Andy Warhols Erbe

2014:Mar // Elke Stefanie Inders

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03-2014
















Andy Warhols Erbe
/Schnittstellen zwischen Kunst, Design und Mode oder warum man nie wieder einen Concept-Store betreten sollte, obwohl sie so schön sind.

„Mode ist das permanente Eingeständnis der Kunst, dass sie nicht ist, was sie zu sein vorgibt und was sie ihrer Idee nach sein muss. Als indiskreter Verräter  ist sie ebenso verhasst wie im Betrieb mächtig; ihr Doppelcharakter krasses Symptom ihrer Antinomik. Von der Kunst lässt sie nicht säuberlich sich abheben, wie es der bürgerlichen Kunstreligion genehm wäre.“
(Theodor Adorno, Ästhetische Theorie, 1970)

Die zunehmende Verflechtung zwischen Kunst und Mode, die sich in einer Vielzahl von Kollaborationen zwischen Künstlern und Designern niederschlägt, ist kein Novum. Die aktuelle Kritik an diesem scheinbar ungleichen Paar ist meist unscharf formuliert und resultiert gerade eben aus dem von Adorno angedeuteten spannungsreichen und ambivalenten Doppelcharakter von Mode und Kunst. Ist es die zunehmende Eventisierung von Kunst, die gleichzeitig die Kommerzialisierung von Kultur vorantreibt? Oder dass die Mode einen zunehmend höheren Stellenwert einnimmt? Der inflationär zunehmende Wunsch bei jungen Mädchen ein Supermodel zu werden? Die Boutiquisierung von Kunst? Die mangelnde Grenzziehung zwischen Design, Kunst und Mode? Und welche Rolle spielen eigentlich Museumsshops dabei?
Die Antinomie ist historisch begründet und erweist sich bei näherer Betrachtung als eine Art Hilfskonstrukt, denn das wechselhafte Zusammenspiel, geprägt von gegenseitiger Anziehung und Abstoßung, folgt genau genommen einem hierarchisch exklusiven Prinzip, das, wie so oft, in der Antike begründet wurde und seinen vollständigen Bruch im 17. Jahrhundert durch die Académie royale de peinture et de sculpture erfuhr: Das Handwerk und hier explizit das Kunsthandwerk wurde im Gegensatz zur bildenden Kunst als téchnai banausikaí herabgewürdigt. Dieser Diskurs folgt der antiken Dichotomisierung zwischen Körper und Geist, in der das Handwerk lediglich eine körperliche Betätigung war und die bildenden Künste der geistigen Sphäre zugeordnet worden sind. Adornos hellsichtige Kritik verweist demnach auf diesen Missstand und der daraus resultierenden komplexen Liaison zwischen Mode und Kunst.
Die Mode ist in ihrem Ursprung ein Handwerk, das bis Mitte des 19. Jahrhunderts von Schneidern, Näherinnen und Modistinnen ausgeübt wurde und zunächst gar nicht als Mode bezeichnet wurde. Das, was wir heute als Mode, in erster Linie als Damenmode verstehen, ist genuin von seiner Begrifflichkeit her eine Bezeichnung für die Normierung von gesellschaftlichen Beziehungen, Verhaltens- und Konsumweisen. Erst durch Charles Frederick Worth setzte sich der Begriff Mode durch, die in der Haute Couture, der gehobenen Schneiderei geadelt wurde. Dagegen setzt sich die Prêt-à-Porter, die industriell und massentauglich gefertigte Stangenkonfektionsware, ab. Demnach fällt es der Mode weniger schwer, die industriellen Produktionsbedingungen sichtbar zu machen, so fragwürdig diese oft sein mögen, als dies in der bildenden Kunst der Fall ist. Mode als Prêt-à-Porter bedient sowohl demokratische als auch distinktive Bedürfnisse. Als Haute Couture ist sie reines Distinktionsmerkmal der Besitzenden. Und bekanntermaßen sind die industriellen Fertigungsmöglichkeiten der glorreiche Schlüssel dafür, dass alle ein bisschen Glamour abbekommen dürfen, oder aber ein Sargnagel für diejenigen, die sich Mode als individuelles Alleinstellungsmerkmal, als ausschließliches Handwerk, leisten können. Die Mode ist dadurch eine finanzkräftige globale Industrie geworden, die ausschließlich der kapitalistischen Logik folgt. Und demzufolge kann man sich nur Pamela Golbins Aussage anschließen, „… dass die Mode die Kunst verschlingt, sie durchkaut und sie wieder ausspuckt.“ Ein Modedesigner und der Beruf des Designers an sich stehen in einem viel engeren und unproblematischeren Verhältnis zur industriellen Produktion, als dies ein Künstler jemals auch nur annähernd von sich behaupten würde. Selbst dann nicht, wenn dieser eine künstlerische Technik, wie das Malen, bis zur Perfektion an der Akademie erlernt hat. Was wir beispielsweise an einem Rembrandt-Gemälde bewundern und oft nicht wahr haben wollen, ist die perfekte künstlerische Technik, die für sich gesehen genial sein kann. Unerkannt bleibt dabei oft, ob es ein Auftragswerk war, ob dieses wirklich vom Meister selber gemalt wurde oder von einem Werkstattmitarbeiter. Dieser gewisse Chauvinismus durchzieht bis heute die gesamte Kunstwelt. Honoriert wird in erster Linie die vermeintlich geniale Idee, die dem Künstler zugeschrieben wird, was hier aber nicht heißen soll, dass einzelne Künstler keine genialen Ideen hätten und weiterhin haben werden. Die Kunst versteht sich als konsumkritischer Antipode. Als Korrektiv zur Mode verschleiert sie damit oft genug ihren eigenen Warencharakter und deren Produktionsbedingungen. Und genau hier kommt ihr die Mode auf die Schliche. Sie agiert schneller und nutzt gleichermaßen ihren eigenen Bedürfniswert für den Menschen aus: Ohne Kleidung kann ein Mensch nicht überleben, ohne ein Kunstwerk schon, und wieso sollte man dann nicht das menschliche Bedürfnis nach der eigenen Zurschaustellung und Exklusivität bedienen? Wieso sollte man ein Kunstwerk nur im stillen Kämmerlein oder im Museum besichtigen können, wenn man ein Kunstwerk sogar am eigenen Leib tragen und es dann jeder womöglich auch sehen und begehren kann?
Andy Warhol war einer der ersten Künstler, der diese Verflechtung rigoros aufdeckte, aus Kommerz Kunst machte und dabei ebenso wenig die Zusammenarbeit mit der Modewelt ablehnte. Zuvor liebäugelten nur wenige Künstler mit der Mode und dennoch gab es schon immer Modedesigner, die zuvor in der Kunstwelt heimisch waren: Paul Poiret arbeitete eng mit den französischen Art-Nouveau-Künstlern zusammen, Christian Dior war früher Kunsthändler, der Surrealist Salvador Dalí entwarf für Elsa Schiaparelli Stoffe und Meret Oppenheim machte Modeentwürfe. Nicht zuletzt trug das Bauhaus mit seiner Ästhetik zur Verschmelzung von Mode, Design und Kunst maßgeblich bei, indem es die Demokratisierung von schönen Alltagsgegenständen vorantrieb und alle Künste, die angewandten und die freien, gleichberechtigt und ineinander übergreifend lehrte.
In den 1960er-Jahren ging mit den weltweiten Jugendrevolten auch eine explosive Revolutionierung der Mode einher. Emanuel Ungaro, der bei Balenciaga und Courrèges gelernt hatte, wollte gar die Couture töten. Diese Revolution kehrte den uralten Lauf der Mode endgültig um. Junge Menschen wollten ihre eigene Kultur und einen eigenen Stil entwickeln. Der Street-Style entstand, Kleidung wurde zunehmend sexy und neue Materialien erlaubten die Entwicklung von bizarr-verrückten Modekollektionen. Mary Quant, die sich ursprünglich am Goldsmiths College of Art zur Kunstlehrerin ausbildete, verstand instinktiv die aufgestaute Sehnsucht der Jugend nach einem eigenen Look und entwarf den skandalösen Minirock. Was dann folgte, war ein beispielloser Boom von Modeboutiquen, die sich an der King’s Road in Chelsea ansiedelten und als Vorläufer der heutigen Concept-Stores galten. Hier konnte man zu verhältnismäßig günstigen Preisen gesamte Lebensstile einkaufen: Kleidung, komplette Kopf- bis Fuß-Outfits, Kosmetik, Homestyle und auch Kunst. In der Bazaar Boutique waren Quandts tagsüber geschneiderte Kleider abends bereits ausverkauft und sie konnte schon 1963 in Knightsbridge eine zweite äußerst erfolgreiche Boutique eröffnen.
Die Baby-Boomer-Generation nahm all dies begierig auf. Junge Designer, die frisch von der Modeschule kamen, wie z. B. Ossie Clark oder Alice Pollock führten die berühmte Boutique Quorum und Barbara Hulanickis Boutique Biba, die mehr ein Happening als ein Laden war, rangierte an erster Stelle. In New York wurde, inspiriert durch Andy Warhol, die eigene Pop-Version der Mod-Mode geschaffen. Damit einhergehend wurde die Mode kurzlebiger, verrückter und man entdeckte die Begeisterung für Wegwerfware. Bevor man viel Geld in die Massenproduktion steckte, wurden zahlreiche einmalige Kollektionen entworfen. Allen voran in Paul Youngs Boutique Paraphernalia auf der Madison Avenue, die eine Art Modeversuchslabor war und von Andy Warhol selbstverständlich begeistert aufgenommen wurde. In seinem Design-Team befand sich auch die amerikanische Designerin Betsey Johnson, die einige Outfits für die Warhol-Clique entwarf und nach euphorischer Zustimmung in den engeren Kreis der Warhol-Factory aufgenommen wurde.
Damit wurde die Liaison zwischen Kunst und Mode weiter bestärkt. Andy Warhol ließ Alltagsgegenstände, wie die Campbell’s Dosensuppe auf Plakate sowie Kleider drucken und der Grafikdesigner Harry Gordon entwarf die Poster-Dresses. Yves Saint Laurent, der Mann, der die Frauenmode wie kein anderer emanzipierte, bannte gar einen Klassiker der Moderne, Piet Mondrian, auf ein Kleid. Die Grenzen zwischen Kunst, Mode und Design waren überschritten und alles erschien möglich. In der Kunst der 1960er-Jahre überwog ebenfalls das Experiment. Das Anti-Museale und Schockierende sollte sich dem Lebensalltag der hohen Kunst annähern. Damit wurde die Bühne für die Pop-Art und ihre Vertreter (Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg etc.) frei gemacht. Die Aura eines Kunstwerkes wurde im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit zerstört. Ausdruck dessen waren neue künstlerische Repräsentationsformen und Techniken wie Happening, Performance, serielle Reproduktion, Fotorealismus und Rastertechnik. Dieser neue Realismus sollte auf eine vielversprechende Zukunft hinweisen und endete im Realismusstreit, dem weitere Kunstformen wie die Minimal-Art, die Concept-Art oder die Land-Art folgten, die weniger stark auf die Mode rückwirkten. Die Auflösung der Grenzen zwischen Mode und Kunst war zunächst weniger folgenreich als man dachte und daher blieben beide Bereiche, trotz gelegentlicher Kooperationen, voneinander getrennt. Erst Ende der 80er Jahre mit dem Aufkommen des postmodernen Cross-over kreuzten sich die Wege von Kunst und Mode erneut. Dieses Mal waren es Fotografen wie Juergen Teller, Wolfgang Tillmans oder Corinne Day, die Mode und Kunst wieder einander näher brachten. ­Gleichzeitig explodierte die Magazinkultur (i-D, Ray Gun, The Face). Das Kommunikationsdesign und die aufkommenden digitalen Techniken hatten eine besondere Scharnierfunktion in dieser Phase. Die geschlossene Gesellschaft der High-Fashion öffnete sich der Straße, konnte aber dabei ihren Oberflächenglanz bewahren. Das digitale Mediendesign war hier ein zweckmäßiger Diener, dessen Potential die Kunst ebenfalls zunehmend für sich entdeckte. Die Gruppe der Young British Artists traf jedenfalls deshalb vorrangig den Nerv der Zeit, weil sie mit zeitgemäßen Medien arbeitete, in schnelleren Abfolgen Ausstellungen organisierte und somit die Kunst allen Gesellschaftsschichten zugängig machen konnte. Gleichzeitig stieg eine Riege von Modedesignern wie Rei Kawakubo, Martin Margiela, Hussein Chalayan und Alexander McQueen empor, die die Mode, Stoffe und Schnitte komplett dekonstruierten. Das Innen wurde nach Außen verkehrt und herkömmliche Proportionen wurden derartig verändert, dass man nicht mehr eindeutig sagen konnte, was davon noch Kleidung bzw. schon eine Skulptur war. Tragbar war das nicht mehr und als klassische Haute Couture konnte man das auch nicht bezeichnen. Aber darum ging es auch nicht. Die Mode hatte ihre bisherigen Gesetze, Entwurf, Schnitt und Fertigung als künstlerische Prinzipien etabliert und gleichzeitig dekonstruierend infrage gestellt. Die Kunst, die sich vermehrt den digitalen Medien zuwandte, konnte ihrerseits entweder nur neidvoll und staunend zuschauen, sich auf ihre eigenen Fragestellungen besinnen oder aber einen dauerhaften Flirt mit der Mode eingehen. Das passierte dann auch zunehmend, indem z.B. Rei Kawakubo mit Cindy Sherman zusammenarbeitete, immer mehr Modedesigner ihre Läden von namhaften Architekten und Designern gestalten ließen und so zu wahren Kunsttempeln aufwerteten. Die Liste der Modehäuser und Designer, die gleichzeitig in die Kunst- und Künstlerförderung einstiegen, wird seitdem immer länger: Stella McCartney & Jeff Koons, Longchamp & Tracey Emin, Louis Vuitton & Takashi Murakami, Richard Prince, Pringle of Scottland & Liam Gillick, Prada & John Baldessari, Hermès & Erwin Wurm usw. In vielen Fällen mögen diese Kooperationen für beide Seiten gewinnbringend sein, aber sie sind es nicht ausschließlich. Ein finanzkräftiges Modeunternehmen kann von der subversiven Strahlkraft eines Künstlers profitieren und gleichzeitig sein Image polieren oder sich sogar noch eine limitierte Capsule-Collection entwerfen lassen. Ob dies immer im Sinne des Künstlers ist, mag dahin gestellt sein.
Zunächst gilt aber immer noch: Das Phänomen der Boutiquenkultur, in der Mode für jeden erschwinglich ist, setzt sich bis heute konsequent fort und mündet in so erfolgreichen Geschäftskonzepten wie H&M, Zara, Monki etc. Was zunächst als weltweite und politisch konnotierte jugendliche Protestkultur angedacht war, entwickelte sich zu einem globalen umsatzstarken Geschäft, dessen Dynamik einem beinahe nahtlosen und immer schneller zirkulierenden Kreislauf aus Produktion und Konsum gleicht. Und wer weiß, vielleicht kooperiert Hermès im nächsten Jahr mit H&M: Seidencarrés mit Henri-Matisse-Motiven. Die phonetische Ähnlichkeit ist doch bestechend – oder wäre das dann schon zu sehr Museumsshop?
Foto: Christina Zück (© )
Foto: Christina Zück (© )
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