Mode-Spezial

Einführung

2014:Mar // Andreas Koch

Startseite > 03-2014 > Mode-Spezial

03-2014
















Mode-Spezial

Ich begebe mich auf Glatteis, superglatt, denn ich kenne mich mit Mode nicht aus. Ich gehöre zu der Hälfte der Bevölkerung  – ob es tatsächlich die Hälfte ist, weiß ich natürlich auch nicht – für die Kleidung reine Funktionsaufgaben besitzt. Klar, auch ich habe irgendeinen Stil: Kappe, Brille – und die Escape-Jacke ohne North-Face-Logo habe ich mir schon zum dritten Mal nachbestellt. Teurere Merinowollpullover und einmal sogar eine Hose lasse ich mir weihnachtlich von meiner Mutter schenken. Unifarben, schwarz, grau oder blau, da kann sie nicht viel falsch machen. Sie bestellt bei Peter Hahn, das ist ein Kleidungsversender, hauptsächlich für die Frau ab fünfzig. Ansonsten einmal im Jahr eine halbe Stunde zu H&M, die Taschen voller T-Shirts, Hosen, Unterhosen und Socken. Man bekommt eine beachtliche Menge an Kleidung für 150 Euro. Das ist natürlich das Gegenteil von nachhaltig, die armen Näherinnen, aber für mich ist es der einfachste Weg. Ich traue mich nicht in Boutiquen; „Kann ich Ihnen helfen?“ „Äh nein, nein“, schau ich noch verstohlen zwei, drei Ständer an und bin wieder draußen. Über die andere Hälfte kann ich nur spekulieren. Trotzdem jetzt ein Spezial zu Kunst und Mode? Seit langem fallen die immer größeren Schnittmengen beider Bereiche auf, fast alle Kunstmagazine weisen mittlerweile Modestrecken auf. Um die Anzeigenkunden zu locken, um Platz zu füllen, um Leser zu ködern. Ausstellungseröffnungen in Galerien sind immer besser angezogen. Großboutiquen wie Murkudis vertreiben schon länger beides, Highend-Modeartikel und Kunsteditionen. Künstler wie Reyle, Murakami oder Eliasson gehen Kooperationen mit Modelabels ein, gestalten Schaufenster oder Taschen.
Die bürgerliche Seite der Kunst ist natürlich prädestiniert, sich mit der Welt der Mode zu verbrüdern. Zu ähnlich sind die Interessenten, zu ähnlich das Interesse. Es geht, wenn ich Mode von außen betrachtet richtig verstehe, um die Aufwertung der eigenen Person. Man signalisiert an seine Umwelt, dass man sich etwas wert ist, man fühlt sich besser, schöner, interessanter. An Schaufenster vorbeilaufend schaut man sich nicht nur die Auslagen an, sondern auch, ob das neue Kleid, Sakko etc. gut sitzt. Leute, für die Mode wichtig ist, erkennen natürlich auch was das Gegenüber anhat. Sie loben sich gegenseitig oder fällen abschätzige Urteile, ein großer Teil der Wahrnehmung des anderen findet über die Kleidung und deren Codes statt. Ich finde das völlig ok … solange es nicht mich betrifft.
Zum Glück ist Berlin eine der wenigen Städte der westlichen Welt, wo Mode tatsächlich nur einen Teil der Menschen interessiert. Ein Hobby mancher. Hier kann ich mit seit zwei Wochen ungewaschenen Hosen durch die Straßen laufen ohne das Gefühl zu haben, schief angeguckt zu werden. In Stuttgart, München oder Italien ist das sofort anders.
Das hat alles noch nicht viel mit Kunst zu tun. Eine gewisse Angst, diesen Freiraum zu verlieren, ist nicht der Ausschlag für die nähere Beschäftigung mit dem Phänomen. Bisher ist das auch nur der Blick auf die Konsumentenseite. Die Gucci-Trägerin, die gleichzeitig Kunst sammelt, gab es schon immer. Ein Großteil der heutigen Sammler hat angefangen, sich mit Möbeln, Design und schönen Dingen auseinanderzusetzen, bevor er dann zur bildenden Kunst kam. Kunst ist abhängig von der Welt des Geldes, von der Welt der Reichen, der Welt des Bürgerlichen. Sie muss sich manchmal mit ihren ungewaschenen Hosen an denselben Tisch setzen, um zu überleben. Auch das war immer schon so. Ich frage mich aber nach dem Ausmaß. Wie weit geht man auf der Produzentenseite? Meine These ist, dass Künstler sich der Welt der Reichen immer stärker anpassen, um erfolgreich zu sein. Ähnlich dem Galeristen, der das tatsächlich muss, um etwas zu verkaufen. Das heißt nicht, dass Künstler immer mehr wie ihre Sammler aussehen, sich so kleiden, den ähnlichen Stil pflegen etc. – auch das ist eher nebensächlich, würde mir als Modeblindem nicht mal auffallen–, sondern dass Künstler immer mehr arbeiten wie Designer.
Um mein Unbehagen zu erläutern, muss ich noch mal zur Mode zurückkehren. Sie stellt außerhalb der an Kleidung gestellten Anforderungen, nämlich zu wärmen und intime Bereiche vor Blicken zu schützen, ein selbstreferentielles System dar. Alle Innovationen beziehen sich auf schon davor dagewesene Kleidung. Es wird ein neues Material eingebracht, neue Schnitte, Applikationen, Farben. Es gibt keinerlei Bezüge zu anderen Bereichen des Lebens. Es geht darum, die Träger entweder schöner und aufregender erscheinen zu lassen, also aufzuwerten und vom Mainstream abzusetzen – oder aber im Gegenteil, diese als Teil einer Gruppe zu kennzeichnen. Und manchmal sind diese Gruppe fast alle. Von den Stockholmer Frauen hörte ich, dass sie, wenn ein neuer Trend auftaucht, alle in die Läden rennen und die neuen Sachen kaufen – und zwar wirklich alle. Der Designer hat die Aufgabe, im Halbjahrestakt immer neue Erfindungen auf den Laufsteg zu zaubern. Innerhalb der Modewelt wird in Codes kommuniziert, die eine eigene Sprachwelt bilden. Übrig bleiben ansonsten Geschmacksurteile („that’s so beautiful, exiting, you look fabulous, phantastic …“), Zeitbezüge („that’s so 70s, 80s, 90s …“) oder Verweise auf die wenigen Großlabels „the new Joop looks so Prada“. So stelle ich mir das jedenfalls vor.
Im Archiv der „von hundert“ stieß ich auf einen Satz von Francesca Lacatena über eine von Hedi Slimane bei Arndt und Partner kuratierte Ausstellung aus dem Jahr 2007: „Slimane weiß längst, wie man sich geschickt auf bröseligem Kunstparkett bewegt – rein technisch, indem man Taktiken und Codes des Glamours, inklusive dessen permanentes Auf-dem-Sprung-sein nutzt, um sich auf eine formale Ebene zu schwingen, wo Referenzen und Bedeutungen so flüchtig werden, dass sie sich jeglicher Kritik zu entziehen scheinen. Die daraus resultierende, fantastische Bildhaftigkeit – mit Akzenten fröhlicher Positivität – entwickelt schließlich die Kraft, Aufregung und Konfusion zu erzeugen.“ (http://www.vonhundert.de/index76a2.html?id=72) Ein toller Satz, der sehr gut die Schnittmenge Kunst/Mode beschreibt, sich aber selbst in deren Limitierung bewegt.
Die Sprache über Mode ist der über Musik ähnlich. Das „Sieht-aus-wie“ oder „Erzeugt-ein-ähnliches-Gefühl-wie“ pro­­duziert reichhaltige Metaphern, die die Mode noch heller leuchten lassen, als sie es in ihrer Huldigung des Moments eh schon tut. Auch in der Kunstwelt existiert ein eigenes Sprachsystem, das oft ausgeleierter erscheint als das der Mode, mehr Ballast mitschleppt, tausendmal wiederholte Floskeln beinhaltet und meist recht unsexy klingt. Aber auch in der Kunst kann es um das Andere, Besondere, Neue gehen. Wenn jedoch, wie zur Zeit immer öfter, beide Systeme miteinander kurzgeschlossen werden, bleibt in der Schnittmenge wenig übrig. Kunst sollte jenseits von Stil und Stimmung, Abgrenzung und Aufwertung, Schönheit und Anderssein noch weitere Erkenntnisse parat halten und grenzenlos alle Bereiche des Lebens und der Gesellschaft berühren dürfen.
Wenn einem zu einem Kunstwerk nicht viel mehr einfällt, als dass es gefällt oder eben nicht, dann fehlt ein großer Teil, entweder bei einem selbst als Betrachter – oder aber bei dem betrachteten Werk. Geschmack ist in der bildenden Kunst nicht nötig, darum geht es nicht. Beim Sammler ist das jedoch oft anders, denn er schmückt sich auch mit den Arbeiten, stellt sie in sein Umfeld, „gefällt mir, kauf ich“. Und da die meisten Künstler von Sammlern abhängig sind, machen sie eben Arbeiten, die gefallen könnten und vergessen darüber alles andere. Nennen wir sie hier Schmuckkünstler. Schmuckkünstler machen Arbeiten, die nichts anderes sind als schöne, dekorative Produkte. Es gibt keinerlei Verweise auf andere Bereiche menschlicher, gesellschaftlicher Existenz außerhalb der bildenden Kunst und oft fehlen selbst diese betriebssystemischen Referenzen. Über diese Künstler wird ähnlich geredet wie über Mode. Es gibt Hypes, es gibt Goes und No-Goes. Der eine ist total en-vogue, der andere schon wieder durch. „Der geht ja so was von gar nicht mehr“ und „Spanplatte ist ja total nineties“. „Texte zur Kunst“ zum Beispiel vertreibt jede Menge Editionen von Schmuckkünstlern, würde aber nur im seltensten Fall eine Besprechung über diese drucken. Trotzdem sind fast alle davon vergriffen.
Ich könnte viele Namen nennen, jeder kennt Arbeiten. Es sind die kleinen Skulpturen, die auf die Regalbretter zu Hause passen, aus Blattgold, Bronze, Glas oder Stoff. Die Collagen aus Pailletten, Konfetti und Silberpapier – und dann noch neonfarben übersprüht. Die bunten Licht- und Leuchtarbeiten, die wie Mobiles von der Decke baumeln. Die Äste, die an der Wand lehnen, darunter ein schwarzes Kohlestaubhäufchen. Die in Heimarbeit komponierten Malereien, auf denen ein paar Dreiecke Kreisen auf immer Gute Nacht sagen. Die Zeichnungen, die mit Pfeilen und Schönschrift so tun, als würden sie sich auf etwas anderes beziehen, aber deren Linien nur in eitlen Wirbeln um vergoldete Flecken kreiseln und uns sonst nichts zu sagen haben. Früher nannte man diese Arbeiten Salonkunst, im Studium abfällig Kunsthandwerk oder Dekokunst. Schmuckkunst klingt vielleicht ein bisschen netter. Denn natürlich haben auch diese Arbeiten eine Daseinsberechtigung. Sie dienen dem Lebensunterhalt und nur schön ist nicht immer auch dumm. Manche der Schmuckkünstler fahren durchaus zweigleisig, machen ein unverkäufliches Nebenwerk, haben ein Frühwerk im Keller, das sie jetzt aufgrund ihres Markterfolgs verstecken, und natürlich verkauft sich nicht nur Schmuckkunst, sondern auch Kunst. Mein Vorschlag wäre ein anderer. Man sollte den bloßen kunsthandwerklichen Charakter der Schmuckarbeiten wieder deutlicher benennen. Jeder dieser Künstler sollte eine Art interne Bad Bank gründen und diese Arbeiten auslagern dürfen. Ehrliches Kunsthandwerk ist besser als mit Tarnkonzepten aufgebrezelte Nichtkunst. Die Sammler sollten trotzdem den gleichen Preis zahlen, auf dass der Marktwert nicht abrauscht auf das Niveau einer dänischen Keramik, denn sie wollen ja genau diese inhaltlich nichtssagenden, schönen Arbeiten, und dies zudem zur eigenen Aufwertung.
Wie ging der Witz mit den zwei Russen und ihren gleichen Hemden? Was du hast nur 200 Dollar gezahlt, das ist ja lächerlich, meins kostete 1000.
„Der Molussische Torso“ (© Hans Martin Sewcz)
Microtime für Seitenaufbau: 1.23918008804