Markus Lüpertz

U-Bahn Karlsruhe

2023:November // Stephanie Kloss

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11-2023

Schöpfung und Scheitern

Karlsruhe ist eine seltsame Stadt, zufrieden mit sich ist sie nicht. Ständig wird etwas Großes geplant, werden Projekte erdacht und umgesetzt.
Schon vor 300 Jahren träumte Karl Wilhelm, Markgraf von Baden, bei einem Nickerchen im Wald von einer idealen neuen Stadt mit einem prachtvollen Schloss, das sonnengleich im Zentrum lag. Die Straßen sollten kreisförmig wie Strahlen davon abgehen. Vorbild war Versailles, der Name seiner Neugründung: Karls Ruhe. Als Planstadt am Reißbrett entworfen, entstand die neue Stadt aber nur zu einer Seite ihres Zentrums. Der Straßenverlauf ergab keine Sonne mehr, sondern nur noch einen Fächer.
Karlsruhe, die Fächerstadt, ist heute Heimat des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs sowie einer Exzellenzuni, zweier Kunsthochschulen und einer eigenen Kunstmesse. Heinrich Klotz gründete hier das innovative Kunstzentrum für neue Medien, das ZKM, um die klassischen Künste ins digitale Zeitalter zu überführen. Dazu noch eine neue Hochschule für Gestaltung, ausgestattet mit modernster Technik und prominenten Professoren. Rem Koolhaas wurde als Architekt mit seinem Entwurf eines 60 Meter hohen Würfels mit Medienfassade für den Neubau beauftragt „Als Vorbild kann das 1919 gegründete Bauhaus in Weimar gelten“, sagte Klotz. Es war seine Vision von der großen Zukunft der Medienkunst, die später trotz Weibel und Sloterdijk in zunehmender Bedeutungslosigkeit verhallte. Der spektakuläre Neubau wurde aus Kostengründen abgesägt, Koolhaas verklagte die Stadt, ZKM und HfG wurden in einer ehemaligen Waffenfabrik mit unrühmlicher Geschichte untergebracht.
Reich, aber langweilig, auch so wird Karlsruhe im Gegensatz zu Berlin charakterisiert. Um doch irgendwie großstädtischer zu wirken, ersann man wieder einen Plan: Die Stadt bräuchte dringend eine U-Bahn.
Und tatsächlich: nach zwölf Jahren Bauzeit hat Karlsruhe seit einem Jahr die neueste und kürzeste U-Bahn Deutschlands. Eine richtige U-Bahn ist es nicht geworden. Der sogenannten „Kombilösung“, die Straßenbahn im Bereich der Fußgängerzone unterirdisch zu führen, und das dann U-Strab zu nennen, gingen lange Kontroversen über deren Sinnhaftigkeit voraus. Während des Baus entstanden immense neue Kosten durch endlose Bauverzögerungen. Tiefe Gruben und Verkehrschaos prägten das Stadtbild zwölf lange Jahre, eine Postkarte mit allen Baustellen und Grüßen aus Karlsruhe wurde zum Hit.
Nun ist die U-Strab genannt U-Bahn endlich fertig. Sieben überdimensionierte Haltestationen entstanden im Untergrund, das Lichtkonzept von Ingo Maurer leuchtet grell jeden toten Winkel aus. Alle Stationen sind gleich, steril weiß gefliest, nur von ihren jeweiligen Namen in roter Schrift unterschieden, sie haben keinerlei ortsspezifische Individualität so wie in anderen Großstätten. Für die Passagiere der Straßenbahn, die eine U-Bahn sein soll, aber keine ist, sind sie viel zu groß geraten, niemand möchte sich hier länger aufhalten.
Versailles, elektronisches Bauhaus, U-Bahn. Karlsruhe hatte schon viele große Pläne und große Künstler: Markus Lüpertz, das selbsternannte Genie, der Meister und Malerfürst war hier zwölf Jahre Professor an der Staatlichen Kunstakademie, bevor er Rektor in Düsseldorf wurde. Mit mittlerweile 83 Jahren wohnt und malt er immer noch in Karlsruhe, er fühlt sich der Stadt verbunden:


„Karlsruhe war für mich die erste Freiheit
Das dunkle Berlin bestimmte mein Leben
Die kalten Nächte und ungeheizten Ateliers
Die große Straße, die Eckkneipe, die Ruhmlosigkeit
[…]
Und Karlsruhe lockte mich, den Dreißigjährigen
Und die Stadt und die Möglichkeiten knipsten das Licht an
Wärmten mich mit südlichem Charme […]“


Und so nutze Lüpertz im hohen Alter nochmals die Möglichkeiten aus, die die verschlafene Provinz ihm bot, und machte Karlsruhe ungefragt ein Geschenk: Zum 300. Stadtgeburtstag wolle er die sieben neuen U-Bahn-Haltestellen anstelle der Werbetafeln mit seiner Kunst ausstatten. Er hätte Lust auf große Keramikreliefs, Teile der Genesis schwebten ihm vor, die siebentägige Schöpfungsgeschichte an sieben Stationen, vom Meister gottgleich in Ton erschaffen. Er plane in jeder Fahrtrichtung ein Relief, 14 Bilder insgesamt, acht Quadratmeter groß und zerlegt in zehn einzelne Keramiktafeln. Kein Entwurf, kein Wettbewerb wäre nötig, man könne ihm blind vertrauen. Ein Verein möge nun Sponsorengelder eintreiben.
Und so kam es tatsächlich, dass der Verein „Karlsruhe Kunst Erfahren“ mit Spenden von insgesamt einer Million Euro das „Geschenk“ bezahlte und dem Meister seinen Auftrag gab. Viele kritisieren, dass der Künstler ohne Ausschreibung engagiert wurde. Peter Weibel fand das Projekt technisch antiquiert und deplaziert: „Diese biblischen Themen sind letztendlich falsche Fabeln. Und konfessionelle Kunst gehört in die Kirchen, aber nicht in den öffentlichen Raum.“ Sie passe nicht in eine IT-Metropole. Die Grünen waren ähnlicher Meinung. Die Unterstützer des Projekts sahen dagegen einen zukünftigen Touristen-Magnet, sie rechneten mit einem „Elbphilharmonie-Effekt“: „Das Projekt ­GENESIS von Markus Lüpertz hat als Leuchtturmprojekt auch lokal eine Vorbildfunktion und wird die nationale und internationale Aufmerksamkeit auf die regionale Kunstszene steigern.“ Wieder diese Hybris, der große Plan für Karlsruhe, diesmal mit Kunst in einer U-Bahn.
Ein Jahr verspätet war dann die Erschaffung der Welt von Meisters Hand vollbracht, die Genesis wurde enthüllt und exklusiv mit einer nächtlichen Feier im gesperrten U-Bahn-Tunnel eingeweiht. Der Verein war begeistert, sein Freund Gerhard Schröder sowieso, der Künstler selbst sehr zufrieden, mit dem, was er sah, und es war gut. Und das größte zusammenhängende Keramik-Kunstwerk Deutschlands.
Steht man nun unten in der Profanität der unwirtlich hohen Hallen und betrachtet die Keramikreliefs, ist man erstmal erstaunt, dass so etwas überhaupt in einer U-Bahn Station möglich ist: Arbeiten eines der bekanntesten deutschen Künstler direkt und ungeschützt zu zeigen. Das ist erstmal mutig und dreist. Keine grelle Werbung, sondern exklusive Kunst für alle.
Formal genau werbetafelgroß beeinflussen die Reliefs jedoch nicht das ungute Raumgefühl, sie wirken seltsam klein und deplaziert, die Ausführung fast naiv. Wartende schenken der Kunst kaum Beachtung. Wenn überhaupt von den Displays aufgeschaut wird, entsteht meist Unverständnis oder Ablehnung. Die erratischen Szenen zeigen viele nackte Figuren, oft Skelette und Totenschädel, einige Tiere und Städte in Flammen. Die überwiegend in Brauntönen gehalten Kompositionen wirken düster, sie haben keinen Bezug zu ihrem Umfeld, dem gemeinen Volk der Bahnfahrer. Das Warten auf die rumpelnde Straßenbahn hat nichts Metaphysisches oder Religiöses. Hier unten passt nichts zusammen. Der erhoffte Leuchtturm hat kein Licht. Was Lüpertz erschaffen hat, ist kein Geschenk an die Stadt. Er beschenkte sich selbst mit einem exklusiven Egotrip durch alle Stationen.
„Das versteht doch keiner!“, ist das Urteil der meisten Karlsruher. Die Bürger bemängeln den inhaltlich schweren Zugang zu Lüpertz überheblicher Genese aus Weltschöpfungsmythen, die kaum einer kennt. Nachträglich angebrachte QR-Codes neben den Tafeln sollen nun für mehr Verständnis sorgen. Der Link führt zur Webseite der Genesis, sie verspricht platt eine Fahrt vom Dunkel ins Licht.
Auch die Kuratorin der Staatlichen Kunsthalle kritisiert ganz woke den Künstler als weißen alten Hetero-Mann und wirft ihm Sexismus vor. Ihr Vorwurf bezieht sich auf die Tafel mit der biblischen Figur der Salome: sie tanze nackt vor bekleideten Männern. Diese Femme fatale sei etwas, „an das wir so gewöhnt sind, dass der inhärente Sexismus auch im Jahr 2023 gar nicht irritiert. Ich sage: Danke, davon haben wir genug.“ Was hatte sie denn von Markus Lüpertz erwartet?
Für Karlsruhe konnte oder wollte der Meister keinen Touristenmagnet erschaffen, die so erwünschte internationale Aufmerksamkeit blieb aus, der Plan war wieder gescheitert. Was bleibt, ist eine provinzielle Posse. Lüpertz und seine Arbeit sind aus der Zeit gefallen, anachronistisch und eitel, alles an ihm ist Vergangenheit, nur er hat es nicht verstanden und glaubt: „Die Karlsruher U-Bahn wird durch meine Keramiken zum Museum.“ Modernität geht anders, Karlsruhe ist und bleibt Provinz.

Eckdaten zum Gesamtprojekt Genesis von Markus Lüpertz

– 14 Bilder/Reliefs (4 x 2 Meter) aus Keramik
– Leihgabe an die Stadt für 6 Jahre
– „Eine schöpferische Reise vom Dunkel ins Licht“
– Eigentümer: Der Verein „Karlsruhe Kunst Erfahren“
– Ort: In den sieben U-Bahn-Stationen der Karlsruher Kombilösung angebracht (anstelle von Werbevitrinen)
– Kosten: Schätzungsweise 500.000 Euro bis 1 Millionen Euro. Finanziert vom gemeinnützigen Verein über Spenden und Sponsoren
– Dauer: 14 Monate künstlerische Arbeit
– Enthüllung: Am 28. April 2023
Foto: Stephanie Kloss