Ancart, Guilbert

Hunchentoot

2010:Feb // Konstanze Seifert

Startseite > Archiv > 02-2010 > Ancart, Guilbert

02-2010
















Vernissagen, auf denen man nicht geschäftig in ein Gespräch verwickelt, sondern allein ist, können unangenehm sein. Man steht dann so rum, guckt – wenn die Kunst gefällt. Gefällt sie nicht, dann schnell weg, fünf Minuten, alles gesehen, fertig, raus. Fürs Bleiben aber muss man sich beschäftigt geben. Die Kunst reicht nicht, die hängt im Hintergrund. Also Prosecco: „Ja, ich hätte auch gern, vielen Dank, nett.“ Zwei Minuten später sagt die Galeristin zu mir: „Komm, ich stell dich den Künstlern vor.“ Mich den Künstlern vorstellen? Und dann? Und warum? Und was soll ich jetzt so schnell sagen? – „Hallo, Harold Ancart“, sagt er und streckt mir die Hand entgegen, „Das ist Brice, wir haben das hier zusammen gemacht.“

Die Arbeiten gehen von der Zeichnung aus, alle. Ancarts Nylonfadenskulptur, die sich im rechten Winkel durch den Raum spannt, sich, durchsichtig fast, sich trotz allem behauptet und an der stellenweise schwarze Farbe klebt wie Asche, die weint und von Fäden aufgefangen wird – sie ist nicht Skulptur, sondern Zeichnung. Guilberts tiefschwarze Blätter, die nur mit Kreppband an der Wand befestigt sind, ganz reduziert und schlicht, so dass das Schwarz atmen kann und auch der Raum hinter ihm Thema wird, als kleiner Schatten unten am Rand – sie sind nicht Malerei, sondern Zeichnung. Ausgesetzt und freigegeben für den Raum. Zeichnung in Extremform, denn nicht gezeichnete Linie oder Form zählt, sondern die Geste: Schwarz, welches auf der Wand erst zur Zeichnung wird, durch das Weiß, das sich darum legt, es rahmt.


Die schwarzen Blätter sind nicht Farb- oder Strukturstudien, darum geht es nicht. Die geometrischen Fadenkonstruktionen verstehen sich nicht als in den Raum gesetzte geometrische Fadenkonstruktionen, darum geht es nicht. „Black Market“ ist jenseits von Antwort und positiver Affirmation; ist Paradox: Kunst, die sich zeigt und dabei so desinteressiert an sich selbst ist… Kunst, die nicht ihr Mittelpunkt sein will, sondern ablenkt von sich, um zu zeigen, was außerhalb ist. Kunst, die auf die Leere des Raums verweist und damit Unsichtbares sichtbar macht, die das Unsichtbare andeutet und – es dann dabei belässt.


Normalerweise verstopfen Objekte den Raum, den sie einnehmen, drängen ihn beiseite und füllen ihn an mit sich selbst. Ancarts durch den Raum gespannte, zu Würfel oder Rechteck sich fügende Fäden, fassen den Raum in seiner Leere. Sie geben der Leere eine Gestalt, lassen sie atmen und spannen sie nicht ein für irgendwelche Zwecke. Die im rechten Winkel zueinander angebrachten, schwarzen Blätter Guilberts reden von der Tiefe, die sich auftut zwischen ihnen – und die der Betrachter plötzlich, wenn er da so steht, zu spüren bekommt. Es wird dann ungemütlich: die Leere ist jetzt nicht mehr nur leer und leicht. Sie wird schwer und zieht. Ziemlich melancholisch all das: Farbe, die wie Tränen auf Fäden fällt; zwei Schwarz, die ziehen und mir in die Ohren schreien.


Drei-vier Schritte zurück getreten und die Wirkung ist anders. Das wird klar beim Treffen mit den beiden in der Galerie. Wir laufen ihre Kunst ab, reden. Ich gehe nah ran, weiter weg, noch weiter weg von den Arbeiten und wie im Dialog mit Ancart und Guilbert, die sich immerzu aufeinander beziehen, gegenseitig ihre Sätze beenden und einander aushelfen, wie Ping-Pong mit nur einem Spieler, bei dem es nicht ums Gewinnen geht, stehen auch ihre Arbeiten miteinander im Gespräch. Die Zeichnungen, die mir eben noch ihr Schwarz zuriefen, werden jetzt absurd. „News from Chautauqua“: zwei in der Wand klaffende Löcher, vor denen schwarzbekleckerte Fäden „Pretty Precise“ sich in die Wand reinrammen, einfach nur so. „Jurassic Technology“, Ancarts Stahlskulptur – die an zwei dysfunktionale Kleiderhaken erinnert, ich habe meine Assoziation für mich behalten – zusammen mit Guilberts „Purple Rain“ und der Leere zwischen ihnen: einfach nur komisch. Eine Komik, die sich aus der bewussten Distanz zur Sinnebene ergibt, ohne dem Unsinn anheim zu fallen. Und da liegt der Punkt: So wenig die Arbeiten an ihrem Sein und Sinn interessiert sind, soweit sie jede angestrengte Ich-Affirmation und damit den Irrtum, es gäbe auch nur irgendetwas zu sagen, hinter sich lassen, so sehr hüten sie sich davor, in Sinnlosigkeit zu versacken. Nicht Intellekt. Und auch nicht Gaga. Dazwischen! Der Ernst und das Absurde, Frage und entwaffnende Gegenfrage, bleiben im Paradox, in der Schwebe eben, im luftleeren Raum.


Kurz vorm Verlassen der von Vernissage-Besuchern vollgestellten Galerie, wäre ich fast, aber wirklich fast in die gespannten Fäden gerannt. Hab sie nicht gesehen. Hätte nicht ein Arm im rosa Pullover mich kräftig zurückgerissen. Harold hat’s gesehen, peinlich.


Harold Ancart, Brice Guilbert „Black Market“

hunchentoot Galerie


Choriner Straße 8


10119 Berlin


21.11.2009–23.01.2010

Brice Guilbert und Harold Ancart „Black Market“, Ausstellungsansicht (© Courtesy hunchentoot Galerie)
Microtime für Seitenaufbau: 1.23535203934