Vanity Fairytales

Weniger isst mehr

2023:November // Elke Bohn

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11-2023



Dieses Amalgam, dieser Satz, Frage, Befehl, Idee, Impuls, Philosophie, Ideologie & Phantasie ist ein bebend brennender Zwitter, und es schlagen, hach, doch mindestens zweierlei Herzen in ihrer und dessen, also they, Brust.

Auch hier sind wir selbst Berg und/oder auch Zwerg, der wie immer und so oft die Geschehnisse zu lenken vermag.

Was kann es denn jedoch meinen, wenn wir es gut mit uns meinen?

Gut meinen, auch und noch mit sich selbst, meint leicht sein. Ohne Ballast sein, den nicht notwendigerweise notwendigen.

Lustigerweise, sprachlich, nicht wörtlich, verhält es sich bei der Ernährung, die uns gut tut, ein wenig anders. Da mag man Ballaststoffe.

Enthält Ballaststoffe, das liest sich daher in diesem Kontext oft, und ebenso (sic!) auf einem wirklich schicken Plakat für eine Ausstellung gleichen Titels und Inhalts im Bauhaus Museum in Dessau.

Kuratiert von Odile Decq, Kontantin Grcic und Tatiana Bilbao vereint die Schau eine überschaubare, doch Menge, von kulturellen Produktionen, die nicht alle verphysischt sind, sich jedoch auf ihre jeweils eigene Art ihrer eigenen Notwendigkeit widmen.

Das Werk der Bildhauerin Alicia Kwade, den gesamten Eingangsbereich einnehmend und völlig auflösend, baut den wuseligen Times Square in New York nach, jedoch seiner gesamten visuellen Übermacht befreit.
Absolut, Sie haben alle recht, das passt da ja gar nicht rein. Natürlich nicht, aber das war ja klar. Auch Frau Kwade. Sie bedient sich der gleichen Technik, die im Original und vor Ort Ressourcen verschlingt, um den Platz als Ort der visuellen Ruhe zu ergaukeln. Wer Böses wollte, sagt, es sind ja jetzt nur noch viele und hohe Häuser, und ein Unort von vielen. Doch diese Funktionsumkehr mit gleichen Mitteln ist viel mehr als das – ohne von der Summe und der Zahl der Teile zu romantisieren. Eine hochtechnische, vor Stromdurst nur so gurgelnde Oase der Ruhe, die scheinbar nichts kann als zu gaukeln, und natürlich ist sie dabei dennoch sehr nervös.

Erholt ist mit absoluter, und nicht der juristisch verworrenen und ebenso Ballststoffe beinhaltenden Formulierung an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine besuchende Person nach diesem antithetischen Gewitter, jedoch wünscht sich der zweite Raum genau, und wiederum absoluter Sicherheit zu vermögen.

Hier finden wir eine Assamblage von Martino Gamper, eine raumweite Installation, die von Gehalt und Ruhe durchtränkt scheint. Parallel zu seiner Ausstellung im Haus der Kunst im wohl doch ewig schönen München. Dort auch entstand eine eigentlich soziale Plastik, entwachsen in mehreren Ebenen aus früheren Projekten, und etliche neu entworfene Stühle bespielen dort. Hier nun sind es Säcke. Weiße. Nicht alte.

Gamper bedient sich der wahrlich unschönen Seite der Kunst, nämlich den bisher noch immer notwenig erscheinenden Materialien für die physisch schadlose Bewegung derselben.

So baut oder bastelt er aus dem Holz de- und ausrangierter Kunsttransportkisten stabile und quadratische Plattformen, über die er Tyvek zieht, ein Material, mit dem sehr sehr empfindliche Werke und deren Oberflächen geschützt werden können sollen.
Diese Säcke füllt er mit dem Mannigfaltigstem, was zu finden war. Holzspähne, Popcorn, Chips aus Styropor, blaue und starre Leisten aus einem Weichschaum, der sich trefflich eignet, um die Kanten von Gerahmtem vor Stößen zu bewahren. Auch einige wirklich bequeme gibt es, hierin fände sich Pferdehaar. Konterkariert dieses Projekt nurmehr zeitweilig, da er danach und damit Matratzen für schmucke Daybeds füllen wird. Hier sehen wir eine Art Pre-upcycling-Prozess. Nicht gänzlich unkontrovers, aber in jedem Fall neu.

Ein weiteres und in diesem Rahmen erwähnungsnotwendiges Projekt stammt von Kito Nedo, der bis dato als Schreibender im Kontext von Kunst- und Kultur mehr als von sich redend machte. Sein Werk schreibt den Titel der Schau weiter, in Weniger wäre nichts.

Nedo recherchierte die in Europa veranschlagten Kosten für ein Mittagessen junger Menschen in Schulen und Universitäten, wie zu erwarten war, so raunt es merklich, glänzt Deutschland hierbei nicht wirklich merklich.

Neben einer schmucken Schautafel, die anstatt zu bestellender Speisen und Getränke diese Zahlen und damit einhergehenden Diskrepanzen zeigt, hat er einen Tisch aufgebaut, der direkt und somit wie mit dem Rücken zu Wand steht.

Nun hat er die beliebtesten Gerichte der zwölf teuersten Hotels in Deutschland nachkochen lassen, mit dem täglichen Verzehrbudget der, wie es oft und vernebelnd heißt, zukünftigen Generation. An geraden Kalendertagen werden die Besuchenden satt, denn hier sind es die Zutaten, nämlich die marktreal günstigsten – oder, wie Kito Nedo es beschreibt – solche, deren Preis viele und etliche zahlen, mit denen gar stattliche Portionen entstehen. An den ungeraden Kalendertagen isst man gesund, regional, saisonal und manchmal auch biologisch einwandfrei, jedoch wird keiner satt, denn die Portionsgröße könnte es spielend mit einem Sternemenü aus der Feder gewitzt-kreativer Filmausstatter aus den Nullerjahren aufnehmen.

Die vielleicht umfangreichste, und das wirklich, Arbeit der Ausstellung stammt aus der Feder von Lily van der Stokker.
Sie konzipierte das Informationsdesign und hat eben dieses mit weißen Klebelettern auf die weißen Wände aufbringen lassen.

Lesen kann es trotzdem, wer sich viel Zeit nimmt. Hah! Darum genau ging es ihr auch, aber nicht nur; wie so oft in ihrem Schaffen beinhaltet auch diese Arbeit eine tiefere Komponente.

Für van der Stokker ist auch dieses Werk eine Wandzeichnung, ihre erste, deren Inhalt sie übernahm, und die erste, in der per se objektive Informationen Inhalt und Material zugleich sind. Die zweite Ebene ihrer Arbeit sind Menschen, die zahlreich und als Wissende erkennbar durch die Räume verteilt sind. Alle, die zu ungeduldig sind, langsam und im Dialog mit dem einfallenden Licht zu lesen, müssen reden. Die wandelnden Wissenden sind in allen Belangen der Ausstellung geschult und können nicht nur Auskunft geben, sondern Dialoge anbieten, führen, haben und deren Dynamik ertragen.

Das, so die Künstlerin, ist die möglicherweise einzige Möglichkeit, eine Zukunft als solche zu gestalten.