Friedrichstraße

2010:Feb // Barbara Buchmaier

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02-2010
















Ein ständiges Kommen und Gehen, Umsteigen, Hetzen, Shoppen, sonntags noch schnell zum Edeka rein, oder auch einfach ausströmen, nach Mitte, und den meist genutzten Verkehrsknoten Berlins verlassen. Man kennt solche zentralen Orte auch aus anderen Großstädten, ständig angegammelt mischt sich Altes mit Neuem, Currywurst wird Wrap, oder umgekehrt.

Die Friedrichstraße ist voll geworden, die letzte Brache am Bahnhof (Friedrichstraße 100) ist weg: ein weiterer nichts sagender Hoteltempel entsteht. Das gleiche gilt für die noch freien Grundstücke Richtung Berliner Ensemble: Hotels und „Designer-Wohnungen“ auch hier; man fragt sich, für wen?

Der auffälligste Neu-Anrainer vor Ort ist sicherlich das 40 m hohe „Spreedreieck“, frei nach Berliner Schnauze auch „die Spreegurken“ genannt, auf der Nordseite des Bahnhofs, genau auf dem prestigeträchtigen Filet-Grundstück, für das Mies van der Rohe – wie es die Legende sagt – Anfang der 1920er Jahre sein lichtes Glashochhaus entworfen hatte. Ein abweisend dunkler, aus drei Bauteilen bestehender, abgerundeter Zehn-Etager, entworfen vom Architekten Mark Braun, der im Team von Norman Foster maßgeblich am Umbau des Berliner Reichtstags beteiligt war. Anschließend baute Braun mit eigenem Büro das SAP-Gebäude in der Rosenthaler Straße, das durch seine helle, dynamisch geformte Glashaut den Passanten förmlich in sich aufzusaugen scheint.

Braun verstarb jedoch bereits 2006 an Krebs und konnte so die Fertigstellung des „Spreedreiecks“, bzw. des Kompromisses, der davon übrig geblieben ist, nicht mehr erleben. Kompromiss, weil Grundstücksgeschäft und Planungsprozess einen von vielen Skandalen in Berlin ausgelöst haben, der die Öffentlichkeit, den Senat und die Gerichte bis heute beschäftigt, unter anderem mit dem Ergebnis, dass der denkmalgeschützte, seit geraumer Zeit leer stehende Tränenpalast in den Besitz des „Spreedreieck“-Investors Harm Müller-Spreer gelangt ist, dass die endgültige Höhe des Gebäudes immer wieder neu verhandelt werden musste, und dass das gegenüber liegende Hotel Melia sich über Verschattung beschwert und erfolgreich Klage eingereicht hat. Vielleicht ist es interessant, dass der aus Hamburg stammende Investor Müller-Spreer einer der ‚berüchtigsten‘ Investoren von Berlin Mitte ist. Laut Zeitungsmeldungen aus Tagesspiegel und Morgenpost realisierte er zahlreiche ‚hippe‘ Mitte-Architekturen, u. a. das SAP-Gebäude, das neue Hotel gegenüber, den Hofkomplex, in dem sich das „Pan Asia“ befindet oder auch das Gebäude des „Adidas Store“ in der Münzstraße.

Berlin Mitte – Möchtegern Manhattan

Mit der „Ernst & Young Law GmbH“, der „Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft AG“, der „Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH“ und der „Communication & Network Consulting AG“ hat Müller-Spreer bereits einige solvente Mieter gewonnen für seinen klotzigen Neubau. Angeblich mietet allein „Ernst & Young“ sechs Etagen. Vermutlich prangt deshalb auch der „Ernst & Young“-Schriftzug bereits oben an der Fassade und verleiht dem noch großteils leerstehenden Gebäude zumindest einen Hauch von New York-Downtown. Auch das sleeke, vor allem in weißem Leder und warmtonigen Holzfurnier gestaltete Foyer weist einen Stil auf, den man in Berlin so noch nicht kennt. Ein Blick rein lohnt sich. Und weiter hinten, Richtung Baudenkmal Tränenpalast, findet sich bereits das erste Ladengeschäft. „Goertz 17“ zeigt hier, wie vorsätzlich „improvisiert“ ein vom Angebot her eher konventionelles Schuhgeschäft des 21. Jahrhundert aussehen kann.

Genau gegenüber, dort wo heute das 4-Sterne-Hotel Melia seine Gäste empfängt, befand sich bis Ende der 1990er Jahre die Pavillonarchitektur des Tschechischen Kulturinstituts. Nach dessen Umzug eröffnete dort 1997 der Niederländer Waling Boers (heute Galerist in Peking) den inzwischen nicht mehr bestehenden Ausstellungsraum „Büro Friedrich“, der mit seinem international ausgerichteten, tendenziell konzeptuellen Ausstellungsprogramm und regelmäßigen Talk-Veranstaltungen ein wichtiger Treffpunkt der Berliner Szene war. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an die späteren Räumlichkeiten des „Büro Friedrich“ in der Gipsstraße und ab Herbst 2001 in den S-Bahnbögen an der Jannowitzbrücke.

Dass es hier weniger schön ist, dafür aber äußerst zentral und exponiert, dürfte die Kreateure des „Grill Royal“ bewogen haben, ihr Steakhaus nahe dem Bahnhof Friedrichstraße im Souterrain eines ehemaligen DDR-Hotels zu eröffnen, direkt an der Spree, sozusagen fußläufig zu den wichtigen Mitte-Institutionen. Auch dass es in der Gegend etwas ähnlich ‚posches‘ nicht gibt, abgesehen vom „Borchardts“, dem dann doch etwas spießigeren Kiezkonkurrenten, spricht für die Lage. Und dass es dort im Grill jetzt auch richtig ‚contemporary‘ zugeht, hat das Restaurant seinem Mitbetreiber Stefan Landwehr (Inhaber der „Bilderrahmen Landwehr GmbH“) zu verdanken. Denn der hat die komplette, von Rainald Goetz betitelte Gruppen-Ausstellung „Podrostok“ (mit kleinformatigen Werken von 37 KünstlerInnen, darunter Axel Geis, Alicja Kwade, Jens Nordmann und Bernd Ribbeck), die in der von Anne Neukamp und Renaud Regnery kuratierten Kreuzberger Schaufenster-Galerie „Sox“ zu sehen war, eingekauft und im Grill reinszeniert, inklusive nachgebauter Vitrine. Dass die Kunstvitrine im Grill nun in der Nähe eines der gläsernen Edelfleischkühlschränke installiert ist, illustriert den gewollt versnobbten Beigeschmack, der hier kultiviert werden soll.

Kraftwerk Kunstwerk Kommissar

Wer in der Gegend schon dringend nach zeitgenössischer Kunst gesucht hat, dem dürfte der EnBW-Showroom an der Ecke Friedrichstraße/Schiffbauerdamm aufgefallen sein. Hier zeigt die „Energie Baden-Württemberg AG“ im Gebäude ihrer Hauptstadtrepräsentanz seit 2005 in futuristischem Interieur auf etwa 150 qm in Zusammenarbeit mit der Kunststiftung Baden-Württemberg vor allem Einzelausstellungen bildender Künstler, aber auch Präsentationen zum Firmen-Sujet Energie. Die Fassade verkündet die Programme der umliegenden Theater über ein digitales Laufband und die ‚Lichtleiter‘ „True Colors“, eine Lichtinstallation von Peter Kuhn, leuchtet weit über die Spree. Wenn man im Vorwort des 2008 erschienenen Katalogs liest: „Wir nennen das auch einen Ort zur Förderung des Dialogs mit unseren Stakeholdern (…) Die Bandbreite der Ausstellungen reicht von der Präsentation neuer Kraftwerksprojekte über die Fußballausstellung zur WM 2006 bis hin zur Malerei, Fotografie und Videokunst“, muss man sich wohl ernsthaft fragen, welcher Künstler sich in einem solchen Kontext zeigen möchte. Die Realität jedoch zeigt, dass es da durchaus Interessenten gibt.

In Richtung Unter den Linden, vorbei an all den teigig-beigen Geschäftshäusern und Hotels, die hier in den letzten paar Jahren entstanden sind, finden sich zwei Ausstellungsorte, die es sich durchaus zu besuchen lohnt.

Allen bekannt, das „Deutsche Guggenheim“, eine hoch professionell betriebene, gut 500 qm große Ausstellungshalle mit Café und Shop (beides wurde kürzlich neu gestaltet!). Wie auch der Hamburger Bahnhof seine Räume, eröffnete das „Deutsche Guggenheim“ im Jahr 1997 und zwar mit der Ausstellung „Pariser Visionen: Robert Delaunays Serien“. Seitdem ist für die Ausstellungspolitik dieser weltweit inzwischen nicht mehr einmaligen, aber doch eher seltenen Kooperation aus einem Finanzinstitut und einer Museumskette folgende Programmierung typisch: Künstler- und Themenausstellungen (meist von in Berlin noch nicht breiter gezeigten KünstlerInnen) wechseln sich ab mit der Schau von raumbezogenen Auftragsarbeiten („Commissions“), sowie Präsentationen von Werken der Sammlung Deutsche Bank, die oft weniger spannend ausfallen. Kuratiert wird dabei jedoch nie vom hauseigenen Personal, das stattdessen lediglich die „Produktion“ übernehmen darf, sondern ausschließlich von den Guggenheim-KuratorInnen aus New York. Auch die Sammlungsausstellungen werden nicht in Berlin, sondern in Frankfurt konzipiert. 2007, zum zehnjährigen Jubiläum, zogen die Betreiber eine positive Bilanz ihrer Kooperation: „tritt doch das Deutsche Guggenheim nicht nur in der Rolle eines Mäzens für Gegenwartskünstler auf, sondern leistet zugleich Öffentlichkeitsarbeit für sie“. Offensichtlich lohnt sich das korporative Engagement in Berlin für beide Seiten, sogar bis heute, in Zeiten der Finanzkrise.

Der vielleicht spannendste Standort in Sachen zeitgenössische Kunst in Bahnhofsnähe ist die momentan von 13 KünstlerInnen betriebene Produzentengalerie „Stedefreund“, deren GründerInnen ihren Verbund im Jahr 2006 nach dem gleichnamigen Bremer Tatortkommissar benannt haben. Nach der Schließung der Räume in einem Plattenbau im Kunstkiez um den Rosenthaler Platz, befindet sich die Galerie seit März 2009 in der Dorotheenstraße 30, in einem Versorgungsgebäude des von 1976–78 erbauten IHZ. Die Ausstellungsflächen, die man über einen Hofzugang mit industriellem Charakter erreicht, messen etwa 80 qm und befinden sich im Erdgeschoss, mit Fenstern und Rampe zum Hof.

Ein neues, durchaus zu begrüßendes Anliegen der Stede­freund-KünstlerInnen ist es, über das Zeigen eigener Werke und die Konzeption von Gemeinschaftsproduktionen hinaus, die Kooperation mit internationalen Künstlergruppen und Ausstellungsräumen zu forcieren. Auch auf die Ausrichtung, die die neue Leiterin Anne Fäser dem Projekt geben wird, darf man gespannt sein.

Genau gespannt sein sollte man auf die gesamte Entwicklung des Gebiets zwischen Grill und Bank. Welche Geschäfte ziehen in die weitläufigen Ladenflächen des „Spreedreiecks“ ein, und, vor allem, wann ziehen sie ein? Und werden die Macher, Verwalter und Mieter der „Spreegurken“ mit ihrem Produkt langfristig – wie auch immer geartet, geschmacklich oder strukturell – abfärben können und Einfluss nehmen auf das „Development“ des zentralsten Berliner Bahnhof-Quartiers?

Tränenpalast und Spreedreieck (© Foto: Barbara Buchmaier)
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