Nicole Zepter

Kunst hassen

2014:Mar // Diana Artus

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03-2014
















Immer Ärger mit der Kunst

Eigentlich sollte an dieser Stelle eine klassische Rezension stehen, und zwar über das im vergangenen Sommer erschienene Buch „Kunst hassen. Eine enttäuschte Liebe“, geschrieben von Nicole Zepter. Aber ich habe mich schwer getan. Denn nach dem Lesen des schmalen Bandes geht es mir ähnlich wie seiner Autorin nach der Betrachtung von zeitgenössischer Kunst: gelangweilt und schulterzuckend bleibe ich zurück. „Das kann es doch nicht gewesen sein?“ „Kunst hassen“ liest sich wie der Stream of Consciousness einer verärgerten ‚Kunstliebhaberin‘ angesichts der Arbeiten von – beispielsweise – Cyprien Gaillard oder Susanne Kriemann. Es ist ein polarisierendes Stimmungsbild in Form einer humor- und ironiefreien Ansammlung von Allgemeinplätzen, Beobachtungen und Gesprächsfragmenten aus der gegenwärtigen Ausstellungspraxis. Deren Zustand sowie die generellen Funktionsmechanismen des Kunstbetriebs sind tatsächlich in vielerlei Hinsicht problematisch. Nicole Zepter liefert dazu aber weder eine lesenswerte Analyse noch eine fundierte Kritik, bestenfalls einige illustrierende Beispiele und bereits bekannte Feststellungen. Und die rebellische Attitüde: „Tabus“ sollen „endlich“ gebrochen werden und die plakativen, handgeschriebenen Überschriften scheinen ein direktes Zitat auf die derzeit angesagte Occupy-Ästhetik zu sein. Zepters Lösung heißt schlicht: „Man muss einfach nur dagegen sein.“ Also: „Kunst hassen, weil es die Kunst verdient hat“ und – auch ein Anreiz – „ … weil es sonst niemand macht“. Anstatt „sich hinzustellen und zu lachen“, verliert sich die Autorin jedoch immer wieder in beleidigten und beleidigenden Plattitüden und gerät so in gefährliche Nähe zum Ressentiment. Das Thema hätte wirklich mehr hergegeben.
Doch halt, vielleicht sollte dieses Buch eher metaphorisch gelesen werden, und zwar als das, was es seinem Titel zufolge ja offenbar zu sein scheint: ein zeitgenössisches Beziehungsdrama. Die unentbehrlichen Zutaten sind jedenfalls alle vorhanden: Liebe, Enttäuschung, Hass. Daher dreht sich ab jetzt alles um Emotionen und Befindlichkeiten – großes Gefühlskino wird geboten, denn so Nicole Zepter: „Es gibt im Hass kein vielleicht.“ Also Vorhang auf:

Dezember. Ein kalter, grauer Tag. Berlin liegt unter einer endlosen Nebelwolke begraben. Egal, denn mit äußerster Spannung erwartet die Öffentlichkeit einen Prozess, der soeben im obersten Gericht seinen Auftakt nimmt. Auf der Anklagebank: die Kunst. Ihre Komplizen (mitangeklagt wegen Kuppelei): Künstler, Galeristen, Kuratoren, Museumsdirektoren (zusammen auch Kunstbetrieb genannt). Die Opfer: Scharen von vor den Kopf gestoßenen Kunstliebhabern. Der Vorwurf: Heiratsschwindel und Hochstapelei. Die Indizien: Irrationalität, Hermetik, Günstlingswirtschaft, Fetischismus, Geniekult usw.

Die Verhandlung ist eröffnet. Die Parteien treten ein und nehmen an den gegenüberliegenden Seiten des Gerichtssaals Platz. Die Liebhaber enttäuscht, verständnislos, beleidigt: „Alles still und keiner lacht.“ Die Kunst dagegen aufgetakelt wie eine Diva, frech und schnippisch kaut sie einen Kaugummi und lässt provozierend eine Blase nach der anderen mit lautem Knall platzen. Anklägerin Nicole Zepter wirft ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, steht auf und räuspert sich. Mit strenger Stimme formuliert sie ihre ersten investigativen Fragen an die Angeklagte: „Kunst – was ist das überhaupt?“ Die Kunst schweigt und lässt eine weitere Kaugummiblase platzen. „Ist Kunst, wie sie heute produziert wird, überhaupt noch zeitgemäß?“ Die Kunst schweigt und grinst. „Was macht das Museum mit mir als Mensch?“ Die Kunst schweigt, grinst und dreht ihren Liebhabern eine lange Nase. Die werfen hasserfüllte Blicke zurück.

Aber von Anfang an: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Begann nicht alles ganz harmonisch? Geradezu romantisch? Und nun so viel Spott und Hass – warum? Hat die Kunst zu viel versprochen? Oder haben die Liebhaber zu viel erwartet? Haben die Komplizen etwa perfide intrigiert statt solide zu verkuppeln, sind sie Schuld an der ganzen Misere? Oder beruht alles nur auf einem furchtbaren Missverständnis?
„Kunst ist per Definition etwas, das jenseits unserer Erfahrung liegt. Sie ist unerreichbar. Sie ist in ihrem Ideal ein Utopia. Eine Erlösung. Eine andere Realität.“ So beschreibt Nicole Zepter die Erwartungshaltung der Liebhaber und damit die Ausgangsbasis für deren Liebe. Einst also war die Kunst erhaben und gut. Sie läuterte, baute auf, ergriff, gab Antworten, entwarf Utopien, rettete Welten. Und vor allem schien sie absolut umgänglich zu sein und verstand sich gut mit jedermann. Ihre Gegenwart – die reine Transzendenz. Das ideale Paradies für alle möglichen Arten von Projektionen, Sinnzusammenhängen und Heilsversprechen. Wer hätte sich nicht in sie verliebt?
Wann genau das so war, lässt sich heute zwar nicht mehr rekonstruieren, aber dass es so gewesen sein muss, davon zeugt der feste Glaube der Kunstliebhaber, der seitdem von Generation zu Generation weitergegeben wird. Scharenweise pilgern sie an die Orte der Kunst. Und woher sonst nehmen sie diese Begeisterung, diese Bereitschaft, sich auf das Objekt ihrer Begierde zu stürzen, es zu umarmen, vor ihm zu erschauern, wenn nicht aus der Gewissheit, dann Teil zu werden von einer begnadeten Welt? Doch plötzlich, irgendwann, zur gleichen Zeit am selben Ort, geschah etwas. Von außen, aus der Gosse der Banal-Gesellschaft, brach eine feindliche Macht in die Idylle herein und begann, sie zu verseuchen: Geld. „Geld ist in den letzten zehn Jahren zu dem Kommunikationsmittel der Kunst geworden“, erklärt Nicole Zepter den Verfall, um sich kurz darauf zu korrigieren: „Die Kunst hat sich schon immer mit dem Geld ins Bett gelegt.“ Da haben wir ihn, den ersten und schwersten Anklagepunkt: Mit dem Geld legt sie sich also ins Bett, diese Kunst, aber mit ihren Liebhabern nicht! Dabei meinen die es doch ernst.
Aber es kommt noch schlimmer. Denn auch die Komplizen ziehen mit und werden von bemühten Vermittlern zu eigennützigen Drahtziehern: Sie fangen an, unternehmerisch zu denken und sind auf Wertsteigerung und Profite aus. Symbolisch, kulturell, real – egal, Hauptsache Kapital. Und das, wo die Kunst doch als geschützte Sphäre galt, als Fluchtort, rein und unverdorben! Vergangen, vorbei. Vor den Augen der fassungslosen Liebhaber entsteht in Windeseile eine eiskalt ökonomisch ausgerichtete Günstlingsgesellschaft mit künstlerischem Background. „Wer nicht mitmacht, ist raus“, so ihr Credo. Und spätestens hier „beginnen die Akteure, ihre Verantwortung zu leugnen.“ Was nun passiert, ist fatal. Auf einmal wollen alle was von der Kunst – die großen Konzerne, die Superreichen, die Politiker, einfach ALLE – und der steigt so viel Bewunderung natürlich zu Kopf. Sie vernachlässigt ihre Mission. Hat sie sich früher noch angestrengt, gab es gewisse Qualitätsstandards, auf die man sich verlassen konnte, und Botschaften, die an alle gerichtet zu sein schienen, dreht sie jetzt völlig frei und macht, was sie will. Narzisstische Allüren wohin man auch schaut. Hier schnell eine Strumpfhose zwischen zwei Stöcke gespannt, dort bisschen Neonfarbe auf die Leinwand gekleckert oder auch ein olles Brett mal so schräg gegen die Wand gelehnt – „Alles geht, alles ist Kunst“. Und ihre armen Liebhaber, sie verstehen langsam aber sicher die Welt nicht mehr. Noch stets erwartungsvoll, geduldig und mit den besten Absichten stehen sie vor den Ausstellungshäusern an, zahlen Eintritt, um dann wie bestellt und nicht abgeholt in selbigen herumzuirren – suchend, hoffend, wartend: Hier war sie doch groß angekündigt, die Kunst, wo ist sie denn jetzt bloß?! Und werden dabei zu allem Überfluss auch noch getriezt und aufs Schärfste beobachtet vom Aufsichtspersonal. Dabei würden sie so gerne einfach nur der Kunst begegnen, ihr wissend nickend auf die Schulter klopfen, mit Kennerblick applaudieren oder schlicht ergriffen sein von etwas Höherem. Doch nun sind sie verwirrt, konfrontiert mit einer völlig unverständlichen, zudem höchst sinnlos und banal erscheinenden Bildsprache.
Aber zum Glück gibt es ja noch die Kunstvermittlung, es gibt die Kunstkritik, es gibt erklärende, deutende Texte zu den angeblichen Kunstwerken. Doch wie groß das Entsetzen der verständnisvoll um Verständnis Bemühten, als sich herausstellt, dass auch die Schreiber offenbar Teil der Verschwörung sind. Nichts als Worthülsen! Nonsens, kryptische, pseudointellektuelle Wortkaskaden. Das kann doch nicht … das darf doch nicht … Panik setzt ein. Denn es ist ja so, Nicole Zepter bringt es allen noch mal mit einem Paukenschlag ins Gedächtnis: „Wer Kunst versteht, ist intelligent. Wer Kunst nicht versteht, setzt sich dem Verdacht aus, doof zu sein.“ Und dass es etwas zu verstehen geben muss, ist klar, zumindest wenn es sich wirklich um echte Kunst handelt. Denn die hat immer eine tiefere Bedeutung, das wissen die Kunstliebhaber, da sind sie sich ganz sicher. Denn wenn da nichts wäre, nur Leere – ja was hätte das denn dann alles für einen Sinn? Entsprang nicht ihre ganze verzweifelte Liebe am Ende dieser einen großen Sehnsucht nach Bedeutung? Und jetzt soll da gar keine sein?!? Nein, der Fehler liegt mit Sicherheit nicht im System, sondern bei den Rezipienten.
Da sitzen sie nun, die zurückgewiesenen Verehrer, noch immer gefangen in einem falschen Respekt vor den Idealisierungen, die sie selbst einst vorgenommen haben. Und dieser verdammte Respekt hindert sie jetzt daran, von ihrer grenzenlosen Bewunderung zu lassen und diese Kunst stattdessen einfach mal am Kragen zu schnappen und so richtig durchzuschütteln, die arrogante Pute. Denn die einzige Rolle, die sie ihnen offenbar in diesem Spiel zugedacht hat, ist die des ehrfürchtig-staunenden Zaungasts. Schwer, sich da des Gefühls von Unwürdigkeit zu erwehren, während einige wenige andere, die mit viel Geld und Einfluss nämlich, deren Werben die Kunst sofort erhört hat, sämtliche Distinktionsgewinne einstreichen. Und die sind hoch. Die Verluste ebenso: „Ausgrenzung ist zwangsläufige Folge der elitären Ausstellungskultur.“
In schneller Folge liest Nicole Zepter nun die weiteren Anklagepunkte vor: „Kunst ist ein Business“, „Kunst ist ein Klischee“, „Kunst sieht immer aus wie Kunst“, „Kunst ist todernst“, „Kunst ist instrumentalisiert, banalisiert, generalisiert“, „Kunst ist Mythos, der Museumsalltag enttäuschend“, „Kunst als Ruine“, „Die Kunst steckt fest in einem tiefen sakralen Horror, gefangen im Irrglauben an das Genie und den Wahnsinn, festgefahren in musealer Architektur und sehr vielen White Cubes“ etc., etc.
Sie holt erschöpft Atem, stutzt kurz und wendet sich dann zum ersten Mal fragend an die Opfer dieses Dramas. „Warum bewundern wir Kunst, die uns langweilt?“ Die Liebhaber schauen betreten zu Boden. Unter Tränen meldet sich einer zu Wort: „Kunst ist ein Geheimnis, wie die Liebe. Sie schlägt ein, sie wirft uns um, wir wissen nicht, warum …“ Dann versagt ihm die Stimme. Alles was sie wollten, hofften, wünschten war doch nur: „überrascht zu werden, begeistert sogar, erschrocken, verstört oder vielleicht verzaubert.“ Eigentlich nicht zu viel verlangt. Stattdessen nun: profunde Langeweile, umfassende Genervtheit, peinliches Fremdschämen. Kein Wunder, dass auf diese Weise Hass aufkeimt, die Fronten sich verhärten.
Das sieht nicht wirklich nach einem Happy End aus. Plötzlich bricht die Kunst ihr Schweigen. Hastig springt sie auf, wobei ihr Stuhl krachend umkippt, und spuckt ihren Kaugummi zur Seite. „So viel Anspruch muss erst mal erfüllt werden“, faucht sie ihre Liebhaber aufgebracht an. „Liebe braucht Ehrlichkeit, sonst fehlt es ihr an Tiefe. So sollte also jeder, der auf die Frage: ‚Was ist das Innovativste, was Sie kürzlich gesehen haben?’“ – jetzt verhaspelt sie sich sogar vor lauter Wut – „und keine Antwort darauf findet, ehrlich sagen können: ‚Nichts.’“
In diesem Moment schlägt ein Gong und der Fortgang der Verhandlung wird bis auf Weiteres vertagt.

Nicole Zepter: „Kunst hassen. Eine enttäuschte Liebe“, Tropen, Stuttgart 2013.
Titelgestaltung „Kunst hassen“ (© )
01_2.JPG (© Montage: Andreas Koch)
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