Tagebuch

2010:Mar // Einer von hundert

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02-2010
















Mittwoch, 11.11. 2009

7 Uhr Hauptbahnhof. Ich treffe einen Kollegen mit zwei kleinen Bildern auf dem Weg zu einer Gruppenausstellung am Arsch der Welt. Acht Stunden Fahrt mit einem laschen Pfannkuchen und einer noch lascheren Monopol. Das klingt nicht nur mies.

Sonntag, 15.11.2009

Das KOW-Gebäude sieht zwar recht schick aus, aber irgendwie auch deplatziert. Ähnlich den dicken Sportgeländewagen von BMW oder Audi, die mittlerweile im Viertel parken und manchmal angezündet werden. Wahrscheinlich ist der Energiebedarf des Hauses durch die Plastikfassade ähnlich übertrieben.

Dienstag, 24.11.2009

Wie geht das noch mal? Wenn ich marktmäßig durchstarten will, dann muss ich total konsequent im Werk sein. Wenn ich aber total konsequent im Werk bin, also wenn ich mich ständig zwanghaft wiederhole, damit das zu Stil führt, dann kann es sein, dass ich mich auch total langweile, weil ich ja immer dasselbe machen muss. Tolle Alternative.

Montag, 30.11.2009

Wer wie ich in Charlottenburg wohnt, kann es seit einiger Zeit mit der Angst zu tun bekommen. In Kunstkreisen raunt man sich immer öfter „Charlottenburg“ zu. Guido Baudach zeigt seine Jungs ab sofort in der Carmerstraße, unweit der „Dicken Wirtin“ und dem„Zwiebelfisch“, falls diese Namen irgendwem weiter im Osten was sagen. Was ist mit der tollen Industriehalle in Wedding? Nicht neubürgerlich genug? Und was will Rafael Horzon mit dieser Geschenkboutique namens „Elgarafi“ in der Grolmannstraße? Unter anderem im Sortiment: Selbstgebrannte vom Herrn von Stauffenberg, hochfeine Kaschmirschals und Kunst aus der Sammlung des Ehepaars Schröder-Elgarafi. Bislang fuhren wir Charlottenburger zum gepflegten Distinktionsgewinn nach Mitte oder sonstwohin. Dafür konnten wir unserem Tagesgeschäft unbehelligt von skandinavischen Models und amerikanischen Postfolksängern nachgehen. Bleibt bitte alle, wo ihr seid. Hier gibt es nichts mehr zu gentrifizieren – hier ist schon alles teuer.

Dienstag 1.12.2009

Eben bin ich mal wieder durch die Brunnenstraße geradelt. Neben dem KOW-Gebäude ist das lange eingerüstete Nachbarhaus enthüllt. Statt neu getünchter Fassade ein fassadenfüllender Spruch „Dieses Haus stand früher in einem anderen Land“, Ostalgie neben West-Arroganz. Gestern wurde das besetzte Haus gegenüber geräumt. Auf der Fassade steht noch „Wir bleiben alle“.

Donnerstag, 3.12.2009

Ich sitze im Atelier und glotze aus dem Fenster. Draußen auf dem Hof fährt ein Mann den ganzen Tag im strömenden Regen Getränkekisten hin und her. Mit der Ameise. Manchmal winkt er zu mir herüber. Wer beneidet jetzt wen?

Freitag, 4.12.2009

Kaum zu glauben: es gibt eine Ausstellung mit politischer Kunst in einer Berlin-Mitte-Galerie! Wilma Tolksdorf nämlich zeigt das Setting „From pink to grey“ von Silke Wagner. Vier Leid- und Leitfiguren der feministischen Bewegung, wie z. B. Angela Davis oder Petra Kelly, werden auf unterschiedlichen Ebenen vorgestellt, durch ein ausgewähltes, elegant an die Wand geschriebenes Zitat etwa. Durch Kleidungsstücke, die typisch für die vier Damen waren. Und durch eine Modezeichnung, die selbiges am jeweiligen Polit-Modell präsentiert. Wie politische Brisanz, so denk ich mir, zum bloßen „radical chic“ verkommt, dies steht hier zur kritischen Disposition. Gut so!

Donnerstag, 10.12.2009

Erst jetzt wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass das KOW-Nachbarhaus eine offizielle Gedenkschrift zum Mauerfall ist und kein Protest der verbliebenen Ost-Ureinwohner. Drüber steht nämlich „Menschlicher Wille kann alles versetzen“. Ausgedacht und designt von dem Topwerber Jean-Remy von Matt. Ich würde das umtexten in „Welches dieser beiden Häuser sieht eher aus als komme es aus einem anderen Land?“

Freitag, 03.12.2009

Heute die Voraberöffnung in der Temporären Kunsthalle für alle Künstler. Ein skurriles Setting in dem alle etwas autistisch aussehend mit Kopfhörer und Acousticguide durch die Halle laufen, sich aber gar nicht so verhalten. Im Gegenteil, es entstehen muntere Smalltalks, die lauter sind als das was man durch die Kopfhörer wahrnehmen kann. Man tauscht seine Tracknummern aus und lauscht den Beiträgen des Gegenübers. Oder man sucht die Nummern, die alphabetisch sortiert sind, auf gut Glück und hat nach drei, vier Versuchen die Arbeit des eben Vorbeigegangenen im Ohr. Die Namen an der Wand braucht man dann gar nicht mehr lesen. Der Netzwerkgedanke funktioniert hier in Reinkultur.

Montag 07.12.2009

Die Galerie „Nice and Fit“ hat sich offenbar wieder halbiert und ihre ursprünglichen Räume an eine Kleiderboutique abgegeben. Nomen est omen? Hoffentlich ereilt ihre verbleibende Hälfte nicht das gleiche Schicksal.

Mittwoch, 05.01.2010

Der Kunst täte es nicht gut, würde es zu „bourgeois“ zugehen. So der Tenor eines kurzen Fernsehinterviews für die Kulturnachrichten des RBB. Ausgestrahlt wurde es im Herbst letzten Jahres. Die Einschätzung kann von Martin Klosterfelde, passgenau knapp vor der Eröffnung seiner neuen Galerieräume in der Potsdamer Straße. In Mitte wäre die zuletzt zum Problem geworden. Vom Echten, von sozialer Realität dagegen, davon profitiere die Kunst. In den neuen Galerieräumen in Schöneberg herrscht in diesem Sinne ideale Balance. Das Beletage-Ambiente könnte bourgeoiser nicht sein, die soziale Realität innen wie außen kaum echter. Interessant daran ist allerdings: die Kunst bedarf des Echten traditionell weit weniger als der Kunsthandel, in dem es seinerseits seit jeher bourgeoiser als anderswo zugeht. Die aktuelle Schau von Armin Linke als kurzfristiger Ersatz für David Peterman zeigt zumindest diese Problematik sehr genau am passenden Ort mit entsprechendem Einsatz.

Freitag, 15.01.2010

Ich war im Haus Walden und habe gesehen: Freaks – Dominosteine – sie fallen um – sie stehen auf – sie drehen sich im Kreis. Es war echt voll öde. Das ist mein Eindruck gewesen – da waren die Cowboys vom Polnischen Kulturzentrum nebenan echt fetziger.

Sonntag, 03.01.2010

Ich denke immer öfter an die Gegend um den Rosenthaler Platz, wo es bis vor einigen Jahren noch echt was zu sehen gab für junge Touristen, sich die Dinge aber soweit geändert haben, dass sich die jungen Touristen nun leider fast ausschließlich gegenseitig anschauen müssen, weil die, die sie eigentlich anschauen wollten, weswegen sie den Weg nach Berlin gemacht haben, schon längst nicht mehr da sind, weil sie entweder nicht mehr da sein wollen, wegen der Menge an jungen Touristen zum Beispiel, oder weil sie einfach nicht mehr da sein können, denn das Geld, was man braucht, um zu bleiben, das will auch erst einmal verdient sein, wenig ist es nicht, wobei das Wort Gentrifizierung jetzt mal nicht fallen soll. Jedenfalls steht da jetzt ein Ho(s)tel neben dem anderen, dazwischen hippe Edelstahlcurrybuden, die sich, wie früher die Off-Kunst-Projekt-Ausstellungs-Selbstvermarktungs-Initiativen, in Räume einmieten, die sie nicht mehr umbenennen, weil das in Berlin einfach so ist oder war. Die Currybude als gewissermaßen allerletzter Anker im Fleisch der jüngsten Vergangenheit. Sonst alles recht neu und präsentabel. Aber kann eine Stadt kann nur aus Besuchern bestehen? Warum nicht! Curr(h)o(s)tel neben Art(h)o(s)tel neben Fußball(h)o(s)tel neben Ital(h)o(s)tel neben Dreck(h)o(s)tel neben Sush(h)o(s)tel neben Schauspiel(h)o(s)tel.

Dienstag, 19.02.2010

Matthias Arndt steht ganz alleine da. Über den Verbleib der Partner kursieren bisher freilich unterschiedliche Meldungen. Die Potsdamer Straße wird dagegen, vieles spricht dafür, um einen Kunststandort reicher. Dort wird Arndt noch in diesem Jahr, pünktlich zum Gallery Weekend seine Galerie eröffnen. An der diesjährigen, nunmehr vierten Ausgabe des Gallery Weekend nimmt Arndt nicht teil. Es werden Sammler aus dem In- und Ausland sowie ein interessiertes Fachpublikum erwartet.

Sonntag, 17.01.2010

Es ist mitten in der Nacht. Ich stehe nackt und betrunken an der Formatkreissäge und weine so laut, dass die Nachbarn aufwachen. Ich kann mich nicht erinnern, was ich machen wollte.

Freitag, 22.01.2010

Daniel Birnbaum zitiert derart oft Derrida, Deleuze, Baudrillard und Lacan, und zwar eingehüllt in einer Duftwolke aus Comme des Garçons, dass ich mit sofortiger Wirkung beschloss, bisexuell zu werden.

Samstag, 23.01.2010

Das Forgotten Bar Projekt, erinnert und initiiert in Kreuzberg  – oder die Frage: Muss man luschig präsentierte Kunstwerke instrumentalisieren, um sich all wochenendlich in einer heruntergekommenen, ach so kleinen Bar zu treffen? Was ist das Resultat einer solchen vermeintlich ästhetischen Einübung? Wohl ein hipper Life Style der etwas anderen Art, aber eben nicht mehr. Erstaunlich, wie viele da mittrinken!

Sonntag, 24.01.2010

„Gegen die Form“ ist eine Malereiausstellung bei Cruise & Callas in der Köpenicker Straße betitelt. Die von Gesine Borcherdt, Kuratorin und Partnerin des Künstlers Armin Boehm, eingerichtete Schau nimmt ihren konzeptionellen Ausgangspunkt, nämlich eine Auswahl historischer Arbeiten des Informel aus Beständen der Berliner Galerie Nothelfer, sehr wörtlich. Die Schau könnte, als nicht weniger konsequent vertretbares Anliegen, die Parole „Gegen das Vergessen“ im Titel tragen. Neben Arbeiten von Boehm, Karl Fred Dahmen, Ralf Dereich, Helmut Dorner, Karl Otto Goetz, Anselm Reyle, Emil Schumacher und K.R.H. Sonderborg sind auch Bilder von André Butzer und Fred Thieler zu sehen. Letztere erlauben eine eher ambivalente Perspektive auf die Formalisierung informeller Malerei zulassen.

Dienstag, 26.01.2010

Ich lese ein herrliches Zitat von Peter Roehr: „Ich weiß nicht genau, ob das was ich mache, Kunst ist. Ich wüsste aber auch nicht, was es sonst sein sollte.“

Mittwoch, 03.02.2010

Ein Stamm „Eingeborener“ unbeleckt von jeder „Zivilisa­tion“ – „natürlich“ ein (Medien)fake. Und der Ausgangspunkt für Clemens von Wedemeyers Ausstellung „The Fourth Wall“ bei KOW. Klar: Da wird die mediale Konstruktion vorgeführt, etwa in einer Filmeinstellung einer „Eingeborenen“, der ein Beleuchtungsmesser vors Gesicht gehalten wird. Das Problem nur, dass in dieser Einstellung bereits die ganze Ausstellung enthalten ist, die sich dann überaus redundant (und kostspielig) über gleich zwei Etagen erstreckt. Dabei fährt der Musterschüler Wedemeyer in sklavischer Ergebenheit vor dem akademischen Kanon genau das auf, was jeder Student erwartet: Vitrinen mit Büchern, gerahmte Filmposter, Interviews … So ist die Show vorhersehbar bis ins Letzte – und zum Gähnen langweilig!

Stadtimpressionen (© Fotos: vonhundert)
Stadtimpressionen (© Foto: vonhundert)
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