unbedingt nach New York, um dort die und die Person zu sehen. Ist mir die Anwesenheit von bestimmten Menschen gewiss, ist mir der Ort egal. Das mag daran liegen, dass ich nicht viel Außenwelt brauche, ich brauche auch keine Stadt, um inspiriert zu sein. Im Gegenteil, ein permanentes Einströmen von ,Welt‘ verwirrt mich. Wahrscheinlich lebe ich in Berlin auch deshalb in keinem Szenestadtteil. Am liebsten würde ich in einem stillgelegten Kieswerk leben. Ich lebe aber in Berlin, weil sich hier der Menschenschlag aufhält, der mir bis jetzt ein Heimatgefühl geben konnte.
Rico Gerbl.JPG (© Foto: privat)
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