Isa Genzken

Buchholz, Neugerriemschneider

2010:Feb // Birgit Effinger

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02-2010
















Große Kunst, sagen die einen. Kunstmarkt-Ramsch, bemerken die anderen. Manche halten Isa Genzken für die international renommierteste Künstlerin der Gegenwart. Spätestens seit ihrer letztjährigen umfassenden Retrospektive, mit der die renovierte Whitechapell Gallery in London wiedereröffnet wurde und die im Anschluss im Museum Ludwig zu sehen war, kommt man an Genzken kaum vorbei. Und vielleicht ist es gerade die permanente künstlerische Selbstrevision, diese sich beständig selbst revidierende, von unterschiedlichen Punkten aus immer wieder neu ansetzende skulpturale Methodik, die zu Genzkens Bedeutung beiträgt. Genzkens aktuelles Werk zeichnet sich kompositorisch durch einen überladenen Trash-Look aus, in dem scheinbar aufs Geratewohl Baumarktutensilien, Found Footage, Glamour, Kitsch und große oder kleine Politik vermanscht werden. Für Überraschungen wird immer gesorgt. Etwa in Genzkens Berliner Doppelausstellung „Wind“. Hier machten die Galerien Neugerriemschneider und Daniel Buchholz aus der in dieser Zeitschrift jüngst beschriebenen – durch den Galerienzug bedingten – Einbuße ihrer territorialen Alleinvertretung flugs eine Tugend: Sie präsentierten ein komplexes Set aktueller Readymade-Assemblagen, die sich unter anderem durch eine emphatische Bezugnahme auf die im Juni 2009 verstorbene Popikone Michael Jackson auszeichneten. So greift Genzken in „Michael Jackson (Wind II)“ (bei Daniel Buchholz) mit einer von Annie Leibovitz aufgenommenen Fotostrecke von Michael Jackson Gesten der Appropriation auf und fügt Dinge in Sinne des Objet trouvé ein, verquickt diese in scheinbarer Beiläufigkeit mit ineinander verschachtelten, goldfarbig besprühten Plastik-und Spiegelfolien. Handelt es sich dabei nun um wohlfeile Transpositionen, die in einem Spiel güldener low/high – Verschiebungen den gleißenden Oberflächen der Popkultur zu Leibe rücken? Erst einmal laufen sämtliche „Wind“-Arbeiten trotz ihres offenkundigen Gegenwartbezuges auf keine einheitliche Story hinaus. Denn die drapierten Jackson-Fotos, von denen eines zur Sternstunde des King of Pop die Titelseite von Vanity Fair (1989) zierte, verharren in einer eigentümlichen Zwischenposition und verweisen allenfalls allegorisch auf die tragische Figur des Superstars. Indem die Glamourposen in der kompositorischen Anlage als syntaktisierte Bildelemente in die Wandarbeit manövriert werden, gerinnen sie zu vermittelten Oberflächenphänomenen, d.h. zu Abstraktionen ihrer selbst. Genzken erweist sich hier tatsächlich als Formalistin. Der Trash-Look stammt nicht von Bastlerhand. Das demonstriert noch drastischer das raumgreifende Skulpturenensemble „Wind (D)“ im zentralen Raum der Galerie Buchholz: Die vier miteinander korrespondierenden, über drei Meter hohen Pfeilerskulpturen scheinen ein Ballet der Dinge vorzuführen: Stoffdraperien, die in barocker Manier zwei Säulen umhüllen und schnöde mit Tackernadeln befestigt sind, an den Stirnseiten sind weitere Fotos von Michael Jackson auf Verdunklungsfolie geleimt, auf einer Seite übersprühte CDs, da und dort prangt ein Kätzchenbild und an anderer Stelle die Signatur der Künstlerin – die Beschreibung des kombinatorischen Exzesses dieser materialreichen Arbeit ließe sich noch weiter fortsetzen. Und dennoch: Nichts davon ist belanglose Staffage. Der Materialoverkill scheint kompositorisch vollkommen beherrscht. Mit Produkten der Unterhaltungsindustrie und dem Materialarsenal aus dem Bastelladen wird hier ein kleines Welttheater errichtet, das sich gewissermaßen seinen eigenen autonomen Zusammenhang schafft. Das ermüdet unter Umständen auch ein wenig. Trotz der augenscheinlichen Offenheit verschränken sich sämtliche Versatzstücke in einem formal-ästhetischen Spiel räumlicher Beziehungen zu einem irritierend stimmigen Gebilde. All das Trashige, Popkulturelle und Aleatorische mündet in einem klaustrophobischen Gefüge innerer Bedeutungsverhältnisse. Das Ballett der Dinge gibt nicht mehr von sich preis, als das, was die Künstlerin virtuos und präzise hineingepackt hat. Je nach Gusto lässt sich diese souveräne Komposition als Metapher zur Gegenwartsdiagnose lesen, in der alle Oberflächenbedeutung uniformer Glanz ist. Dies ließe sich dann wiederum als gesellschaftlicher Kommentar oder gar als Konsumkritik interpretieren. Vollführt das opulente Arrangement dann nicht eher ein hermetisches, selbstgenügsames Spiel mit dehnbarem Deutungspotential wo gegebenenfalls greifbare kritische Masse vonnöten wäre? Sicherlich suggeriert die Materialakkumulation einen beträchtlichen Verweisungshorizont. Gleichwohl drohen die meisterhaft in Szene gesetzten Oberflächenreize gerade ob ihrer formvollendeten Korrelation buchstäblich ins Leere zu laufen. Dass weniger zuweilen mehr ist, das offenbaren die Bildkonstellationen bei Neugerriemschneider: Auch hier speisen sich die Wandarbeiten aus einer Vielzahl von Quellen, darunter Plakate mit Ausstellungsankündigungen, etwa von Roger van der Weyden, Kalenderblätter mit Blumenbildern, reißerische Schlagzeilen, selbstredend wieder Michael-Jackson-Fotografien und etliche weitere kunsthistorische Anspielungen. So macht man zum Beispiel in „New York Post Office“ neben besagten Plakaten ein kleines Foto von der Künstlerin selbst aus und entdeckt unversehens einen kleinen Zeitungsausschnitt mit der Titelzeile: 1,2 Milliarden Menschen hungern. Wiederum sind die Werke bei Neugerriemschneider durch eine betont nachlässige ‚Messiness’ geprägt. Diese wird jedoch vornehmlich einem streng kompositorischen Raster unterworfen, welches einen paradoxen Effekt mit sich bringt: Es verbindet und spaltet zugleich. In ihrer unterkühlten Qualität zeigt beispielsweise „New York Post Office“ eine konfliktgeladene Anordnung von Materialien, die die Kluft zwischen kohärenter Bildgestalt und Andeutung offen lässt. Die aleatorische Anordnung schlägt dialektische Volten, die geradezu dazu zwingen, der Gleichzeitigkeit zwischen Konflikt und Übereinstimmung Rechnung zu tragen. Die etwaige Überbrückung bleibt Aufgabe der Betrachter. Genauer gesagt sind es bei den „Wind“-Arbeiten eher Genzkens relativ dezente Bildstrategien, die dazu herausfordern, die heterogenen Bildbausteine im Akt der Wahrnehmung aufeinander beziehbar werden zu lassen. Infolgedessen erinnern die „Wind“-Arbeiten an jene Montagesequenzen der Jahresrückblicke, von denen man mit einem Angebot an Ereignissen überrollt wird. Diese geben keinen anderen Zusammenhang zu erkennen, als ihren Status als Zeichen des Aktuellen. Was man damit macht bleibt jedem selbst überlassen. Im besten Falle reimt man sich eine eigene interessante Aussage zusammen. Schließlich bedeutet doppelter Wind das Achtfache an erzeugter Energie.


Isa Genzken „Wind“


Galerie Daniel Buchholz


Fasanenstraße 30


10719 Berlin


27.11.2009–30.1.2010

neugerriemschneider


Linienstraße 155


10115 Berlin


28.11.2009–9.1.2010

Isa Genzken „Wind (N.Y. Post Office)“, 2009 (© Foto: Jens Ziehe, Berlin, Courtesy neugerriemschneider, Berlin)
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