Kathrin Sonntag in der Galerie Kamm

/ Schuld sind Zeuxis und Parrhasios

2011:Aug // Volkmar Hilbig

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07-2011
















Ich weiß nicht, wieviele Menschen es gibt, die, ähnlich meiner Person, eine Pinnwand mehr oder weniger nur als Instrument der Selbstbeobachtung benutzen. Meine Pinnwand hängt voller teils uralter Termine, Notizen, Stichworte, Einladungen, Fotos, Adressen und vergilbter Eintrittskarten. Es ist für mich relativ bedeutungslos, ob all diese individuellen Objekte irgendwie eine Erledigung erfahren haben; wesentlich ist mir die Dokumentation meiner subjektiven Auswahl der Dinge.

Steckbretter, wie sie z.B. Cornelius Gijsbrechts und Edward Collier malten, waren die Pinnwände des 17. Jahrhunderts. Diese häufig als Quodlibet bezeichneten Bilder zeigen, „was beliebt“, und ihre Rezeption als Trompe-l’oeil-Malerei reduziert ihren Gehalt oft auf eine illusionistische Täuschung des Auges. Meist aber dokumentieren sie sehr authentisch einen wesentlichen Teil des gedanklichen Kosmos des Malers, zeigen, was für den Künstler von Bedeutung, was ihm beliebt. Die ausgewählten Objekte sind zwar stets im jeweiligen Zeitgeist eingebettet, repräsentieren aber nicht die allgemeingültige Wertigkeitsrangliste. Es ist dem Künstler des 17. Jahrhunderts schon klar, dass seine eigenen Vorlieben nicht kongruent mit den Sorgen und Nöten der Bauern, Handwerker, Soldaten oder Könige sind; mit der Trompe-l’oeil-Technik kann er andeuten, dass er sich seiner Selbsttäuschung über die Bedeutsamkeit dieser Vorlieben wohl bewusst ist, ohne diese deshalb zu negieren. Womit wir, über die Jahrhunderte hinweg gesprungen, sowohl bei meiner Pinnwand als auch beim ganz allgemeinen Kunstselbstverständnis angekommen sind.

In der Ausstellung „Double Take“ bietet Kathrin Sonntag (Jahrgang 1981) ein listiges Repertoire an Täuschungen, Dopp­lungen und Illusionen mit kunsthistorischem Hintergrund auf, zeigt Gegenstände in wunderlichen Kompositionen und rätselhaften Zusammenhängen. Sie hat sich dabei, im Gegensatz zu manch trashverliebtem Künstler, einen Sinn für Schönheit bewahrt, ohne billige Idyllen zu liefern. Sie zitiert die Trompe-l’oeil-Malerei, benutzt Motive des Stilllebens und verbindet dies, etwas überraschend, mit den technischen Möglichkeiten des 20. und nicht des 21. Jahrhunderts. Dass sie dabei Täuschung mit Humor zu kombinieren versteht, bewies sie bereits 2009, als sie sich in einem fiktiven Interview hinter einem Anagramm ihres Namens verbarg.

In der Diaprojektion „Blame it on Morandi“, 2011, zeigt Kathrin Sonntag in einzelnen Dias einen 180°-Schwenk über den Arbeitstisch in ihrem Atelier. Die assoziationsgesättigten Gegenstände auf und um den Tisch werden mit suggestiver Lichtführung (sowohl was die Situation im gezeigten Raum, als auch die in der Diapräsentation betrifft) dargeboten, was wiederum durch die von der Künstlerin selbst komponierte Musik, die an den „Rosaroten Panther“ mit einem zusätzlichen Schuss Wiener Schmäh erinnert, konterkariert wird. Nach diesem Schwenk blickt man wieder auf den Ausgangspunkt; es wird also eine volle 360°-Drehung vorgetäuscht. Zu diesem Trick könnte man sagen: so what – alles schon gesehen; hier wird es aber so stringent, erfrischend und formal sauber vorgeführt, dass man sich kaum davon losreißen kann. Was bevölkert nun Kathrin Sonntags Atelier, was sind ihre Vorlieben, welche Zitate der Kunstgeschichte will sie uns zeigen? Zunächst Flaschen und Gefäße wie bei Namensgeber Morandi, Früchte, Würfel, Zeichendreieck (auf der Spitze stehend), Wollknäuel, Bücher, Spielkarten, Werkzeuge, Zimmerpflanzen, Pfeife (die darf selbstverständlich nicht fehlen), aber auch ganz explizit Cornelis Gijsbrechts’ „Rückseite eines gerahmten Gemäldes“. Dazu platonische Körper wie den Oktaeder und den Ikosaeder, wie sie der nackte Dali schon betrachtet hat, während Dürers Rhomboederstumpf mit seinem Bezug zur Melancholie fehlt. Fasziniert folgt man den Bildern und die illusionistischen Tricks und kleinen Absurditäten der Aufnahmen erfüllen den Zweck ihrer Anwendung: sie schärfen die Konzentration unserer Betrachtung.

Im großen Ausstellungsraum sollen wir uns direkt im Atelier der Künstlerin angekommen fühlen: reale Gegenstände sind mit Fototapeten kombiniert. Ein schöner Messingschirmständer steht in echt auf einem hölzerner Podest während dahinter auf dem Foto dieses Holzpodest als Schirmständer mit zwei Regenschirmen bestückt ist; zu finden sind weiße Holzbänke mit Topfpflanzen im Messing-Übertopf in natura und als Tapete, ein reales Steckbrett mit echten Objekten und Abbildungen möglicher Steckbrettobjekte. Mit dem Galeriefenster und einem Foto davon wird ein ähnliches Spiel getrieben und immer gibt es bei den Dopplungen kleine Verschiebungen, täuschende Ähnlichkeiten und illusionistische Eingriffe. Kathrin Sonntag reflektiert unangestrengt die Trompe-l’oeil-Kunst, zeigt uns mit ihren Wiederholungen charmant-eindringlich das ihr Wesentliche, und das ist ein klares Plädoyer für die Subjektivität der individuellen Weltwahrnehmung, die Künstler wie Nichtkünstler kultivieren sollten. Jeder mache sich sein eigenes Steckbrett, seine individuelle Pinnwand.

Kathrin Sonntag, „Double Take“, Galerie Kamm, Rosa-Luxemburg-Straße 45, 10178 Berlin 30.4.–25.6. 2011

Kathrin Sonntag „Blame it to Morandi“, 2011, 81-teilige Diashow (© Galerie Kamm, Berlin)
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