Nina Canell bei Konrad Fischer und Wien Lukatsch

/ Kabinett der Krümel

2011:Aug // Kolja Reichert

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07-2011
















Wie feine Härchen auf der Haut spreizen sich Eisenspäne von einem Magnetklumpen, der eingereiht in eine Mini-Karawane aus Nägeln und Kabelstückchen auf dem Sockel liegt. Nina Canell schafft mit ihren Assemblagen und kinetischen Skulpturen ein Labor der Zartheiten und Grenzversuche. „Diagram for a Conductor“ heißt die kleine Anordnung bei Konrad Fischer. „Skulptur als abgeschlossenes Objekt behagt mir nicht“, beschreibt Canell ihren Antrieb. „Ich suche unabgeschlossene Prozesse, die sich über die Zeit entfalten, wie Musik.“

2007 war Galeristin Barbara Wien auf der Basler Liste von einer Sammlung flimmernder Bildschirme auf dem Boden gebannt und nahm die damals 28-jährige Canell gleich ins Programm auf. Parallel griffen Dorothee und Konrad Fischer zu. Seitdem entwickelt sich Canells Arbeit im Spannungsfeld zwischen beiden Galerien, mit enormem Effekt: Canell war in einer Gruppenausstellung des MoMA vertreten, hatte eine Einzelschau im Wiener MUMOK und stellt gerade im Kasseler Fridericianum aus. Zum Gallery Weekend eröffnete ein Berliner Doppelprojekt: „Heart of the Matter“ bei Wien Lukatsch und „Matter of the Heart“ bei Konrad Fischer. Die Schallwellen eines Frequenzgenerators lassen dort die Blätter einer Zimmerpflanze im Wind wehen, während bei Wien Lukatsch unter dem Titel „Another Ode to Outer Ends“ Wasser in einer Schale durch Schall zum Blubbern gebracht wird, und sich als Dampf mit umliegendem Zementstaub zu Hügellandschaften verbindet. Im Nebenraum schellt eine Klingel unhörbar im Vakuum einer Glasglocke, in die im Lauf des Tages Luft eindringt.

Canells Kunst beschwört den Zauber naturwissenschaftlicher Pionierzeiten, als die Physik sich erst von der Mystik löste und die Welt sich im Labor neu denken ließ. Fünf große Glaskolben hängen bei Fischer, mit Wasserproben verschiedener Flüsse. Ein dysfunktionaler Kabelsalat wuchert unter die Decke, seine Restenergie verwandelt etwas Kryptongas in einen Leuchtstrahl, der von einem Magneten abgelenkt wird. Die Stärke von Canells Arbeiten liegt in ihrer Körperlichkeit. Ihre Installationen behaupten ihre eigene Realität, fordern den Betrachter und sein Gespür für Größe, für Nähe und Distanz heraus. Sie handeln von Zuständen zwischen Wachen und Träumen, Vorstellung und Stofflichkeit. Bei Wien Lukatsch zeigt Canell eine Scheibe des leichtesten Materials der Welt, das zu 93 Prozent aus Wasser und zu sieben aus Kieselsäure besteht: Materie am Rand der Auflösung.

„Ich arbeite oft mit Dingen, die mir begegnen“, sagt Canell. Während einer Residency in Istanbul inspirierten sie Brotreste auf einer Baustelle zur Installation „A bit, a bit of Stone ...“, die Zementabgüsse von Brötchen mit echten kombiniert. Ein Stück Eat Art findet sich auch bei Fischer: ein benutzter Kaugummi auf einem Ziegelstein neben abgelatschten Einlegesohlen unter Glas. Spätestens bei dieser Beliebigkeit kommt man ins Grübeln.

Prekäre Installationen mit ephemeren Materialien hatten in den letzten Jahren Konjunktur. Leicht kippt dabei die Radikalität der Arte Povera in dekorative Pose. Aus einem Wandbord ragen bei Canell die Zementbröckchen, und noch die Brotkrümel sind kunstvoll über den Galerieboden gestreut. Die Kleinheit, die Feinheit, die Reinheit, der Staub: Mach es zu Deinem Projekt. Canell könnte wohl noch hunderte solcher Objekte basteln und das Kabinett der schönen Dinge unendlich erweitern. Und genau da liegt ein Problem.

Allzu selbstvergessen wachsen ihre Skulpturen vor sich hin. Sie haben offene Enden, aber dort sind sie eben auch zu Ende, beim Betrachter und seiner Bezauberung. Sie handeln von Leitungen und Energieflüssen, aber zeigen kein tieferes Interesse an den sozialen und ökonomischen Kreisläufen, in denen sie stehen. So entpuppen sich ihre Effekte als Hascherei, und das so betont provisorisch-ephemere der Gestaltung gerät zur Deko. Das Wasser in der Verdunstungsanlage muss täglich aufgefüllt werden, die Luft, die in die Glocke strömt, ausgepumpt: Ein Pflegeaufwand, der die Objekte als Behauptungen entpuppt, als geschmackvoll illustrierte Ideen unter der Glocke des Als-ob.

Diese Kunst passt gut zur romantisierten Dysfunktionalität von Berliner Caféeinrichtungen, mit ihren wackligen Stühlen, zu niedrigen Nierentischchen und Nippes vom Flohmarkt. Das ist natürlich gemein zu sagen, schon weil Nina Canell erst seit kurzem hier wohnt. Berlin habe sie nicht inspiriert, sagt sie. Aber möglicherweise ist Berlin ja von ähnlichen Quellen inspiriert wie Nina Canell: Vom Vorzug des Anmutigen gegenüber dem Anstrengenden, des Privaten gegenüber dem Politischen, von einem Weltinteresse, das beim Philosophieren am Abendessenstisch endet, beim Lieblingsschneider oder beim Spaziergang um die Stipendiatenwohnung. Es steckt eine eskapistische Selbstgenügsamkeit in diesen Arbeiten, die so schön sind, dass man nur zum Kauf raten kann. Aber es ist auch noch etwas Größeres darin angelegt, und es wäre zu hoffen, dass der schnelle Erfolg es nicht daran hindert, heraus zu kommen.

Dieser Text erschien gekürzt am 27.5. im Tagesspiegel
Nina Canell „Matter of the Heart“, Galerie Konrad Fischer, Lindenstraße 35, 29.4.–4.6.; „Heart of the Matter“, Galerie Wien Lukatsch, Linienstraße 158, 29.4.–8.7.2011

Nina Canell „Nephrolepis (50Hz)“, 2010–2011 (© Galerie Konrad Fischer, Berlin)
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