Preview Berlin

2014:Mar // Johannes Wilms

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03-2014
















Zeitmaschine – (P)REVIEW BERLIN

Die letztjährige Preview gab sich quite berliner. Flughafen war out. Mitte wieder in. Und schon die Wahl der Opernwerkstätten am Nordbahnhof als Spielstätte und Austragungsort dieser Kunstmesse nahm sich aus wie der Einstieg in den Schnelldurchlauf einer Zeitmaschine. Doch zunächst schien diese Maschine in der Zeitenwende zu stocken.

Als nämlich in, um und um Y2K herum mit dem Konzept der Zwischennutzung in Mitte der bald verzweifelte, bald zynische Versuch unternommen wurde, den Umbau der Innenstadt zur neoliberalen Metropole zu verzögern. Doch kam mit der Wende, hier am Nordbahnhof, die Deutsche Bahn zu einigem Altbestand und segnete fortan die Gegend mit Nutzbauten, deren architektonisches Zombietum selbst in Berlin ihresgleichen sucht. In diesem Umfeld leuchtete einsam das Gebäude der ehemaligen Opernwerkstätten der bedeutendsten Theater Ostberlins als Location der Preview Berlin Art Fair.
First we take Mitte, then we take Berlin. Dieser Claim von Leuten, die ihre Anzüge gern wie Uniformen tragen und keine Gelegenheit auslassen, Marx’ Rede von den Unteroffizieren des Kapitals zu bestätigen – der Claim hallte schon länger durch die Stadt. Begonnen hatte dieser Prozess mit der nachgerade militärischen Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße. Schon 1990, sehr früh also. Seitdem galt die von SPD und CDU ausgegebene Berliner Linie und seitdem war an eine andere Form der Aneigung von Volkseigentum nicht mehr zu denken – als eben in der Gestalt von Privateigentum.

Und wie es nun so ist mit Raubtieren, wenn sie jung sind, sind sie scheu und manchmal sogar niedlich. Damit jedoch war spätestens Schluss, als 2004 die westdeutschen Drückerkolonnen des Weltgeists in Gestalt von Mc Kinsey Deutschland ihren 40. Geburtstag just an dem Ort feierten, an dem 1989, zum 40. Jahrestag der DDR – in der Geschichtsschreibung der Sieger – deren Untergang begann. (1)

(1) Die Ikonik der Wende, wie sie der Mainstream erzählt, fokussiert stets auf Leipzig, die Demonstrationen am Ring. Die Vorgänge um den Palast der Republik in Berlin stehen da eher am Rand.

Knappe 15 Jahre später, im Sommer 2004, waren es wiederum Künstler/innengruppen, die bekanntlich nicht spuren, aber erfolglos eine Aneignung des Palastes der Republik versuchten. Ihre Aktivitäten finanzierten sie unter anderem damit, dass sie den Palast der Republik eben auch gegen Höchstgebot vermieteten. Eine gemietete, eine auf Zeit gekaufte Repräsentation der Republik – das war die dialektisch klar missratene Metapher von 40 Jahren McKinsey-Deutschland. And more. Wie anders läse es sich da, dieses Unternehmen hätte einmal innovativ agiert und einen Prozess initiiert, an dessen vorläufigem Ende eine Berliner Kunsthalle, gar in künstlerischer Selbstverwaltung, gestanden hätte. Hätte. Ein Irrealis. Stattdessen, heute, eine irrlichternde Kunstszene, die durch die erweiterte Innenstadt, also längst auch in Moabit und Wedding, nomadisiert und dabei, wie der Sandmann des Berliner E.T.A. Hoffmann, ein Säcklein mit sich führt, auf das, gut lesbar, irgendwer „90er“, gesprüht hat. In Gold. Und neuerdings auch nur auf Englisch. 90ies.

Opernwerkstätten. Während in den wirklichen 90ern, zumindest in Ansätzen, eine Aneignung der Orte, ein Spiel mit reichlich komplexen Bezügen gegolten hatte (2) – reichte diesmal, im September 2013, die bloße Geste. Aus Techno wurde Retro wurde Deko. Die Berliner Kunstszene ist inzwischen internationaler, arrivierter und eben auch unverbindlicher geworden. Wenn heute eine/r sagt: „It’s like in the 90ies“, wissen alle: Das ist und war Vergangenheit. This is Simple Past.

(2) Dies, wenigstens in Ansätzen zu leisten, war der Ausstellung „Wir sind hier nicht zum Spaß! Kollektive und subkulturelle Strukturen im Berlin der 90er Jahre“ vorbehalten, die im Sommer 2013 Paul Paulun in Zusammenarbeit mit Stéphane Bauer im Kunstraum Kreuzberg kuratiert hatte.

Und so wurden nicht Maßstäbe, sondern weiße Trennwände in die Opernwerkstätten gesetzt. Als habe es gegolten, sämtliche 123 Diskussionen der letzten Jahre um den White Cube zu parodieren (3). Doch für Parodie nahm sich, wenn überhaupt, die Preview Berlin nur an vereinzelten Messeständen Zeit. Und Geld für eine stimmige, gültige Reflexion, beispielshalber über den Zusammenhang von preiswerter Kunst und Wertpreissteigerungen in Betongold, war offenbar auch nicht da.

(3) Wahrscheinlich galt schlicht: Business as usual. Die Preview Berlin ist eine Messe wie andere, große Messen auch. Für den Lokalkolorit sorgt die Location. Das Heute von Berlin ist schlicht das Gestern von New York.

Das hätte womöglich den Betrieb gestört. Einen Betrieb, dem Kunst als Siegel der Selbstverwirklichung gilt. Das bürgerliche Subjekt, das souverän über seine Urteilskraft verfügte, dieses Subjekt hat abgedankt. Sein Feld gehört dem Ich, und ich bin ich, und also habe ich meinen eigenen Geschmack, den ich im Markt, im Ankauf realisiere. Im Brennglas der Willkür erfährt sich so die je eigene Individualität. Nichts hat hier Notwendigkeit.

Und so blieb auch der Zwischenstopp der Preview in den Opernwerkstätten eine Art „Picknick am Wegesrand“ und dem gewählten Ort nur äußerlich verbunden. Statt den Geheimlabors der großen, der bürgerlichen Reflexionsmaschine „Oper“ galt das Interesse allein derer Qualität als Kulisse. Einer Kulisse, die damit kokettieren konnte, einer der zahlenlosen Spielstätten der Berliner Kunst-, und Club- und Partyszene der 90er Jahre bis auf die elektrische Verkabelung zu gleichen. Die Preview, keine Vorschau, ein Nachruf.

Wenn es stimmt und wir gegenwärtig in all ihren Anachronismen und Widersprüchen die Geschichte des Kapitalismus wie im Schnelldurchlauf erleben – von John Law bis zum Patriot Act, von A wie Athena bis O wie O in H-Zwei-O – kein Konflikt, kein Krieg, keine Krise, die es nicht schon gab, Und wenn diese Wahrnehmung stimmt, dann war die letztjährige Preview Berlin die passende Kunstmesse zu diesem Plot. Sie passte wie sprichwörtlich die Faust aufs Auge. Hier eine Geschichte der Politischen Ökonomie, dort eine Geschichte moderner Ästhetik. (4)

(4) Einer Ästhetik, die hochdialektisch zwar, aber, streng hegelianisch, nur für sich stimmig und darum an sich unhaltbar blieb. Politik und Ästhetik, das geht schon seit einiger Zeit nicht mehr auf. Ihr Zusammenhang erscheint wie der zwischen Sphären einer abstrakten, entfernten Welt.

Alles war da. Alles, was je Kunst war oder Kunst hätte gewesen sein können, war hier, in den Opernwerkstätten in Berlin-Mitte vertreten; jede Position war besetzt; jede Nische zugeräumt in diesem Supermarkt der Zeitgenossenschaft. Im Angebot waren en gros et en detail Fakturen und Stadien, hand-, self- & ready-mades of any kind, Produkte industrieller Zurichtung ebenso wie radikalen Handwerks. Gegeben wurde eine Enzyklopädie der Stile, der Allusionen und der Formen, der Techniken und des Materials. Marmor, Eisen, Kupfer, Blattgold, Gehölze aller Art, Polyacryl – ein Fest in Kunststoff und Archaik, in ungeheurer, in neun Jahren Preview einmaliger Dichte.

Und hierin, in dieser Verdichtung, illustrierte die Messe, wie sich in den zeitgenössischen Künsten ein Verhältnis umkehrt, das, wie’s aussieht, parallel zur Kapitalform, mit der Renaissance entstanden war (5). Verdankte sich „Kunst“ in der Zeit des Humanismus der Annahme einer Schöpfung, eines Genies, mit dem sie sich von ihren handwerklich vermittelten Trägern lösen konnte, so scheint „Kunst“ heute gerade in ihren materiellen Trägern, in denen einzig ihre Originalität sich darstellen kann, ein letztes Refugium zu finden. Vielleicht ist es das, und wir erfahren, im Zeitalter von GNU und digitaler Reproduzierbarkeit einen Umkehrschub der Essenzen. Nur Material ist Original, Genie seit jeher käuflich.

(5) Hier die Fugger und die Medici, dort Vasari und Dürer – nicht von ungefähr war Albrecht Dürer der erste Künstler, der im modernen Sinn Urheberrechtsprozesse führte.

Preview Berlin Art Fair, Opernwerkstätten Berlin Zinnowitzer Straße 9, 10115 Berlin, 19. 9.–22. 9. 2013
Preview Berlin Art Fair (© Edgard Berendsen)
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