Gabriel Kuri

Esther Schipper

2008:Feb // Wolf von Kries

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02-2008
















Als ich den Vorraum der Galerie Esther Schipper betrat dachte ich erst, dass die Ausstellung noch aufgebaut wird, weil ich hinten im Ausstellungsraum nur eine zwischen zwei zusammen geschobenen Stühlen zu einer provisorischen Tischfläche aufgebaute Platte erkennen konnte, auf der noch Essensreste herum lagen. Tatsächlich war es die sorgsam inszenierte Einleitung zu einer Präsentation von „Space made to measure object, made to measure space“. Ein Ausstellungstitel, der zunächst mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet. Denn wenn das Eine jeweils in Bezug auf das Andere konstruiert wurde, müssten beide, Raum und Objekt schon von Anfang an definiert gewesen sein, was deren Vermessung aneinander überflüssig erscheinen ließe. Das Verhältnis wäre reziprok, das Ergebnis immer gleich und seine Formulierung nur eine Frage der Perspektive. Aber diese Dualität der Perspektive ist es, die den Satz interessant macht: Gängig ist, einen Gegenstand durch einen anderen zu bestimmen, ungewöhnlich aber, wenn mit dem so Gemessenen seinerseits Maß genommen wird am zu Messenden. Das Ergebnis ist eine Spiegelung im Maßnehmen, die sich wie ein Leitmotiv durch die einzelnen Stationen der Ausstellung zieht.

In „An immediate Indexation of possibilities as a consummation of all desire“, dem vertikalen Zentrum der Werkgruppe wird dieses Prinzip gleich mehrfach durchgespielt: Eine etwa anderthalb Meter breite Stoffbahn, bedruckt mit einer Farb-Skala, die das gesamte dem menschlichen Auge sichtbare Lichtspektrum (aufsteigend von orange-rot 700 nm bis violett-rot 400 nm) abbildet, läuft vom Boden hin zur Wand, an dieser bis zur Decke hoch, wo sie schließlich auf der gleichen Position endet, auf der sie unten am Boden ihren Anfang nahm. Gehalten wird die Stoffbahn, an deren Rand Namen von internationalen Farbherstellern gedruckt sind, von einem weiß lackierten Bambusstab, dessen Höhe wie für den Raum geschaffen zu sein scheint und letzteren noch höher erscheinen lässt, als er ohnehin schon ist. Liegt in dieser sich gegenseitig definierenden Raum-Objekt Konstruktion bereits die Aussage des Ausstellungstitels, wird dessen wahre Dualität doch erst eingelöst durch den Bezug zum Maßnehmenden. Denn der Betrachter eignet sich die Dinge nicht nur einseitig durch ihre Vermessung an, sondern wird seinerseits durch diese Zueignung definiert. Mit dem hier präsentierten Index aller wahrnehmbaren Farben wird nicht nur das Licht vermessen, sondern ebenso die (beschränkten) Möglichkeiten des menschlichen Auges und also letztlich der Betrachter selbst. Diese gegenseitige Spiegelung ist auch im Bambusstab selbst angelegt, der in weiß, der Farbe des Lichts, das aufgefächerte Lichtspektrum reflektiert und dessen Wachstum zudem auf Licht beruht. Und wenn man sich ihn noch näher betrachtet, bemerkt man schließlich, dass er an beiden Enden schlanker wird und also seinerseits gespiegelt, d.h. aus zwei Bambusstäben zusammengesetzt ist und damit das Serielle seiner natürlichen Segmente in einer größeren Einheit wiederholt. Diese Referenz zum Seriellen wird schließlich in der Liste der Farbhersteller aufgegriffen, deren Aufzählung das Prinzip gegenseitiger Aneignung weiter in die ökonomischen Parameter der Kommerzialisierbarkeit und (unendlicher) Reproduzierbarkeit übersetzt. Wenn diese Ordnung der Möglichkeiten ihre finale Form findet und alles seinen Platz, scheint der etwas kryptische Titel der Installation nahe zu legen, so liegt hierin auch die Erfüllung allen Begehrens. Eine endgültige Neutralisierung von Angebot und Nachfrage; wie ein Objekt, das zur Messung eines Raumes entworfen wurde, der zur Messung des Objekts entworfen wurde.

Als Spiegelverhältnis, freilich in der Horizontale, stellt sich auch das Ensemble mit der verpackten Platte auf den beiden gegenüber stehenden Klappstühlen dar, welcher mir Eingangs Stellfläche einer schnellen Mahlzeit gewesen zu sein schien, deren Reste (Pommes weiß, Backlava, sorgsam aufgestapeltes Plastikgeschirr und zwei angebrochene Flaschen Eis-Tee) sich indes bei näherer Betrachtung als kunstvoll angefertigte Replika herausstellen. Dem Label auf dem Karton ist zu entnehmen, dass es sich bei dem verpackten Inhalt um einen noch nicht ausgepackten ikea-Tisch handelt, der zwar hier schon seine Funktion erfüllt, aber auf Kosten der Sitzgelegenheit. Der Titel „A calculated journey into a calculated experience“ verweist zwar auf den erkennbar mobilen Charakter sämtlicher Gegenstände, die hier zusammengefunden haben. Tatsächlich erscheint dieses Arrangement jedoch eher als ein Monument des Zeitmangels als Lifestyle. Denn im Geiste überschlagen sich die Ereignisse: Für den Aufbau des Versatz-Tischs fehlte offenkundig die Zeit, so dass das „Take-Away“ Dinner auf der notdürftig zusammen geschobenen Konstruktion platziert wird, welches aber in Ermangelung der nun fehlenden Stühle im Stehen, so zusagen „to-go“ konsumiert zu denken ist. Während der Tisch als Grundlage des Mahls noch gar nicht fertig ist, hat ihn der Konsum der Fast-Food bereits rechts überholt, was ersteren trotz seiner Neuheit zu einem traurigen Display der unappetitlichen Reste degradiert, (die in der tatsächlichen Produktion der Arbeit wohl mehr Zeit in Anspruch genommen haben dürfte als die Herstellung von Tisch und Stühlen zusammen).

Diese Verschränkung der Zeitebenen wird schließlich ins Absurde gesteigert, wenn man sich der dritten Arbeit nähert: Der künstliche Abguss eines diagonal aufsteigenden Felsens in einer Ecke des Raumes, in dem ein altes Paar in einander gesteckter Schuhe (made in China), zwei ineinander gesteckte Pappschachteln und eine Rolle Klebeband stecken, die wie in den Stein eingewachsen scheinen. Banale verbrauchte Gegenstände trotzen der im Übrigen eingetretenen Versteinerung und werden je nach Sichtweise entweder Millionen von Jahren in die Vergangenheit oder die Zukunft katapultiert, widersetzen sich jedenfalls hartnäckig den zeitbedingten Zerfallsprozessen. Der Titel „Quarry cast between a given corner and three random items“ verschärft diese Gegensätzlichkeit noch, als hier Natur zur Produktionsstätte (Steinbruch) reduziert wird und sich damit in ein dialektisches Verhältnis zu den in ihr steckenden bereits verbrauchten Gegenständen setzt. Bemerkenswert ist bei dem Titel auch, dass von drei Gegenständen die Rede ist, obwohl neben dem Klebeband sowohl zwei Schachteln als auch zwei Schuhe im Felsen stecken, was ein weiteres Element sichtbar werden lässt, das sich durch alle Objekte der Ausstellung zieht: Das Eine ist immer ein Zusammengesetztes. Das weiße Licht mit dem in ihr liegende Spektrum, der tatsächlich aus zwei Ästen bestehende Bambusstab und seine Segmente, der zusammengesetzte Tisch (und der noch zusammenzusetzende), die ineinander gesteckten Gegenstände im Felsen, der seinerseits durch seine Definition als Steinbruch zu einer Einheit zukünftiger Fragmente zu denken ist.  Zusammengesetzt, gespiegelt und merkwürdig versetzt wirken auch die Module der vierten Arbeit, die sich wie eine Zusammenfassung der drei vorangegangenen Stationen lesen lässt: „Upside Down Horizontal Line“ besteht aus vier Objekten, die aus Papierkörben aus Netzgittern zusammengesetzt sind. Jedes Objekt besteht aus zwei (bzw. vier) aufeinander getürmten Körben, die, sich jeweils spiegelnd, einen Käfig bilden, in dem sich elegant Plastikfolien, ein neonfarbenes Plastikband oder ein Zweig je nach Ansicht herauf- oder hinunterranken. Einige der Körbe stecken an ihrem unteren Ende in schmutzigen Betonklumpen, da sie zunächst im Freien wie öffentlichen Abfalleimer in die Erde eingelassen und mit einem Betonsockel befestigt wurden, um später wieder ausgebuddelt und mit dem so gewonnenen Betonsockel zurück in den Ausstellungskontext versetzt zu werden. Dort werden sie in mathematisch anmutenden Variationen durchgespielt und nehmen dabei die Elemente der drei vorangegangenen Arbeiten formal (vertikal, horizontal und im Gitter diagonal) wie inhaltlich auf: Wurde dort der Müll durch seine Reproduktion als Artefakt oder verwurzelt in künstlichen Felsen seiner Zeitlichkeit symbolisch enthoben, wird hier sein funktionales Gegenstück, der Müllcontainer räumlich entwurzelt und gleichsam mit Beton verwachsen Grundlage sich spiegelnder Auftürmungen, die ihrerseits die Logik des Seriellen des Bambusstabs unverblümt zitieren. Dieser taucht als Referenzpunkt auch innerhalb einem der Zylinder wieder auf als gerader Zweig, der sich am unteren wie oberen Ende oben zu Eichel ähnlichen Früchten verzweigt. Ein Wachstum, was sich ohne Wurzel wie zwei diametral vor einander fliehende Zeitstrahlen in beide Richtungen entfaltet und gleich einer Zellteilung auf imperfekte Weise spiegelt. Dieses Prinzip der imperfekten Spiegelung in serieller Fortschreibung, ob vertikal innerhalb des eigenen Systems oder horizontal, in Wechselwirkung mit anderen, scheint das bestimmende alles durchdringende Element dieser Ausstellung zu sein. Zugleich beschreibt es den Mechanismus, der letztlich aller organischen Reproduktion und Evolution zugrunde liegt und also den Grund, warum die Ordnung des Möglichen wohl immer unmöglich bleibt.

Gabriel Kuri
„Space made to measure object, made to measure space“
Galerie Esther Schipper
Linienstraße 85
17.11.2007–26.01.2008   
Gabriel Kuri, Ausstellungsansicht (© Galerie Esther Schipper, Berlin)
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