Lens-based sculpture II

Akademie der Künste

2014:Mar // Thomas Wulffen

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03-2014
















Kunst durch die Linse

Der Katalog zu Ausstellung wiegt ungefähr zwei Kilo und dieses Gewicht sagt etwas aus zu der Ausstellung, die den Katalog begleitet und anders rum. Sie trägt den seltsamen Titel „lensbased sculpture“, mit dem Untertitel „Die Veränderung der Skulptur durch die Fotografie“. Der kritische Beobachter ist etwas irritiert und gleichzeitig denkt er an die „Beobachtung zweiter Ordnung“ als Beobachtung der Beobachtung. Das war in den achtziger Jahren des vorherigen Säkulums ein viel diskutiertes Konzept. Und ihr Vertreter hieß Niklas Luhmann nebst seinen Schülern. Man wird in dem umfangreichen Katalog zu Ausstellung auch auf Luhmann stoßen. Die dreijährige Vorbereitung lässt sich in der Ausstellung selbst erfahren. Oder man frage sich selbst, unter welcher Klammer man Michael Asher mit Valie Export oder Duane Hanson zusammenbringen kann. Dessen „Mann mit Kamera“, 1991 ist zum einen eine Skulptur zum Thema. Zum anderen mag mancher Besucher vor dieser Situation seine eigene Kamera ziehen.
Die Schau trägt so ein gewagtes Konzept, das in der Ausstellung selbst umfangreich mit Exponaten beleuchtet wird. Manches wird der Besucher übersehen – wie z. B. die Projektion von Giovanni Anselmo mit dem Titel „(In)visibile“ aus dem Jahre 1971. Das Werk findet sich als Abbildung in jedem Buch zur zeitgenössischen Kunst. Dabei handelt es sich um ein einzelnes Dia in einem Projektor. Der Schriftzug „visibile“ wird nur sichtbar, wenn man sich in die Lichtstrahlen des Projektor stellt. Ein weiteres klassisches Werk findet sich ganz in der Nähe. Wer sich mit der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzt, kennt das Konzept und die Bedeutung in Bruce Naumans „A Cast of the Space Under My Chair“, erschaffen 1965– 1968. Bruce Nauman ist noch mit zwei anderen Werken vertreten und man fragt sich insgeheim, warum eine Retrospektive dieses Künstlers noch nicht von den Staatlichen Museen organisiert wurde. Es ist kein Schaden, wenn man diese Ausstellung mehrmals besucht und betrachtet, denn sie lässt Raum und ermöglicht damit, sich den einzelnen Werken zu nähern. Dabei vergisst sie nicht die Vorläufer einer derartigen Sicht, wie sie sich auch in den paradigmatischen Werken von Umberto Boccioni, Marcel Broodt haers oder Johannes Brus zeigt. Marcel Duchamp ist ebenso vertreten mit der geschickt installierten Arbeit „Porte Gradiva“ von 1937 zwischen den beiden Ausstellungshallen. Sie ist als Reproduktion vor Ort zu sehen, denn das Original ist zerstört. Und wer vergessen hat, wie ein Flaschentrockner aussieht, dem sei geraten, sich auf die Suche nach Duchamps Readymades zu machen und auch die Einblicke in das Atelier des „Meisters“ zu genießen.
Auch die jüngere Generation wird nicht übersehen und ist beispielhaft in den „Nachtstücken“, 1979–82 von Bogomir Ecker zu sehen. Sabine Groß zeigt eine Bodenplastik, die ihren richtigen „Schliff“ erst durch das Befahren der Skulptur vor dem Aushärten erlangt hat. Raimund Kummer präsentiert seine „Skulpturen in der Straße“ von 1978/79, die den Autor dieses Textes zu dem Begriff „Realkunst“ inspirierte. Karin Sander zeigt „Familie K. 1:5“, aus dem Jahr 2013. Wer die Auguststraße in Berlin-Mitte frequentiert, kennt diese kleinen dreidimensionalen ‚Skulpturen‘ schon. Ich kämpfe noch damit, ob ich mich wirklich dem Ganzkörper-Scan aussetzen will oder nicht ... Es gibt in dieser Ausstellung noch andere Überraschungen. Zum einen die Verknüpfung von Arbeiten aus dem vorigen Jahrhundert und davor. So finden sich hier Fotoarbeiten von Étienne-Jules Marey. Die größte Überraschung ist die Tatsache, dass es der Akademie gelungen ist, eine populäre Ausstellung auf die Beinen zu stellen, ohne den Anspruch auf Gegenwärtigkeit und eine gelungene Inszenierung zu vernachlässigen. Und der Autor dieser Zeilen wird auch noch ein drittes Mal in der Akademie der Künste am Hanseatenweg vorbeischauen, wenn es die Zeit erlaubt. Es lohnt sich.
Reale und virtuelle Protesträume
„lens-based sculpture“, (© Foto: Martin Salzer, Courtesy Akademie der Künste)
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