Boros-Collection-Katalog

2010:Feb // Thomas Wulffen

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02-2010
















Das war noch eine Freude, als der Onkel mal wieder ein Bilderbuch vorbei brachte und man sich endlich in die Ecke zurück ziehen konnte, um in Ruhe das Buch und die Welt wieder in Einklang zu bringen. Schließlich mussten die Gegenständen ja erst noch richtig identifiziert werden, um dann den Abgleich mit der Welt da draußen durchführen zu können. Etwas Ähnliches kann dem Kunstfreund passieren, wenn er sich an das Studium des jüngst erschienenen Katalogs zur Sammlung Boros macht.

Das Buch wiegt mit Schuber 1950 Gramm. Das sind fast zwei Kilogramm, aber solche Dimensionen sind wohl angemessen bei den Ausmaßen des Ausstellungshauses, ehemals ein Bunker, erbaut nach Typenbunkern, die Albert Speer in seiner ‚Generalbauinspektion für die Reichshauptstadt‘ entwickelt hatte. Im Jahre 1942 wird der Bau fertig gestellt, vor allem gedacht für die Reisenden und das Personal des nahegelegenen Bahnhofs Friedrichstraße. Er konnte 1200 Personen beherbergen, aber 1944 suchen bis zu 4000 Menschen Schutz in dem Gebäude.

1992 oder 1993 war der Autor dieser Zeilen tatsächlich auch im Bunker als eine Art Kurator für die dortigen Veranstaltungen tätig. Aber Sex-Partys verdrängten die bildende Kunst. Irgendwie wusste sich die Kunst zu helfen und setzte zur Rückeroberung an: Christian Boros kaufte das Gebäude und baute es um für seine Zwecke. Drinnen fand seine Sammlung Platz und auf dem Dach entstand eine Art Penthouse, um das ich den Besitzer beneide.

Das allerdings gilt nicht für die Kunst im Haus. Ich war nicht begeistert beim ersten Besuch. Da gibt es zum einen eine starke Präsenz von Werken Olafur Eliassons, den ich immer noch für einen überschätzten Künstler halte. Der Ventilator, der sich aus sich selbst heraus bewegt, ist eines seiner gelungenen Werke. Aber die kommende Ausstellung im Martin-­Gropius-Bau wird die Massen anziehen. Dann gibt es eine starke Präsenz von Anselm Reyle, den ich ebenfalls für überschätzt halte. Und nach dem Rundgang möchte man sich fast zu dem Kranken legen, „temporär platziert“, so der passende Titel der Arbeit von Elmgreen & Dragset.

Und dann hält man den Katalog in der Hand und ist von sich selbst überrascht. Denn plötzlich sieht das alles viel besser, irgendwie überzeugender aus. Vielleicht liegt es daran, dass man in den Fotos plötzlich auch den Raum drum herum wahrnimmt. Plötzlich liest man in diesen Fotos auch die Geschichte des Gebäudes, die bei einem Besuch durch die Kunstwerke in den Hintergrund gedrängt wird.

Und Tobias Rehberger wird ein guter Künstler im Umfeld der anderen ‚Koryphäen‘, was einen ein weiteres Mal verwundert. Aber vielleicht sind wir zu Opfern einer Mediatisierung der zeitgenössischen Kunst geworden, ohne es zu merken. Schließlich ist die Wahrnehmung von Kunst tatsächlich auf die Wahrnehmung von Bildern von Bildern angewiesen. Diese Doppelung wird einem selten bewusst oder bewusst gemacht. So kann man den Abbildungen einerseits trauen, weil wir es so gewohnt sind, aber andererseits sucht man nach dem Widerhaken. Jene Ansichten, die deutlich machen, dass es sich hier um Bilder von Bildern handelt. Sind es in diesem Falle die Ansichten des Inneren des Gebäudes selbst, die sich gegenüber den Kunstwerken wie von selbst behaupten? Aber das wiederum provoziert die Frage, ob die Historie hier nicht zum Mittel zum Zweck wird. Vielleicht aber kann der Besucher sich der Historie an diesem Ort tatsächlich nicht entziehen. Oder liegt diese Erfahrung geborgen in der Wahrnehmung dieses Buches?

So könnten wir dann von einem ‚Bilderbilderbuch‘ sprechen und wünschen uns, die Ausstellung mit dem Bilderbilderbuch in der Hand wahrzunehmen, um den Abgleich mit der Welt da drinnen zu finden. Und wenn uns das nicht gelingt, umso besser.

Boros Collection/Bunker Berlin, 2009, 198 Seiten

Hatje Cantz Verlag, ISBN: 978-3-7757-2478-4

Cover besprochenes Buch (Ausschnitt) (© Hatje Cantz Verlag)
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