Die andere Seite Deines Gesichtes, Zwillingsschwester!

2014:Mar // Barbara Buchmaier und Christine Woditschka

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03-2014
















Das Ego-Modell

Wir sind immer auf der Suche und unsere Währung sind – oft auf Empfehlung – Re-Zitate vergessener Künstlerkolleginnen und -kollegen. Wir sind Re-Zitate. Die zugrunde liegenden Recherchen und Analysen stehen auf rudimentären Stelzen, aber, who cares? Radikal schickes Lesen. Alle lesen dasselbe. Daraus folgt: Radikal schickes Zitieren.

Wir halten uns für kritisch, dabei denken wir keine Sache zu Ende. „Radikalismus“ ist spätestens seit Diedrich Diederichsen unser Fetisch. „Kritik“ als Ausstattung des eigenen Selbst: das Sich-Schmücken, Sich-„Würzen“ mit einer Prise Nihilismus, einem Hauch von Anarchismus, mit einer Messerspitze Okkultismus und etwas Punk. Die Dystopie verkauft sich auch wirklich gut. Wie ein Reflex läuft das ab.

Die Illusion des Wissens, dass man sowieso alles kennt, dass man eigentlich alles schon weiß. Chris Kraus, John Knight, George Sand zum Beispiel, Oswald Wiener, Huysmans, ­Tiqqun. Oberflächenwissen. Aufgeschnapptes, Gehörtes, Erzähltes – aufgegriffen, adaptiert über Stichwörter und Stil. Allein das Imitieren macht schon eine Menge Arbeit, tiefer kann es nicht gehen.

So tun, aber nix kapiert haben. Es richtig machen wollen, Strebertum. Posieren um zu gefallen. Die Codes dosiert einsetzen. Wir verfeinern uns über kleinste Differenzen. Da wird laufend aussortiert, was und wer nicht genau reinpasst ins Set. Dissonanz stört die exklusive Stimmung.

Das Zeug sich besorgen, nur zwei Teile pro Saison oder doch vieles auf ebay oder im Sale. Auf jeden Fall bewusst platziert. Wir kommunizieren in Produkten. Auf der Klaviatur des Anforderungsprofils sind wir virtuos. Kritik vertragen wir schlecht. Kritik von den „falschen“ Leuten interessiert uns schon gar nicht.

Sich seine männlichen und weiblichen Väter selbst zusammensuchen, das eigene Umfeld kuratieren. Der Beruf des Kurators als Ideal: Dekorateur des eigenen Lebens. Mit jedem Projekt bauen wir weiter an unserer inzestuösen Wunschfamilie, basierend auf den immer gleichen Namen, getarnt durch unerwartete Gäste.

Manchmal sind wir auch Protestler: Occupy! Unsere Helden waren mal Negri und Hardt oder so. Wir verklären uns als engagiert, dabei sind wir melancholische Replikate eines längst vergangenen Selbstverständnisses. Und wir wissen das auch irgendwie schon.



Das Modell-Ego
2014 im Herzen der Multitude zu sein, heißt: „In the Heart of the Multitude“: PRADA, Frühjahr/Sommer 2014 Fashion Show.

Protestiert also nicht! Hört auf damit.

Aussteigen? Es anders machen? Du durchdringst es einfach nicht, niemals! Du bist Schmierstoff fürs Getriebe, fettes Öl, nicht etwa Sand. Hör auf damit.

Das Begehren bekämpfen. Durch immerwährende Überaffirmation allen Begehrens verbrenne ich mich in dessen Feuer und schleudere meine Asche, wenn nicht Sprengstoff in den kollabierenden Kreislauf der Warengesellschaft.

Den Brunnen austrinken bis zum Erbrechen. Aber der Brunnen versiegt ja nicht.

Ich bin ein Untoter, dessen Blut nicht stockt, sondern übersprudelt, ich platze.

Spiegelndes Wasser wird überall sein. Pfützen und Meere. Kaum noch Land. Seht Euch an, in Euren Reflexionen! Anerkennt in Euch den Narzissten! Lasst sie hinter Euch, die ängstlichen Nachahmer, die noch auf ihrem Namen und ihrem Geschmack beharren!

Ich im Quadrat, im Kreis: der unerbittliche Narcissus. Ich und ich und ich und ich … Ich bin viele. Ich bin ein anderer. Erinnert Ihr Euch?

Nicht zurückgehen! Keinen Schritt zurück! Kein Idealismus, keine Romantik, keine Animositäten. Es geht weiter. Ankommen – niemals.

Ich nehme alles. Ich drehe mich um mich selbst. Ich fliege um mich selbst – unendlich, in ständiger Beschleunigung. Das Wasser zeigt mir laufend ein neues Bild meiner selbst, all meine perfekten Posen. Ich bin alles und gleichzeitig nichts. Eine Hülle, ein Blick in die Unendlichkeit. Ich brauche keine Maske, ich bin Maske. Diamantene Zersplitterung des Ichs. Herrlich grandios. Endlich bin ich niemand.

Ich liebe diesen flüssigen Zustand der Fragmentierung, der immer neuen Bilder und Fassungen meiner selbst.

Ich, Narcissus, tanze im Herzen des Kapitalismus. Ich verkörpere zunächst nichts als eine perfekte Commodity – das musst Du erstmal aushalten!

Erst jetzt trägst Du die Mindestausstattung, das Grundpotenzial zum Revolutionär.
12 buchmaier.JPG (© Christina Zück)
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