Weniger-Spezial

Einführung

2023:November // Andreas Koch

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11-2023

In Anbetracht all der Weltkatastrophen, als würde unser Erdball an vielen Stellen gleichzeitig schwer erkranken, überall Kriege, Terror, Stürme, Fluten, Feuer, und fast alles menschengemachte Katastrophen – in Anbetracht dessen scheint ein Lösungsansatz erst mal plausibel: Weniger!
Nicht nur in Bezug auf die sich immer weiter erhitzende Atmosphäre, die Menschen zu Fliehenden macht, die die Zivilisation zerstört, weil diese ohne ihr natürliches Umfeld, ohne Wasser, ohne Nahrung nicht bestehen kann, sondern auch für unser kleinstes Miteinander, unsere noch relativ geschützte Alltagsblase, könnte und müsste ein „Weniger“ das Leitmotiv der Zukunft sein. Dass zwangsläufig dieses „Weniger“ eintreten wird, sagen nicht nur die Klimatologen voraus. Die Studie des Club of Rome ist über fünfzig Jahre alt und zeichnete bereits recht präzise die Entwicklungskurven der damals kommenden 130 Jahre auf. Demnach nähern wir uns dem Peak in Bezug auf Bevölkerungszahl, Nahrungsmittel, Industrieproduktion oder Wohlstand und stehen vor dem Abstieg.
Nach unseren drei letzten Heften, einem „Geld-Spezial“, einem „Ding-Spezial“ und einem „Klasse-Spezial“ ist die Fortsetzung mit einem „Weniger-Spezial“ folgerichtig. Nach der Kapitalismusanalyse müssten wir jetzt den Lösungsansatz präsentieren. Aber so wenig analytisch unsere Untersuchungen waren, so uneindeutig ist jetzt der Appell. Jeder von uns Menschen stellt eine kleine Energiebombe dar, jeder will aus seinem Leben etwas machen, wachsen, lernen, etwas herstellen, hinterlassen – wir Künstler vorneweg, das ist unser Lebensmotto. Künstler arbeiten meist von einem Produkt, einem Werk zum nächsten, eine lebenslange Herstellungskette mit am Ende einer Vielzahl an Kunstwerken, die im besten Fall verkauft werden, in Museen lagern, in Sammlungen behütet sind. In den meisten Fällen muss sich der Nachwuchs darum kümmern und der Nachlass landet früher oder später im Müll. Sollen wir Künstler deshalb aufhören zu arbeiten (Soline Krug sammelt in diesem Heft einige wenige Beispiele, wo das versucht wird)?
Schauen wir unsere kapitalistische Gesellschaft an – die, wenn sie so weitermacht, in den Abgrund rast –, ist eine Umkehr schwer vorstellbar. Das menschenimmanente Wachstumsideal ist so tief verankert, dass ein freiwilliges Innehalten nur von den Allerwenigsten praktiziert wird, welche dann von allen anderen als merkwürdige Außenseiter diffamiert werden (Klimakleber, Ökospinner, vegane Bevormunder). Auch Künstler, die aufhören zu produzieren, werden zwangsläufig zu Außenseitern, zumindest im Kunstbetrieb. Duchamp wäre da eine Ausnahme, die Kunstgeschichte und einige Vermögende mochten ihn zu sehr.
Dieses Schneller, Besser, Weiter, Reicher, Schöner, Klüger steckt so sehr in unseren Köpfen, in unserer Gesellschaft, dass ein Weniger einen blinden Fleck darstellt, es liegt außerhalb des Bereichs des Vorstellbaren, ähnlich dem Tod. Selbst die ökologisch bewussteste Familie pendelt wöchentlich in den immer schöner ausgebauten Landsitz nach Brandenburg und schickt den natürlich immer intelligenter werdenden Nachwuchs zum Austausch nach Yale, damit er später am besten das nächste Google gründen könnte. Natürlich fliegen sie auch x-mal in der Weltgeschichte herum, um sich/die Zöglinge zu bilden oder wenigstens das Englisch zu verbessern.
Aber wie das mit blinden Flecken so ist, man kann daran arbeiten, sie zu erkennen. Das ist Therapie. Man könnte versuchen zu erkennen, in welchem Maße Gefühle wie Ehrgeiz, Neid, Geltungsdrang oder Scham das eigene Leben steuern.
Ich habe zum Beispiel einen relativ großen Teil meines Ehrgeizes auf das Feld des Sports ausgelagert. Da, so denke ich, tut er niemandem weh (außer mir oder meinen Gegnern). Er richtet keinen größeren ökologischen oder gesellschaftlichen Schaden an. Eine Sportart, so wissen sicher manche meiner Leser und Bekannten, die einen großen Stellenwert in meinem Leben einnimmt, ist Golf. Ich werde hier jetzt bestimmt nicht den ökologischen Impact dieser Sportart vorrechnen, er ist wohl nicht klein, aber auch nicht so groß, wie die meisten denken, wenn man ihn im Berliner Umland betreibt und nicht irgendwohin fliegt und in der Wüste die letzten Ressourcen Wasser verbraucht. Jedenfalls erlaubt er mir einen Einblick in Köpfe außerhalb meiner links-alternativen Bubble. Und dort sieht es eher so aus, wie man sich das normalerweise in Golfspielerköpfen vorstellen würde.
Kürzlich spielte ich bei einem Einladungsgolfturnier mit. Nur bei solchen Events komme ich mit herkömmlichen Golfern in Kontakt, sonst spiele ich meist mit meinen Künstlerfreunden.
Jedenfalls spielte ich mit einem Amerikaner, der eine Firma leitet, die ein Brandschutzmittel herstellt, das, sprühte man es auf ein Haus, es vor jedem Waldbrand schütze. „The bush­fire will just go through.“ Ganz sinnvoll also. Auf der anderen Seite war er natürlich so reich, dass er Wohnungen, Häuser oder Ranches in Neuseeland, Colorado, Florida, Berlin oder – jetzt bald eben in Bad Saarow – besitzt und jährlich mehrmals bewohnt , also zweimal im Jahr die Welt umrundet. Moralisch verkürzt zusammengefasst: Er trägt seinen Teil zur Klimaerwärmung bei, um auf der anderen Seite daran zu verdienen, wenn wir mit den Folgen kämpfen. Aber er war sehr symphatisch.
In seinem Kopf sieht es nicht anders aus, als in den meisten anderen, nicht nur der Golfer. Was man sich verdient hat, kann man auch genießen. Was dann möglich ist, kann man tun. Er lebt den Traum fast aller, nämlich reicher zu werden, um mehr zu besitzen, mehr zu reisen und mehr konsumieren zu können.
Wie kann man also versuchen, das Weniger als attraktiven, freiwilligen, aber zwangsläufigen Imperativ zu vermitteln?
Vielleicht indem man vorlebt, wie man als Minischraubenzieher an den großen Stellschrauben mit dreht, die da wären, so las ich kürzlich wieder: Mobilität (z. B. wenig oder gar nicht fliegen, E-Auto oder gar keins) Ernährung (z. B. wenig oder gar kein Fleisch, wenig oder gar keine tierischen Produkte) und Heizung (umstellen auf elektrische Systeme, Solar etc.) und nicht allzu viel neuen, zukünftig alten Schrott kaufen, mehr teilen und reparieren. Das ist es eigentlich, mehr können wir als Verbraucher nicht tun. So kann man, hab ich ausgerechnet, seinen CO2-Fußabdruck als Deutscher ungefähr halbieren. Fünf Tonnen im Jahr weniger, das entspricht dem Gewicht von drei ausgewachsenen Autos, das nicht als klimaschädliches Gas in die schmale Atmosphäre gelangt, oder vielleicht noch anschaulicher: zehn Badewannen voller Benzin, das nicht verbrannt wird. Das gewissensberuhigende Müllgetrenne und Lampenausgeschalte bringt dagegen nicht viel (ein paar Flaschen Benzin). Einfach vegan leben, Auto abschaffen und nicht mehr fliegen. Ist nicht schwer und macht trotzdem viel Spaß, versprochen! Glaubt mir aber trotzdem keiner.
Denn bringt das insgesamt überhaupt was? Es betrifft ja nur einen kleinen Teil der Menschheit der westlichen Welt. Die meisten Menschen leben in Armutssituationen, da wirkt der Zuruf, Ihr sollt weniger konsumieren, absurd. Selbst in den westlichen kapitalistischen Staaten mit großen proletarischen und prekär lebenden Schichten wirkt der Aufruf, kein Fleisch mehr zu essen oder nicht mehr zu fliegen, in Anbetracht der Superreichen à la mein Golfkamerad, eher harmlos. Der natürliche Aber-die-Anderen-Reflex setzt ein.
Der weltverschlingende Kapitalismus wird sich nicht selbst heilen können, weil er sich von der Zerstörung nährt. Auch dafür steht der golfende Brandschutzmittelproduzent exemplarisch.
Ein Umbau hin zu einem grünen Kapitalismus wäre ein systemimmanenter Vorschlag und eine Hoffnung, an die wir uns klammern, so könnten wir unseren Lifestyle vielleicht noch ein paar Jahrzehnte fortführen. Die globalen Effekte enden aber in ähnlichen Verheerungen. Irgendwo werden dann gigantische Mengen an Rohstoffen für unsere tollen Batterien abgebaut werden müssen. Und der Vorschlag eines Degrowth, eines bewusst herbeigeführten Schrumpfens der Wirtschaft, ist politisch kaum durchzusetzen, da die sozialen Auswirkungen nicht wirklich abzufedern wären, und der Shift zu rechten und ultrarechten Lagern und damit zu solchen Regierungen vorprogrammiert ist. Die dann alles zurückdrehen und es noch schneller und schlimmer enden könnte.
Also was? Weniger? Auf jeden Fall, alleine dem eigenen Gewissen hilft es, bei unserem Wachstumssystem weniger mitzumachen. Oder gleich ganz verzichten (das Heft hätte nach Christoph Bannat „Verzicht-Spezial“ heißen sollen)wäre wahrscheinlich konsequenter, klarer. Das ist wie mit dem Rauchen – weniger rauchen ist so viel schwerer als gar nicht, denn man denkt weiterhin die ganze Zeit an die Zigarette.
Also hören wir auf mit dem ganzen Mist, freiwillig, bevor wir müssen. Danach können wir nur noch auf unsere Kreativität vertrauen, um mit dem Weniger zurechtzukommen, aber dafür sind wir Künstler ja ausgebildet und wir sind schon daran gewöhnt, jedenfalls die meisten von uns.