Lens-based sculpture

Akademie der Künste

2014:Mar // Anne Marie Freybourg

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03-2014
















Aus der Dunkelkammer in den hellen Raum

Von seinen Erfindern wurde das junge Medium Fotografie als magischer Abdruck des Lichtes angepriesen. Das Publikum war fasziniert von der überraschenden Genauigkeit und bestaunte die Bilder als wirklichkeitsgetreue Dokumente. Alle waren damals im Bann des fotografischen Abbildes. Die Kunstgeschichte hat mittlerweile zur Kenntnis genommen, dass die Impressionisten mit Hilfe der Fotografie die Flüchtigkeit des Moments festzuhalten versuchten, um ihn in ihre Gemälde übertragen zu können. Jedoch wurde bisher wenig beachtet, wie sich Bildhauer der Fotografie näherten. Die meisten Plastiker wussten zunächst auch wenig mit diesem neuen „flachen“ Medium anzufangen. Umso überraschender der Auftakt der Ausstellung „lens/based sculpture“ in der Berliner Akademie der Künste, in der gezeigt wird, dass damals doch einige Bildhauer, die dann entscheidend für den Durchbruch der modernen Plastik wurden, im neuen Medium eine besondere Potenz erkannten. Künstler wie Umberto ­Boccioni, Constantin Brancusi oder Marcel Duchamp begriffen es als Chance, ihre Skulpturen mit Hilfe der Fotografie nicht nur zu dokumentieren, sondern auch in Szene zu setzen. Sie haben ihre Arbeiten im Entstehungsprozess oder nach Fertigstellung fotografisch im wechselnden Licht-Schatten-Spiel oder aus verschiedenen Blickwinkeln arrangiert. Die Fotografie bot ihnen die inszenatorische Möglichkeit, die Bandbreite der Wirkungen ihrer Plastiken zu testen. Zu Beginn der Ausstellung wird diese erste Berührung zwischen Skulptur und Fotografie schlüssig dargelegt. Das Thema des Zusammenspiels dieser beiden, in ihren Grundzügen so differenten Medien wird dann in einem ausgewählten Werkparcours entfaltet und es wird deutlich, wie stark die Möglichkeiten der Fotografie die Idee der Skulptur verändert haben.
Vor allem wurden neue plastische Konzepte entwickelt, weil man sich das Dokumentarische der Fotografie zunutze machte. Die Arbeiten der Land-Art konnten so überhaupt publik gemacht und trotz ihrer dem Naturprozess unterworfenen Vergänglichkeit bewahrt werden. Zu einem wichtigen Begleiter wurde die Fotografie auch für die von Tanz und Performance angeregte Erweiterung der plastischen Form zur plastischen Aktion. In ihrem legendären Buch „Passages in Modern Sculpture“ beschreibt Rosalind E. Krauss, wie in den 1960er-Jahren die Handlung zu einem wesentlichen Moment der neuen Skulptur erklärt und dadurch die für die klassische Skulptur charakteristische Kompaktheit und geschlossene Form aufgelöst wird. Durch das aktionistische Moment dringt die bisher von der Skulptur nur in Ansätzen erfassbare Zeit in die skulpturale Verfassung ein. Mit Rodins „Bürger von Calais“ war zwar, so Krauss, die statuarische Auffassung der Skulptur schon durch ein erzählerisches Moment ergänzt worden, aber erst durch das aktionistische Moment kam es zu einer radikalen Erweiterung der Skulpturauffassung. Dies gelang, weil die Fotografie, und später Film und Video, Handlungen fixieren konnte.
Exemplarisch begreift man dies in einer frühen Arbeit von Bruce Nauman. In „Bouncing Two Balls Between the Floor and Ceiling with Changing Rhythms“ (1967/68) führt der Künstler eine simpel erscheinende, aber doch sehr ausgetüftelt strukturierte Handlung aus, indem er immer und immer wieder zwei Gummibälle in ein auf den Boden gezeichnetes, mittelgroßes Quadrat oder gegen die darüberliegende Decke wirft. Die gut 10-minütige Repetition der Handlung, einen Gummiball nach dem anderen, anfangs mit Schwung, dann mit immer mehr Wucht, in eine sehr begrenzte Fläche zu werfen und die Bälle schnell und rechtzeitig wieder aufzufangen und sie erneut zu werfen, hat Bruce Nauman mit Video aufgezeichnet. Durch das Hochspringen und Abprallen der Bälle entstehen unsichtbare Bewegungslinien im Raum. Könnte man sie aber bildlich und zeitlich fixieren, entstünde so etwas wie eine Säule der Ballbewegungen. An dieser Arbeit zeigt sich sehr deutlich, wie die technischen Bildmedien sich vor die konkrete plastische Form schieben, sie zu dominieren beginnen oder, eben wie hier, auflösen.
Das, was man heute in einer ungenauen Vermischung von Sprechakttheorie und Performancekunst gerne „performativ“ nennt, bezeichnet eigentlich das Moment der theatralischen Live-Handlung, der In-Eins-Setzung von Durchführung und Darstellung. Dass es uns heute so selbstverständlich erscheint, dass ein solch performatives Moment Teil moderner Plastik sein kann, obgleich das plastische Medium in seiner genuinen historischen Fassung der Inbegriff der räumlich fixierten, statischen Kunst war, ist durch das Eindringen des Mediums Fotografie und später der bewegten Bilder in das skulpturale Medium ausgelöst worden. Das mediale Cross-over war der entscheidende Umschlagpunkt, durch den sich die Skulptur sowohl dem zeitlichen Aspekt als auch dem Handlungsmoment öffnen konnte. Es waren also raumbezogene und raumformende Aktionen, die die Skulptur im ersten Schritt erweiterten. Jedoch war es auch die Vergänglichkeit der Handlungen, die die dokumentierende Fotografie auf den Plan rief, um das zeitliche Moment der Handlung festzuhalten und in die skulpturale Statuarik integrieren zu können. Zehn Jahre später, während der nächsten Etappe in der Geschichte der gegenseitigen Befruchtung von Fotografie und Skulptur, begannen Künstler genau diese dokumentarische Rolle der Fotografie kritisch zu reflektieren. Sie versuchten, die Funktion der Fotografie für die neue Verfassung der Skulptur zu domestizieren und der Skulptur wieder ein reales Volumen zurückzuerobern, ohne jedoch einen ästhetischen Rückschritt zu vollziehen. Künstler begannen das Handlungsmoment auf subtile Weise beizubehalten und es gleichzeitig am realen, räumlich erfahrbaren Volumen zu spiegeln.
Raimund Kummer hat 1978/79 in einer im Berliner Stadtraum stattgefundenen Aktion einen auf einer Baustelle liegenden Haufen von T-Trägern mit roter Farbe markiert und sie zu einer Plastik im öffentlichen Raum erklärt. Natürlich war der Künstler für diese ungewöhnliche und zeitlich begrenzte plastische Aktion auf die Fotografie als Beweisstück angewiesen. Er wollte aber seine bildhauerische Arbeit langfristig nicht auf ein fotografisches Dokument beschränkt sehen und erwarb deshalb einen der T-Träger. Dieser wurde im Laufe der nächsten Jahrzehnte ein Grundbaustein für viele skulpturale Eingriffe und Aktionen von Kummer. Die dabei immer wieder entstandenen Fotos blieben Hilfsmittel, Beiwerk und ersetzten nicht die konkrete Plastik. Zudem wurden sie im Laufe der Zeit durch andere Formen des Dokumentierens ergänzt. Dieses Begleitkonvolut aus fotografischen Dokumenten und schriftlichen Berichten strömt in der ausgestellten Arbeit „Fiji Bitter / Krummer Deutscher“ (2000–2002) als projizierter Bilderfluss und gleichzeitig wie eine archivarische Schicht, als historische Patina über den großen T-Träger.
Hermann Pitz, der mit Raimund Kummer und dem leider schon verstorbenen Fritz Rahmann in den 1980er-Jahren das „Büro Berlin“, so etwas wie ein Laboratorium zur Erforschung künstlerischer Praxis, gegründet hatte, hat auf ganz andere Weise die Rolle der Fotografie plastisch reflektiert. Ihm diente in der Arbeit „Innen“ (1997) das reale Objekt einer riesigen reprografischen Kamera als Vergegenständlichung der apparativen Ausrichtung des Blicks auf den Raum. Die ursprünglich für das Museum Münster konzipierte Arbeit war dort auf ein durch eine Wand verschlossenes Fenster gerichtet. Jetzt in der endgültigen und nicht mehr direkt ortsbezogenen Fassung ist die Fensterfassade als Gegenstück zur Kamera gegen die Wand der Ausstellungshalle gelehnt. Die Arbeit thematisiert in ihrer skulpturalen Anordnung von realer Kamera, Lichtquellen und Fensterrekonstruktion auch unabhängig vom Ursprungsort sehr treffend und auf noch mehrschichtigeren Ebenen die Verquickung von plastischem Volumen, Blick und Bildformation. Die beiden in Braunschweig lehrenden Künstlern, Raimund Kummer und Bogomir Ecker initiierten die Ausstellung für die Berliner Akademie der Künste gemeinsam mit den Kunstwissenschaftlern Herbert Molderings und Friedeman Malsch kuratiert. Das kluge Konzept der Ausstellung macht die These sinnfällig, dass der Einbezug der Fotografie, des Films und des Videos in die plastische Praxis die Formen und unser Verständnis moderner Skulptur entscheidend verändert und erweitert hat.
Die Ausstellung entfaltet dieses Thema eines spannenden und heute noch wirkenden medialen Cross-overs sehr genau und überzeugt durch eine intelligente Dramaturgie. Nach einem kurzen Kapitel über die Zeit der letzten Jahrhundertwende geht sie in medias res und zeigt das seit der Mitte der 1960er- Jahre intensivierte Zusammenspiel der beiden Medien und seine Blütezeit in den 1970er- und 1980er-Jahren. Im letzten Kapitel der Ausstellung werden gleichsam in einem Ausblick die durch die Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten, wie heute z.B. 3D-Drucker, weitere Veränderungen des Zusammenspieles aufgezeigt. Die Ausstellung gewinnt durch ihren weitgespannten Zeitbogen, der nicht mit einer Fülle beliebiger Werke, sondern mit sehr gut ausgewählten, exemplarischen Arbeiten aufgezeichnet wird, eine packende Intensität. Man kann sich in das Thema hineinsehen und hineindenken und muss nicht, wie so häufig in Ausstellungen der letzten Zeit, die steilen Thesen der Kuratoren entweder blind glauben oder ihnen gar nicht folgen können. Hier gibt es einen offeneren Anspruch. Das liegt auch an der pfiffigen Idee der Künstler Kummer und Ecker, in die beiden Gegenwartskapitel zwei Studiolos mit synoptischem Material zu integrieren. In diesen Räumen wird die These der Ausstellung durch ein Archiv zum vielfältigen Einsatz der Fotografie im Feld der Skulptur unterfüttert. Es enthält all die Arbeiten und künstlerischen Praktiken, die nicht in die Ausstellung aufgenommen wurden, weil sie alle möglichen Nutzungen und Verknüpfungen, nicht aber das grundlegende, ästhetische Zusammenwirken der beiden so gegensätzlichen Medien zeigen. Hier, in diesen materialreichen Studiolos kann man wie in einer offenen Diskussion die Argumentationslinie der Ausstellung nachvollziehen.

„lens-based sculpture – Die Veränderung der Skulptur durch die Fotografie“, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, 24.01.–21.04. 2014
„Innen“, 1997; Hohlux – Reprografische Kamera, Laternenteile, Fenster (© Foto: Hermann Pitz, VG Bild-Kunst Bonn, 2014)
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