Harun Farocki

Hamburger Bahnhof

2014:Mar // Anne Marie Freybourg

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03-2014
















Poesie und Analyse

Harun Farocki, dem Berliner Filmemacher und Künstler, ist in Berlin endlich eine Museumsausstellung gewidmet. Um diesem interessanten und international äußerst geschätzten Künstler eine größere Präsentation zu widmen, brauchte der Hamburger Bahnhof wohl gleich zwei Anstöße: einen runden Geburtstag und eine Schenkung. Farocki ist dieses Jahr 70 Jahre geworden und der Outset-Contemporary-Art-Fund hat dem Museum die vierteilige Werkreihe „Ernste Spiele“ (2009–2010) geschenkt. Aber freuen wir uns, dass wir in Berlin nun in einer kompakten Zusammenstellung Farockis Analyse der Computersimulationen, die beim amerikanischen Militär zu Kriegsvorbereitung wie auch zur Aufarbeitung der psychischen Kriegsschäden ihrer Soldaten eingesetzt werden, in einer technisch wie räumlich hervorragenden Präsentation sehen können. Ergänzt wird die Werkreihe durch zwei ganz frühe Arbeiten. Zu sehen sind die neu gemasterte, digitale Fassung von Farockis wegweisendem Film „Nicht löschbares Feuer“ (1969) und „Schnittstelle“ (1995). Es ist wichtig, dass diese beiden Filme auch zu sehen sind, weil so klar wird, wie sehr sich Harun Farocki immer schon intensiv und kritisch mit dem Thema „Krieg“ beschäftigt hat. Der Vietnamkrieg war für die damalige junge Studentengeneration weltweit der entscheidende historische Einschnitt, der sie politisierte. Farocki studierte zu der Zeit schon an der Berliner Film- und Fernsehakademie und begann seine Karriere als dokumentarischer Filmemacher mit radikalen Filmpamphleten. Farocki hat einen ganz eigenen essayistischen Filmstil entwickelt. Als Dokumentarfilmer beobachtet er vor Ort die Menschen, die Handlungen, die Geschehnisse. So war er, um die besondere Bildwelt der Kriegsvorbereitung und -nachbereitung dokumentieren zu können, in Fort Lewis und auf der Marine Base Twentynine Palms. Dabei tritt der Autor nicht wie ein allgegenwärtiger und allwissender Showman und Fernsehreporter auf, wie es im deutschen Fernsehen Usus geworden ist, sondern Farocki versteht seine Rolle eher als Fragender, sich bemühend, etwas zu verstehen. Deshalb wahrt er bewusst eine kritische Distanz, wie sie auch einen guten Wissenschaftler auszeichnet. In seinem Vorgehen kann man Farocki mit einem Soziologen oder Ethnologen vergleichen. Direkt vor Ort seiend, sich aber nicht involvieren und auch nicht involvieren lassen, auf dass man nicht den kühlen Blick verliert. Was für seine Werke aber nicht bedeutet, dass sie kalt wären. Sie sind durch einen Blick charakterisiert, den man als nüchtern und emphatisch zugleich bezeichnen kann. Nur so kann wohl das in seinen Arbeiten entstehen, was Farocki selbst eine „dichte Darstellung“ nennt, durch die „über den Geist der Gegenwart viel zu erfahren ist“.
Souverän handhabt Harun Farocki in seinen Filmessays das analytische Instrumentarium soziologischer und ethnologischer Fragestellung. Man muss für seine Arbeitsweise zudem den Begriff des „Mikrologen“ neu erfinden, denn er kennt, wie kaum ein anderer, die Feinstrukturen der filmischen Bilder, überhaupt unserer medialen Bilderwelt, kann sie sezieren und deuten. Farocki praktiziert dies mit einer ungewöhnlichen Mischung aus analytischem und poetischem Zugriff. Anders als Alexander Kluge, der fiktiv und erzählerisch sehr verspielt in seinen Filmen wie auch Texten ist, ist Farocki mit seinen Filmessays darauf aus, einen knappen, auf den Punkt kommenden Zusammenhang zu konstruieren. Die Komplexität der diffizilen, von ihm bevorzugten Themen „Krieg“ und „Arbeit“ wird dabei jedoch nie reduziert oder simplifiziert, sondern angemessen reflektiert. Leicht wird man von dem neugierigen, stets nachsetzenden Fragegestus der Filme angesteckt. Bei der Eröffnung im Hamburger Bahnhof hat man nachher im Café selten so viele Menschen so intensiv miteinander diskutieren sehen.
Man kann hoffen, dass die Besucher dieser Ausstellung auf das gesamte Werk von Farocki neugierig werden und sich auch seine anderen Filmarbeiten ansehen, die sich immer wieder dem Thema „Arbeit“ und der Veränderung von Arbeitsweisen oder dem „making of pictures“, der artistischen oder kommerziellen Herstellung von Bildern, gewidmet haben.

Harun Farocki „Ernste Spiele“ , Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50–51, 10557 Berlin, 6. 2. 2014–13. 7. 2014
„Ernste Spiele I: Watson ist hin“ (© Harun Farocki)
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