Manuel Graf

Johann König

2010:Feb // Melanie Franke

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02-2010
















Was würde man arbeiten, wenn man nicht arbeiten müsste? Wenn es also keinerlei Zwänge für den Broterwerb gäbe, sondern wenn für all die Notwendigkeiten, deretwegen man sich mit der Lohnarbeit abmüht, schon gesorgt wäre. Würde man dann weniger arbeiten oder mehr den eigenen Interessen nachgehen? Oder bliebe am Ende alles wie es ist, weil einem ja doch kein besserer Zeitvertreib einfiele? Zu dem „was“ man arbeiten würde, stellt sich auch die Frage „wie“ diese möglicherweise frei gewählte Tätigkeit verrichtet werden würde. Vielleicht würde man mit der neuen Freiheit ja wieder von Hand arbeiten, wie Manuel Graf, der die Objekte seiner bühnenartigen Installationen alle selbst durch Handarbeit herstellt. In Anbetracht der beiden Couchbänke, Tische und Schuhen erscheint dies zunächst absurd, hätte man die doch ebenso gut herstellen lassen können. Sie weisen auch keine gravierenden Unterschiede zu industriell hergestellten Produkten auf, warum also die Mühe, fragt man sich und das Phänomen ist komplexer, als es zunächst den Anschein hat.

Man betritt den mit dunklem Teppichboden ausgelegten zentralen Raum der Galerie König und trifft auf ein gemütliches Arrangement aus zwei flachen Sofabänken, einem Couchtisch, Fernseher und zahlreichen Schuhen, mit Stelzen und bunten Schnürungen, die verstreut um den Couchtisch herumliegen. Auf den Polaroids, die auf dem Tisch liegen, kann man sehen, wie der Schuh am Fuß getragen aussehen würde, was zuvor in der Galerie wohl von einigen Models ausprobiert wurde. Wenn es auch erlaubt ist, würde man wohl eher nicht auf die Idee kommen, diese unbequem aussehenden Schuhe selbst anzulegen. Auf dem Tisch stehen des weiteren Gefäße, die sich hauptsächlich an die levantinischen Kulturen anlehnen und im Fernseher läuft eine Buchbesprechung von Rudolf Steiners „Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft “ (1919). Dem Outfit der Rezensenten nach zu urteilen, ist es eine ältere Aufzeichnung, möglicherweise aus den 1980er Jahren. Als Betrachter darf man in der Installation „mitmachen“, wobei sich das Mitmachen darauf beschränkt, dass man sich auf die Couch setzt und versucht, zwischen Tongefäßen, Schuhen, den Fotos und Rudolf Steiner einen Zusammenhang zu finden.

Dabei geht mir die Handarbeit nicht aus dem Sinn, warum stellt Manuel Graf das alles von Hand her? Es ist ein ziemlicher Aufwand, den man den Dingen nicht einmal wirklich ansieht, die Tongefäße seien einmal ausgenommen. An anderer Stelle soll der Künstler gesagt haben, dass er sich nach der Arbeit am Computer freut, etwas von Hand zu machen, als Ausgleich sozusagen. Unterlegt man dieses Bedürfnis mit Rudolf Steiners Ansatz, demnach Intellekt und körperliche Arbeit einander bedingen und sich der Menschen erst in seiner Ganzheit entwickeln kann, wenn die verschiedenen Anteile in ihm gleichermaßen aktiviert werden, dann deutet man die Installation in eine anthropologische Richtung, in der man sich als Betrachter im Zentrum der Überlegungen und damit der Kunst sehen darf. Schließlich liegt es an einem selbst, ob und wie man die Dinge zueinander in Verbindung setzt, die Vorgaben sind recht offen und doch kann man sich den eindringlichen Stimmen, die aus dem Fernseher plätschern, kaum entziehen. In dem Gespräch geht es auch um den reformerischen Ansatz Steiners, der in der zitierten Schrift den Menschen aus der Allmacht des Staates befreien wollte zugunsten einer sozialen Dreigliederung. Derzufolge soll das soziale Leben in ein freies Geistesleben, ein unabhängiges, auf das Gleichheitsprinzip gegründetes Rechtsleben und ein brüderliches Wirtschaftsleben aufgeteilt werden. Mit dieser Schrift verfocht Steiner eine grundlegende Reform des gesam­ten sozialen Lebens, die er in zahlreichen weiteren Schriften konkret entwickelte. Die sich aus der Lektüre der Schrift ergebenden Fragen wie: Ist der Mensch ein initiatives Wesen, das frei für andere Menschen tätig wird oder müssen gewisse Zwänge da sein, um ihn zu einer Tätigkeit anzuregen? Arbeitet der Mensch nur für andere, wenn er durch eine Entlohnung dazu gezwungen wird oder würde er sich auch ohne diesen Zwang für die Gesellschaft einsetzen? sind grundlegende Fragen, die gar nicht so historisch sind, wie sie vielleicht wirken und gerade wieder in der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen zirkulieren. Konkret wurde Steiners Idee der Konsumbesteuerung von Götz Werner, dem Gründer der Drogeriemarke „dm“ und entscheidender Verfechter des Grundeinkommens im Rahmen des Finanzierungsmodells aufgegriffen und weiter entwickelt. Vereinfacht gesagt sieht er eine Mehrwertsteuer von 50 Prozent oder sogar darüber vor, dabei würden Einkommensteuer und Lohnnebenkosten der Vergangenheit angehören. Ein an keine Voraussetzungen geknüpftes staatliches Grundeinkommen für alle würde, neben vielen anderen Vorteilen, so die Befürworter, nicht nur ein würdigeres, sondern auch ein für Freiräume offenes Leben ermöglichen, so jedenfalls die Ideologie. Wenn man sich vorstellt, dass die Wirtschaft damit den Menschen von der Arbeit befreit, statt ihn zu dieser zu verpflichten, dann scheinen wir in der gegenwärtigen Situation noch weit davon entfernt. Auch verbirgt sich dahinter die Utopie, dass die Gesellschaft stärker nach ästhetischen und künstlerischen Kriterien ausgerichtet sein könnte, als nach kapitalistischen. Zu gerne würde man an dieses Arkadien glauben dürfen. Doch auch in diesem Konzept verbirgt sich eine gewisse Doppelbödigkeit und die Gegner dieses Konzeptes lassen sich allerlei Schimpfworte zur Verunglimpfung einfallen, darunter auch das schöne Wort „Faultierpauschale“, doch diese Krux zu erläutern, würde bedeuten, endgültig den Bezug zur Arbeit „Buchtipp 2“ von Manuel Graf zu verlieren. Denn ob er so weit gedacht hat, dass die gegenwärtige Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen auch auf Rudolf Steiner zurückgeht, bleibt im Unklaren. Jedenfalls geht es in dem Buch und in der Arbeit von Manuel Graf um den Begriff der Arbeit als scheinbar zeitlose utopische Vision und das manifestiert sich auch konkret.

Indem Manuel Graf all die Dinge, die herkömmlicher Weise industriell produziert werden, von Hand selbst herstellt und nicht einfach bestellt, führt er eine Absurdität vor Augen, die man von der anderen Seite betrachtet, auch als Normalität beschreiben könnte; und umgekehrt die von einem Logarithmus gesteuerte Arbeit, als absurd. Das würde der Vorstellung Steiners entsprechen, der in der „Sozialen Frage“ den von Hand arbeitenden Menschen idealisiert, weil er sich in dem, was er tut, eins zu eins als Mensch verwirklichen kann, indem es eine direkte Umsetzung von dem Gedanken durch die Hände in die Materie gibt. Wohingegen die Produktion über die Maschine (heute würde man vermutlich Computer sagen) den Menschen auf sein Inneres angewiesen macht und die damit verbundene Produktion den Menschen nicht für andere, sondern für sich selbst arbeiten lässt. „Er hat nur sein Einkommen im Sinn gehabt. Läßt die soziale Ordnung solche Spielchen zu, führt dies unweigerlich zu weniger Wohlstand für andere Menschen.“ Und der egoistische Anteil war für Steiner, wie man sich denken kann, natürlich nicht erstrebenswert. Man mag das alles als Sozialkitsch abtun und ohne diese ironische Distanz wäre die Arbeit von Manuel Graf wohl auch schwer zu ertragen, was auch ein Grund dafür sein mag, dass er eine Besprechung über das Buch von Steiner zeigt, und nicht die pure Lehre selbst. Denn vor allem in der Art und Weise, wie über das Buch und über Steiner geredet wird, mit einer gewissen Betroffenheitsbefindlichkeit und gewollter Ernsthaftigkeit, artikuliert sich eine für die Ironie notwendige Dissonanz.

Blickt man auf die anderen Objekte in der Installation, insbesondere auf die getöpferten Gefäße, wie die kleine schwarze pferdeförmige Kanne oder die weiße zoomorphe Form und auf die mittelalterlichen Stelzenschuhe, die sich in das zeitgenössische Couchinterieur integrieren, dann kann man sich Aufgrund der Exotik der Objekte Fragen stellen wie: Gibt es Urformen und schallen diese wie ein dumpfes Echo in die Gegenwart hinein? Findet beispielsweise der Plateauschuh seinen Vorgänger im Stelzenschuh? Diese Ursprünglichkeits-Utopie faszinierte die kunsttheoretische Debatte der Moderne in ihrer Frage nach dem Ursprung der Formen und Inspirationsquellen gegenüber der als unerbittlich und bedrohlich erfahrenen technischen Zivilisation. Im Gegensatz zu allen Formen des bürgerlich Genormten entstand ein Leitbild des Archaischen, Südseehaften oder Afrikanischen, das immer stärker ins Utopische tendierte. Doch dieser Dualismus, der immer auf Vorstellungen von Identität und Anderssein basiert, ist in seiner Eindeutigkeit längst nicht mehr gegeben, viel zu komplex sind die wurzelartigen Verflechtungen in den Diskursen. Und genau diese Erkenntnis stellt sich auch in der Installation von Manuel Graf ein, dass man den Einengungstendenzen der modernen „Überzivilisation“ nicht mehr das Prinzip des „Primitiven“ entgegenhalten kann, nicht nur weil das Primitive als Urform ohnehin in allen Formen wiederzufinden ist, sondern auch, weil es sich als Accessoire längst etabliert hat und damit die Faszination des Anderssein einbüßt.

Man bleibt in der Arbeit auf sich selbst zurückgeworfen, der Fernseher strahlt eine Diskussion über ein Buch aus, dessen Utopien in der Gegenwart zwar wieder aktuell sind, aber dennoch Illusion bleiben. Die Schuhe liegen von der Performance einfach da und wirken merkwürdig vergangen, ebenso wie die Tongefäße. Mit diesen Versatzstücken kann man natürlich arbeiten, indem man weiter über die Bedeutung von Handarbeit als anthropologische Konstante oder die Herkunft von Formen sinniert, doch es bleibt schal, wie ein Abend auf der Couch vorm Fernseher.

Manuel Graf „Buchtipp 2“
Johann König
Dessauerstraße 6–7
10963 Berlin
15.01.–06.03.2010

Manuel Graf „Buchtipp 2“, Johann König, Berlin 2010 (© Foto: Roman März, Courtesy Johann König, Berlin)
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