Sheila Heti

Buch

2023:November // Christoph Bannat

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11-2023

Kennen Sie einen Roman über KunstkritikerInnen? Über KünstlerInnen ja, aber KritikerInnen – nee.
Sheila Heti studierte Kunstgeschichte und Philosophie an der University of Toronto und Dramaturgie an der National Theatre School of Canada und arbeitet als Kunstkritikerin. Bereits in ihrem ersten Roman Wie sollten wir sein?, 2014 (engl. How Should a Person Be? 2010) starteten Kunststudierende einen experimentellen Wettbewerb, wer das schlechteste Bild von ihnen malt. In ihrem neuesten Roman Reine Farbe, 2023 (engl. Pure Colour, 2022) geht es auch wieder um Kunst – diesmal im ganz großen Maßstab. Neben anderen großen Themen, etwa die Gestaltung der Welt, Tod und Liebe. Dabei spielt die Kunstkritik eine wesentliche Rolle. Gott, als Schöpfer, ist der Künstler. Sein Werk ist die Welt. Der Mensch ist Kritiker der Schöpfung und gleichzeitig deren Bestandteil. Für Gott ist die Welt nur ein Versuch, den er in einem zweiten Werk wohl verbessern wird – dann vielleicht ohne Menschen. Im zweiten Versuch werden vielleicht Pflanzen und nicht der Mensch eine Hauptrolle spielen. Es ist eine Konstruktion stark meta­physischer Prägung, die einen lehren könnte, ohne Hoffnung zu leben. Gleichzeitig trauert Mira, die Protagonistin, um ihren gestorbenen Vater. Dann wohnt sie noch eine Zeit lang mit dem Verstorbenen in einem Blatt. Eines von vielen an einem vom Wind bewegten Baum. Von dem richtet sich ihr liebender Blick auf ihre Künstler-Freundin, unfähig sich mitzuteilen. Es ist ein Buch, das verlangt, ihm glaubend zu folgen, sonst bleibt man draußen. Als Gläubigen versetzt es einen in einen tranceartigen Zustand. Den eines nachträumenden Menschenfreunds. Freund der Trauer und der Liebe. KunstkritikerIn gilt eigentlich als eine der trockenen Berufungen – hier wird sie heiß und bedrohlich geträumt.

Sheila Heti, Reine Farbe, Rowohlt, 2023
Sheila Heti, Reine Farbe, Rowohlt, 2023